Biden braucht nur noch einen Staat
4. November 2020Bei der historischen Wahlschlacht um das Präsidentenamt in den USA hat der demokratische Herausforderer Joe Biden seine Chancen auf einen Sieg ausgebaut. Er braucht jetzt nur noch die Wahlmänner und -frauen eines Bundesstaates. Biden setzte sich nach Angaben der Nachrichtenagentur AP im umkämpften Wisconsin gegen Amtsinhaber Donald Trump durch. Auch im wichtigen Bundesstaat Michigan mit 16 Wahlmännern für das "Electoral College" punktete er nach Angaben der Nachrichtenagentur AP. Den Staat Arizona mit 11 Wahlleuten schlug AP anders als andere Medien ebenfalls den Demokraten zu.
Quelle für die Ergebnisse ist die amerikanische Nachrichtenagentur AP
Vor einem Behördengebäude in Arizona, in dem Stimmen der US-Präsidentenwahl ausgezählt werden, versammelte sich in der Nacht eine große Gruppe von Trump-Anhängern. Die Menge vor der Wahlbehörde des Maricopa County in der Stadt Phoenix skandierte "Stoppt den Diebstahl" und "Zählt meine Stimme". Mehrere unter ihnen hätten Waffen wie Automatikgewehre gehabt, berichtete eine Korrespondentin des Nachrichtensenders CNN in einer Live-Schaltung.
Die Behörde des Maricopa County betonte, dass die Stimmenauszählung fortgesetzt werde. Das Gebäude wurde unterdessen abgeriegelt, und die Journalisten mussten es verlassen. In Arizona ist es erlaubt, Waffen offen zu tragen.
In einer kurzen Ansprache an die Nation zeigte sich Biden siegessicher. Er erkläre zwar nicht, dass er die Wahl gewonnen habe, sagte der 77-Jährige. Aber wenn die Auszählung beendet sei, werde er als Sieger feststehen. Es sei klar, dass er ausreichend Bundesstaaten gewinnen werde, um die Präsidentschaftswahl für sich entscheiden zu können. Er habe auch ein gutes Gefühl in Pennsylvania, fügte Biden hinzu und betonte, jede Stimme müsse gezählt werden.
Später twitterte der Demokrat, bei einem Sieg werde er am ersten Amtstag dafür sorgen, dass die USA wieder dem Klimaabkommen beiträten.
Der Bundesstaat Nevada, der mit seinen sechs Wahlleuten für eine Punktlandung Bidens sorgen könnte, will erst am Donnerstagabend (MEZ) wieder neue Informationen zum Stand der Auszählung
veröffentlichen. Die Behörden verwiesen darauf, dass noch rechtzeitig per Post verschickte Stimmzettel gültig seien, die bis zum späten Nachmittag am 10. November eintreffen. Derzeit führt Biden knapp vor Amtsinhaber Donald Trump mit 49,33 zu 48,69 Prozent.
Trump geht vor Gericht
Das Trump-Team reichte unterdessen im schwer umkämpften Georgia Klage ein, um die Auszählung der Stimmen zu stoppen. In Georgia sollen alle Stimmzettel zur Seite gelegt werden, die am Wahltag nach 19.00 Uhr Ortszeit eingegangen sind. Ziel sei es, die im Wahlrecht des Bundesstaates festgelegte Frist einzuhalten, hieß es in der Klage weiter.
Auch im Bundesstaat Pennsylvania griff Trump zu rechtlichen Schritten. Trump-Unterstützer erklärten, man wolle per Klage auch hier eine Aussetzung der Stimmenauszählung erreichen. Das Wahlkampfteam sprach von mangelnder "Transparenz" in den Wahllokalen.
Kurz zuvor hatte das Präsidenten-Lager bekanntgegeben, in Michigan ebenfalls vor Gericht gezogen zu sein. Trumps Wahlkampfmanager Bill Stepien teilte mit, das Team des Präsidenten habe in vielen Wahllokalen in Michigan keinen "bedeutsamen Zugang" erhalten, um die Stimmauszählung zu beobachten.
Pennsylvania mit 20 Wahlleuten und Michigan mit 16 Wahlmännern spielen im erbittert geführten Präsidentschaftsrennen zwischen Trump und seinem Herausforderer Biden eine zentrale Rolle. Für Wisconsin beantragten die Republikaner eine Neuauszählung der Stimmen.
Präsident sieht sich weiter als Gewinner
Ungeachtet der noch ausstehenden Ergebnisse will Trump seinen Herausforderer in vier umkämpften Bundesstaaten mit großem Vorsprung geschlagen haben. Er liege in Pennsylvania, Georgia, North Carolina deutlich vorne und in Michigan sei eine "große Zahl" Stimmzettel heimlich weggeworfen worden, twitterte der Präsident. Die Online-Plattform versah Trumps Nachricht umgehend mit einem Warnhinweis.
Bereits wenige Stunden nach dem Ende der Präsidentschaftswahl hatte sich Trump zum Sieger erklärt und angekündigt, eine weitere Auszählung der Stimmen mit rechtlichen Mitteln zu stoppen. Er prangerte dabei angeblichen "Betrug" bei den Briefwahlen an. Er werde seinen Anspruch vor das Oberste Gericht der Vereinigten Staaten bringen, teilte der 74-Jährige weiter mit.
"Wir waren dabei, diese Wahl zu gewinnen", meinte Trump und fügte hinzu: "Offen gesagt haben wir diese Wahl gewonnen."
Michael Morley, Rechtsprofessor an der Florida State University, wies Trumps Behauptung im DW-Gespräch als nicht berechtigt zurück. "Ein Kandidat kann sich nicht einfach selbst zum Sieger erklären," sagte er der Deutschen Welle. Das sei die Aufgabe der Wahlvorsteher. Und diese könnten das Wahlergebnis nicht verkünden, bevor nicht alle Stimmen gezählt seien. Trumps Erklärung habe also rechtlich keinerlei bindende Wirkung, führte Morley weiter aus.
Im Laufe des Mittwochs setzte Trump bereits mehrere Tweets ab, in denen er über die Stimmenauszählung schimpfte und schwere Vorwürfe äußerte. Sein am Dienstagabend noch bestehender Vorsprung sei in einem Bundesstaat nach dem anderen "auf magische Weise verschwunden", schrieb er etwa. Im umkämpften Bundesstaat Pennsylvania werde "hart daran gearbeitet", schnell eine halbe Million Stimmen "verschwinden zu lassen", behauptete er an anderer Stelle. Twitter versah mehrere Nachrichten mit Warnhinweisen wegen "möglicherweise irreführender" Aussagen.
OSZE: keine Unregelmäßigkeiten festgestellt
Demgegenüber konnte die Wahlbeobachtungskommission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) keine Unregelmäßigkeiten bei der US-Präsidentschaftswahl feststellen. Delegationsleiterin Urszula Gacek sagte der Deutschen Welle, man habe keinen Beweis für systemweites Fehlverhalten im Umgang mit Briefwahlunterlagen gefunden. Sie äußerte sich jedoch besorgt über Trumps unbegründete Vorwürfe der Wahlmanipulation zugunsten seines Herausforderers Biden. Damit habe Trump das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler in den Wahlprozess untergraben. "Das steht fest, das haben wir auch so dokumentiert", sagte sie der DW weiter.
Dan Baer, ehemaliger US-Botschafter bei der OSZE, äußerte sich in der DW zum künftigen Verhältnis zwischen den USA und Europa. Dieses müsse eher ein Bemühen um Kooperation sein, als dass die europäischen Länder den Juniorpartner der USA spielten, sagte Baer der Deutschen Welle. "Amerika braucht es, dass sich Deutschland und andere [europäische] Staaten ihrer Verantwortung bewusst werden und weltweit für Demokratie, Menschenrechte und gegen Korruption eintreten."
se/ww (cnn, ap, dw, dpa, afp, rtr)