Falsche Fährte?
29. Dezember 2007Ein Sprecher von Bhuttos Pakistanischer Volkspartei PPP wies am Samstag (29.12.2007) einen Bericht des Innenministeriums zurück, nach dem die Oppositionsführerin nicht wie zunächst gemeldet durch Schüsse sondern durch einen Schädelbruch tödlich verletzt worden sei. "Es war ein gezielter Mord durch einen Scharfschützen", sagte der Sprecher. Die PPP forderte, die Hintergründe des Mordes von einer internationalen Kommission untersuchen zu lassen.
Das Innenministerium hatte zuvor bekannt gegeben, Bhutto sei durch die Wucht der Explosion gegen das Dach ihres Geländewagens geschleudert worden, nachdem der Selbstmordattentäter seinen Sprengsatz gezündet habe. Die abgefeuerten Schüsse hätten die Oppositionsführerin nicht getroffen. Bhutto war am Donnerstag bei einer Wahlkampfveranstaltung in Rawalpindi durch ein Attentat getötet worden.
Augenzeugin berichtet von Schusswunden
Eine enge Mitarbeiterin Bhuttos wirft der Regierung vor, die Umstände der Ermordung zu verschleiern. Sie habe mit eigenen Augen eine Schusswunde im Kopf der Toten gesehen, als sie an der Waschung des Leichnams vor der Beerdigung teilgenommen habe, sagte Bhuttos Sprecherin Sherry Rehman der Nachrichtenagentur AFP. Eine Kugel sei im Hinterkopf eingeschlagen und auf der anderen Seite wieder ausgetreten. Das Krankenhaus habe seine ursprüngliche Erklärung ändern müssen. "Es gab nie einen richtigen Autopsiebericht", sagte die Sprecherin.
Der PPP-Sprecher Farhatullah Babar wies zudem Angaben der Regierung zurück, wonach das Terrornetzwerk El Kaida und der Kriegsherr Baitullah Mehsud für das Attentat verantwortlich seien. Diese Geschichte erscheine fingiert und nicht zutreffend, sagte Babar. Die Regierung versuche damit, eine falsche Fährte zu legen. Bhutto habe der Regierung in der Vergangenheit von "Elementen" außerhalb der El Kaida berichtet, die sie gefährden könnten, doch sei diesbezüglich nie ermittelt worden, sagte Babar.
El Kaida bestreitet Drahtzieherschaft
Ein Sprecher des Kriegsherrn Mehsud widersprach den Regierungsangaben ebenfalls und sprach von einem Ablenkungsmanöver. In einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur AP bezeichnete er die Angaben als "Regierungspropaganda". "Wir bestreiten das entschieden. Baitullah Mehsud ist nicht in den Tod Benazir Bhuttos verwickelt", zitierte AP den Sprecher. "Tatsache ist, dass wir nur gegen Amerika kämpfen. Wir betrachten die politischen Führer Pakistans nicht als unsere Feinde." Mehsud lebt in der Nähe der pakistanisch-afghanischen Grenze und ist Befehlshaber einer Pro-Taliban-Miliz. Über diese Stammesregion hat die Regierung in Islamabad keinerlei Kontrolle.
Regierungsdarstellung
Die pakistanische Regierung hatte erklärt, sie habe Beweise, dass El Kaida und Taliban hinter dem Selbstmordanschlag steckten. Die Regierung habe am Freitag eine Botschaft Mehsuds abgefangen, in der dieser seinen Leuten zur Ausführung des Attentats gratulierte.
Ausschreitungen und Proteste
Bhutto wurde am Freitag unter der Anteilnahme Hunderttausender im Mausoleum ihrer Familie an der Seite ihres ebenfalls ermordeten Vaters beigesetzt. Begleitet waren die Feierlichkeiten von schweren Unruhen im ganzen Land, die mindestens 27 Menschen das Leben kosteten.
Auch am Tag nach der Beisetzung kam es in Pakistan zu Ausschreitungen. Nach Polizeiangaben wurden am Samstag in der Hafenmetropole Karachi mindestens 20 Menschen durch Schüsse verletzt. Tausende Sicherheitskräfte patrouillierten in den Straßen Karachis und anderer Städte der Provinz Sindh, einer Hochburg von Bhuttos PPP. Die Sicherheitskräfte haben die Erlaubnis, auf Randalierer zu schießen. Aufgrund der von Präsident Pervez Musharraf verhängten dreitägigen Staatstrauer blieben landesweit Geschäfte und öffentliche Einrichtungen geschlossen.
Erschwerte Wahlvorbereitung
Angesichts der Gewalt in Pakistan hat die nationale Wahlkommission für Montag eine Dringlichkeitssitzung zu der für den 8. Januar geplanten Parlamentswahl einberufen. Durch die Unruhen nach dem Anschlag Bhutto sei der Wahlprozess "nachteilig beeinflusst", erklärte die Kommission am Samstag in Islamabad. Die öffentliche Ordnung habe sich verschlechtert, alle Tätigkeiten zur Vorbereitung der Wahl wie das Drucken der Stimmzettel, die Logistik sowie die Schulung der Wahlhelfer seien stark beeinträchtigt, erklärte die Wahlkommission.
Steinmeiers Warnung
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) zeigte sich besorgt darüber, dass die pakistanischen Atomwaffen bei einer weiteren Destabilisierung des Landes in falsche Hände geraten könnten. "Atomwaffen dürfen niemals in die Hände islamistischer Terroristen geraten", sagte Steinmeier in einem Zeitungsinterview. Trotz der unruhigen Situation in Pakistan nach dem Anschlag bestehe derzeit noch keine konkrete Gefahr, betonte Steinmeier. "Aber es müssen dort wieder stabile Verhältnisse einkehren, damit es so bleibt. Was wir dafür tun können, darüber beraten wir mit den Vereinten Nationen, den USA und den Europäern." Das "grausame Attentat" auf Bhutto habe eine Situation geschaffen, die sich zur größten Krise in der Geschichte Pakistans ausweiten könne, sagte Steinmeier. (mas)