Bewerbung für Präsidentschaftswahl beendet
9. Oktober 2013Jetzt steht das Karussell erst mal still. Nachdem in den ersten Wochen der Registrierungsphase für die Präsidentschaftswahl in Afghanistan zunächst mal gar nichts passierte, gab es in den letzten Tagen vor dem Ende der Frist am Sonntag (06.10.2013) um so mehr Bewegung. Denn die meisten Kandidaten gaben ihre Bewerbung erst zum Schluss ab, manche in letzter Minute. Es gab einige Überraschungskandidaten und viele alte Bekannte. 27 Namen standen am Ende auf der Liste für die Wahlen im Frühjahr 2014.
Zu den prominentesten Bewerbern gehören folgende fünf: Abdullah Abdullah, ein früherer Außenminister, Qayum Karsai, ein Bruder des Präsidenten, Zalmai Rassoul, der gerade zurückgetretene Außenminister Karsais, der radikal islamistische Abdul Rasul Sayyaf sowie Ashraf Ghani Ahmadzai, ein Ex-Finanzminister und Hochschullehrer in den USA.
Gefolgschaften und Allianzen
Ohne eine starke lokale Anhängerschaft bewege sich in Afghanistan nichts, sagt Conrad Schetter vom Bonn International Center for Conversion. "Die besten Chancen hat deshalb Qayum Karsai, der ältere Bruder von Hamid Karsai, der gerade in Südafghanistan eine starke Machtbasis hat. Das heißt, er dürfte eine ernst zu nehmende Größe sein, um die Herrschaft der Karsais fortzusetzen", so Schetter gegenüber der Deutschen Welle.
In die Quere könnte ihm dabei Zalmai Rassoul, der bis zu seiner Kandidatur Außenminister Karsais war, kommen. Rassoul stammt wie Karsai aus einer paschtunischen Königsfamilie, diese Herkunft könnte ihm Stimmen sichern. Ihm stehen Ahmad Zia Massoud, der Bruder des ermordeten legendären Führers der afghanischen Nordallianz, Ahmad Shah Massoud, und Habiba Sarabi, die derzeit einzige weibliche Gouverneurin Afghanistans, als Vizekandidaten zur Seite.
Der frühere Außenminister Abdullah Abdullah kandidiert nicht zum ersten Mal. Ihm sind vor allem die Stimmen der ethnischen Tadschiken sicher. Bei der von massiven Fälschungsvorwürfen überschatteten Wahl 2009 hatte Abdullah den zweiten Platz hinter Karsai erreicht.
Feinde als Verbündete
Im afghanischen Machtpoker finden sich alte Feinde plötzlich als Verbündete wieder: So gehört zu Abdullahs Team Muhammad Khan von der Hisb-i Islami, die wiederum in traditioneller Feindschaft zur Dschamiat-i Islami steht, der Partei Abdullahs. Dschamiat und Hisb hatten sich afghanischen Bürgerkrieg der Nach-Sowjet-Zeit erbitterte Schlachten geliefert.
Eine noch kuriosere Allianz ist die zwischen dem hochgebildeten Ashraf Ghani Ahmadzai und dem Usbekenführer und berüchtigten Warlord Rashid Dostum. Ahmadzai, der unter anderem für die Weltbank gearbeitet hat, wurde vom britischen Intellektuellen-Magazin "Prospect" unlängst unter die Top-Denker unserer Zeit gewählt. In Afghanistan hat er jedoch kaum eine Basis in der Bevölkerung. Für viele kam es überraschend, dass Ahmadzai den Warlord Dostum als Vizekandidaten ins Boot holte. Dieser "entschuldigte" sich jetzt in einem afghanischen Online-Portal bei den Menschen, die im Bürgerkrieg "Leidtragende unserer Politik waren".
Islamistischer Kandidat
Der Paschtune Abdul Rasul Sayyaf schließlich versuche, über die islamistische Schiene Stimmen zu erhalten, sagt Conrad Schetter. Sein Vizekandidat ist der Warlord Ismail Khan aus Herat, der mit seinen Milizen weite Teile des Westens von Afghanistan kontrolliert. Sayyaf setzte 2003 durch, dass Afghanistan laut Verfassung eine "islamische Republik" ist. Terrorismus-Experten zufolge hatte er in den 80er und frühen 90er Jahren enge Verbindungen zu Al-Kaida-Gründer Osama Bin-Laden.
Beobachter gehen davon aus, dass viele Kandidaten ihre Bewerbung zurückziehen werden, wenn ihnen ein hohes politisches Amt in Aussicht gestellt wird. Vor allem gelte das für das Lager des derzeitigen afghanischen Präsidenten Hamid Karsai, so Nils Wörmer vom Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kabul. Mehrere Kandidaten gehörten zum Patronagenetzwerk Karsais, die sich schließlich auf einen einigen würden, um ihn - für Gegenleistungen - zu unterstützen.
Viele Afghanen sind enttäuscht von der Liste der Kandidaten. Einige finden es unglaubwürdig, dass Kandidaten, die verfeindet waren, nun Allianzen bilden. Hamidullah, ein Einwohner Kabuls, ist desillusioniert: "Wir waren alle sehr zuversichtlich für die Wahl Anfang nächsten Jahres, aber jetzt, wo wir die Kandidaten gesehen haben, sehen die Menschen schwarz“, sagt er der Deutschen Welle. "Die Kandidaten sind alle Warlords, die sich gegenseitig die Bälle zuspielen."
Frauen enttäuscht
Was die politische Rolle von Frauen Afghanistan betrifft, erwarten Beobachter durch die Wahlen keine weiteren Impulse. Shukria Barakzai, eine weibliche Parlamentarierin, befürchtet, dass die Stellung weiblicher Politiker stark eingeschränkt wird. Bereits jetzt zeichne sich ab, dass nur wenige Frauen noch bereit sind, die Gefahren auf sich zu nehmen, die mit politischer Betätigung verbunden sind. Immerhin ist eine Frau unter den 27 Präsidentschaftskandidaten. Für die ebenfalls im Frühjahr stattfindenden Wahlen zu den Provinzräten sind 273 Frauen unter den 2.360 Kandidaten.
Das liege aber nicht daran, dass Frauen nicht politisch ambitioniert wären, sagt Adrienne Woltersdorf von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kabul. "Sie sind systematisch davon abgehalten worden. Gerade auf der Ebene der Provinzräte wurde die Frauenquote einseitig von der Mehrheit der Männer gesenkt. Es hat schon im Vorfeld Aktionen gegeben, um die Frauen einzuschüchtern.“ Woltersdorf zieht das Fazit, dass die positive Entwicklung für afghanische Frauen, die die internationale Gemeinschaft sich gewünscht habe, ausgeblieben sei.