Bewährungsprobe für gemeinsame europäische Verteidigungspolitik
30. Januar 2003Köln, 28.1.2003, DW-radio, Verica Spasovska
Seit Jahren beabsichtigt die Europäische Union, bei internationalen Friedensmissionen als Militärgemeinschaft Verantwortung zu übernehmen. Konkret ins Auge gefasst hatten die Europäer zunächst die Übernahme der NATO-Mission in Mazedonien. Allerdings hatte ein protokollarischer Streit zwischen Griechenland und der Türkei dies verhindert. Der Zwist wurde erst im Dezember des vergangenen Jahres am Rande des EU-Gipfels in Kopenhagen beigelegt. Die abschließenden Gespräche mit der NATO im Januar waren nur noch Formalität. Am Montag (27.1.) erteilten die EU-Außenminister nun auch offiziell den Auftrag zur Übernahme der Mazedonien-Mission.
Erstmals in der Geschichte der Europäischen Union übernimmt die Gemeinschaft eine militärische Mission der NATO. Schon ab März soll eine Krisentruppe von etwa 350 Mann die NATO-Mission in Mazedonien ablösen und laut Mandat vorerst für sechs Monate im Einsatz sein. Ein Einsatz, der trotz seines recht bescheidenen Umfangs von den EU-Außenministern als "historisch" beurteilt wird. In der Tat setzt die Europäische Gemeinschaft damit erstmals eine lang gehegte Vision und seit dem Ausbruch des Jugoslawien-Krieges vielfach eingeforderte Maßnahme in die Tat um. Neben der wirtschaftlichen und politischen Verantwortung, die sie bereits seit längerem zunehmend für den Krisenherd Balkan übernimmt, sieht sie sich auch militärisch in der Pflicht.
Die Mission soll der Auftakt für die Errichtung der sogenannten Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolizei (ESDP) sein. Sie soll insgesamt 60.000 Mann umfassen und unter anderem auch die weitaus umfangreichere NATO-geführte SFOR-Mission in Bosnien-Herzegowina übernehmen. Die ESDP soll künftig immer dann eingesetzt werden, wenn sich die NATO nicht engagieren will. Gleichzeitig soll sie das zentrale Instrument der eigenständigen europäischen Verteidigungspolitik sein. Inwieweit sich diese Absicht angesichts der Interessenvielfalt der 15 EU-Mitgliedsländer in die Tat umsetzen lassen wird, bleibt allerdings fraglich.
Gleichwohl macht der Aufbau dieser EU-Truppe vor allem deshalb Sinn, weil damit teure Doppelstrukturen vermieden werden sollen. Vorraussetzung dafür ist eine Vereinbarung zwischen der EU und der NATO, dass die EU auf vorhandene Planungsstrukturen der NATO zugreifen kann. Mit der engen Zusammenarbeit soll einem möglichen Misstrauen der USA gegenüber der Eigenständigkeit der Europäer begegnet werden. Allerdings ist noch strittig, wie die Kommandostruktur genau organisiert werden soll. Dazu soll der künftige Befehlshaber, der deutsche Admiral und Vize-Oberkommandierende des NATO-Hauptquartiers in Europa, Rainer Feist, Vorschläge erarbeiten. Zu den offenen Fragen gehört auch eine Vereinbarung, die den regelmäßigen Austausch von Informationen über die Sicherheitslage zwischen der EU und der NATO gewährleisten soll. Finanziert wird der Einsatz aus dem Haushalt der EU. Auch Länder, die der Union nicht angehören, können sich beteiligen.
Die Aufgaben der EU-Truppe in Mazedonien lehnen sich an die der NATO-Mission an. Sie umfasst vor allem die Beratung der Behörden vor Ort sowie den Schutz und die Unterstützung der internationalen Beobachter, die die vom Westen ausgehandelten Friedensvereinbarung zwischen Albanern und Mazedoniern begleiten.
Nur selten waren die rund 700 NATO-Soldaten, die seit 2001 in der ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik stationiert sind, in gewalttätige Zwischenfälle verwickelt. Gleichwohl hat die politische und wirtschaftliche Krise, ausgelöst durch den bewaffneten Konflikt vor zwei Jahren, dem Land ein hohes Maß an Kriminalität beschert. Das Transitland Mazedonien gilt nach Ansicht westlicher Diplomaten als eine Drehscheibe für den Handel mit Frauen aus Osteuropa. Auch sorgen gewalttätige Auseinandersetzungen im kriminellen Milieu in der Öffentlichkeit für zunehmende Besorgnis.
Seit den Wahlen im vergangenen Herbst, als die moderate Opposition in Mazedonien die Regierung übernahm, hat sich die politische Lage in der Republik zwar weitgehend stabilisiert. Doch hat der mazedonische Präsident Boris Trajkovski darauf hingewiesen, dass der latent schwelende ethnische Konflikt zwischen Mazedoniern und Albanern weiterhin ein Restrisiko birgt. Auch deshalb hat er sich für das Engagement der EU ausgesprochen.
Nachdem die EU bereits zu Jahresbeginn die Aufgaben der internationalen UN-Polizeitruppe in Bosnien-Herzegowina übernommen hat, ist dies nun der nächste wichtige Schritt der Union auf dem Weg zu einem umfassenden Engagement auf dem Balkan. Er ist die logische Folge eines Prozesses, der mit dem Ausbruch des Krieges in Ex-Jugoslawien vor einem Jahrzehnt eingesetzt hat. Die damalige Unfähigkeit der EU, den Konflikt vor der eigenen Haustür militärisch zu beenden, hat deutlich gemacht, wie notwendig eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik ist. Auch deshalb ist es keineswegs übertrieben, sondern durchaus angemessen, die EU-Mission in Mazedonien als historische Chance zu bezeichnen. (fp)