Bibiana Steinhaus: "Ich möchte inspirieren"
30. November 2017DW: Bibiana Steinhaus, was gefällt Ihnen so gut am Fußball?
Bibiana Steinhaus: Was gefällt mir so am Fußball!? Ich liebe die Leidenschaft, mit der die Beteiligten dabei sind, die Dynamik, das Tempo, die Emotionen.
Als Bundesliga-Schiedsrichterin, was ist die Hauptherausforderung in Ihrem Beruf?
Beim Schiedsrichten geht es darum, 22 höchst unterschiedliche Spieler zu kontrollieren, die sich auf einer begrenzten Fläche von einigen Quadratmetern bewegen, während zehntausende Zuschauer im Stadion dich beobachten und du dich unter dem Mikroskop des Fernsehens und der Medien bewegst.
Meine Aufgabe ist es, sie durch die 90 Spielminuten zu führen und darauf zu achten, dass die Spielregeln eingehalten werden. Ich muss gewährleisten, dass es ein fairer Wettkampf ist und dass das Ergebnis am Ende von der Leistung der Spieler abhängt und von nichts anderem.
Was mir dabei am besten gefällt ist der Umgang mit so vielen unterschiedlichen Typen – auf und neben dem Platz. Die Kommunikation mit verschiedenen Charakteren ist wahrscheinlich die größte Herausforderung, aber ich liebe es. Es macht mir sehr viel Spaß.
Der Job als Schiedsrichterin ist auch eine körperliche Herausforderung. Vergessen die Leute manchmal, dass Schiedsrichter auch Sportler sind?
Als Schiedsrichter ist man definitiv auch Sportler. Man läuft elf bis zwölf Kilometer pro Spiel und das mit wechselnden Geschwindigkeiten. Ständig muss man stoppen und antreten, schnell die Richtung wechseln. Der Puls ist am oberen Level und nach 90 Minuten, wenn der Körper müde ist, muss man mental immer noch bereit und in der Lage sein, eine richtige Entscheidung zu treffen – möglicherweise eine große und spielentscheidende, die eines der Teams am Ende viel Geld kosten könnte. Man muss zu einhundert Prozent fit sein – mental und körperlich.
Wie erarbeiten Sie sich den Respekt von allen Spielern?
Das Erfolgsrezept ist, alle Spieler so zu behandeln, wie man selbst gerne behandelt werden würde. Man muss nicht herumbrüllen, um an sein Ziel zu kommen. Kommunikation ist der Schlüssel. Man muss freundlich sein, hilfsbereit und immer geradeaus. Wenn man das schafft, ist man - denke ich - auf dem richtigen Weg.
Sie mögen es nicht, dass immer herausgestrichen wird, dass Sie als Frau eine Sonderstellung einnehmen. Dennoch die Frage: Haben Sie als Schiedsrichterin andere Möglichkeiten als die männlichen Kollegen?
Sie haben recht, ich mag die Geschlechterdebatte nicht. Am Ende des Tages zählt die Leistung. Und die Person, die die beste Leistung abliefert, sollte auch auf dem Platz stehen dürfen - egal welches Geschlecht, welche Haarfarbe oder welche Religion sie hat. Das ist alles, was zählt.
Es gibt nicht viele Schiedsrichterinnen im deutschen Fußball. Glauben Sie, dass sich das bald ändern könnte?
Wir haben in Deutschland rund 80.000 Schiedsrichter von denen etwa 3000 Frauen sind. Es gibt 24 Bundesliga-Schiedsrichter, darunter ich als einzige Frau. Aber in der Zweiten Liga macht Katrin Rafalski als Schiedsrichter-Assistentin einen hervorragenden Job. Riem Hussein ist in der 3. Liga. Diese Frauen zeigen, dass es nicht darum geht, ob man weiblich oder männlich ist. Es geht um die Leistung. Ich hoffe wirklich, dass diese Vorbilder dafür sorgen, dass immer mehr junge Frauen und Mädchen das gleiche machen.
Kann Deutschland eine Vorreiterrolle für den Einsatz von Schiedsrichterinnen für sich beanspruchen? Wie ist die Situation weltweit?
Die Bundesliga ist eine der weltweit renommiertesten Ligen. Hier eine Schiedsrichterin zu haben ist also generell ein großer Schritt für weibliche Unparteiische. Es gibt aber überall auf der Welt gute Frauen im Schiedsrichterwesen. Vor ein paar Wochen waren sieben Kolleginnen als vierte Offizielle bei der U17-WM in Indien im Einsatz. Das war ein großes internationales Turnier.
Wir haben einige gute Ligen in Europa, auch in den kleineren Ländern, wo Frauen Spiele als Offizielle leiten. Und das wird nicht zum Thema, weil sie einen guten Job machen. Genau das ist es was wir wollen: nach unserer Leistung auf dem Platz beurteilt werden.
Ist das ihre Art mit diesen Gender-Themen umzugehen: sie einfach ignorieren?
Ich möchte diese Geschlechter-Diskussion nicht betonen, was ich will ist eine Diskussion über Leistung.
Ich möchte Menschen dazu inspirieren, das zu tun, was sie wollen. Egal, ob sie Staatsoberhaupt werden möchten oder zum Mond fliegen, ganz egal. Beide Geschlechter haben tolle Möglichkeiten und für diese Sichtweise stehe ich. Ich bin froh, dass wir in Deutschland diesbezüglich recht weit vorne sind. Die skandinavischen Länder haben uns trotzdem noch einiges voraus.
Sie haben schon für einige Schlagzeilen in dieser Saison gesorgt. In der BILD-Zeitung stand nach ihrem ersten Bundesliga-Einsatz zum Beispiel: "Bibi ist die Beste!"…
Generell mag ich keine Überschriften die Schiedsrichter zum Thema haben, denn das bedeutet, dass man bei der Partie im Fokus stand, und das ist definitiv nicht gut. Schlagzeilen sind für Schiedsrichter keine gute Sache.
Rund um meinen ersten Einsatz in der Bundesliga hat es natürlich ein paar Artikel und Schlagzeilen über Frauen als Schiris gegeben. Ich mag die Schlagzeilen, wenn sie die Leistung zum Thema haben, weniger, wenn es nur darum geht, dass ich eine Frau in diesem Job bin, ich mache ihn nämlich genau wie alle anderen.
Tatsächlich war meine liebste Schlagzeile die nach meinem zweiten Bundesligaspiel: es gab keine! Das geht für mich in die richtige Richtung.
Sie sind Polizeibeamtin. Gibt es da Gemeinsamkeiten mit der Aufgabe als Schiedsrichterin?
Es gibt viele Gemeinsamkeiten, weil man immer mit zwei unterschiedlichen Parteien zu tun hat und als Neutraler von außen drauf schaut. Wir machen nicht die Regeln, aber wir müssen sie durchsetzen und darauf achten, dass die Leute sich dementsprechend verhalten.
Denken Sie, dass sich manche Männer von einer Schiedsrichterin gedemütigt fühlen? Haben Sie es beispielsweise als Polizistin schon erlebt, dass Sie jemand nicht respektiert hat, weil sie eine Frau sind?
Ich kann verstehen, warum manche Menschen dieses Gefühl haben, aber dann ist es meine Pflicht in dieser Rolle klar zu machen, wie die Situation ist, und was der nächste Schritt sein wird, ohne dass jemand sein Gesicht dabei verliert.
Manchmal dauert es eine gewisse Zeit, sich den Respekt der Leute zu erarbeiten. Am Ende ist es der Polizist oder der Schiedsrichter, der die Entscheidung fällt. Spätestens an diesem Punkt verstehen die Leute, wer die Ansagen macht.
Welchen Rat würden Sie jungen Mädchen und Jungs geben, die Schiedsrichter werden wollen?
Jedem da draußen egal, ob alt oder jung oder welchen Geschlechts, würde zuallererst einen Rat geben: genießt es da draußen! Genießt es Entscheidungen zu treffen. Genießt es mit verschiedenen Persönlichkeiten und Mentalitäten umzugehen. Und genauso wichtig ist es, zu lernen Fehler zu akzeptieren. Das gilt für Schiedsrichter, im Sport allgemein, aber genauso auch im normalen Leben.
Fußball ist ein toller Sport und eine große Herausforderung. Also geht raus, schnappt euch die Pfeife und genießt es!
Bibiana Steinhaus (38), stammt aus Hannover, ist Polizeibeamtin und Fußball-Schiedsrichterin. Am 10. September 2017 schrieb sie deutsche Fußball-Geschichte: Als erste Frau leitete sie mit dem Duell zwischen Hertha BSC und Werder Bremen eine Partie in der Bundesliga. Im Frauenfußball zählt sie seit Jahren zu den profiliertesten Schiedsrichterinnen, sie pfiff das DFB-Pokalfinale (2003), das WM-Finale (2011), das olympische Finale (2012) und das Champions-League Finale der Frauen (2017).