Biden und Erdogan: Die Spannungen bleiben
2. November 2021Spätestens seit Joe Biden sein Amt als US-Präsident angetreten hat, sind die Beziehungen zwischen der Türkei und den USA angespannt: Die neue Administration in Washington kündigte an, klare Kante gegen die türkische Regierung zu zeigen. Besonders in den Bereichen Sicherheitspolitik und Menschenrechte lässt die Biden-Administration weniger durchgehen, als die des Amtsvorgängers Donald Trump.
Im Rom kam es am Wochenende zu einem mit Spannung erwarteten Treffen zwischen Biden und seinem türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan. Sie führten am Rand des G20-Gipfels ein siebzigminütiges Zweiergespräch hinter verschlossenen Türen - und gaben anschließend separate Pressekonferenzen.
Ein Mechanismus gegen "Meinungsverschiedenheiten"
Aus der Erklärung Bidens ging hervor, dass man Meinungsverschiedenheiten zukünftig effektiver handhaben wolle. Themen wie "der Erhalt demokratischer Institutionen, die Achtung der Menschenrechte und die Bedeutung der Rechtsstaatlichkeit" hätten auf der Tagesordnung gestanden.
"Das Treffen fand in einer positiven Atmosphäre statt", so das Fazit aus dem türkischen Präsidentenpalast. Erdogan kündigte an, "einen Mechanismus einzurichten, um gemeinsames Engagement zu fördern und die Beziehungen zwischen der Türkei und den USA zu stärken". In diesem Rahmen sollen sich Außenminister aus beiden Ländern regelmäßig treffen.
Trotz der positiven Anzeichen sind viele Experten nicht überzeugt, dass durch die Gespräche in Rom eine Annäherung eingeleitet wurde. Der ehemalige Botschafter in Washington, Faruk Logoglu, sagte der DW, dass Erdogan den Eindruck vermitteln wolle, dass die türkisch-amerikanischen Beziehungen gerettet seien. "Er wird versuchen, dieses Treffen der türkischen Öffentlichkeit gut zu verkaufen. Doch eigentlich wurden keine Probleme gelöst." Die US-Administration habe keine Vorschläge zur Lösung des "S-400-Problems" gemacht.
S-400 immer noch Zankapfel
Im Mai 2019 hatte die türkische Regierung die Beziehungen zu Washington auf die Probe gestellt, als sie sich dafür entschied, den Luftraum mit dem russischen Raketenabwehrsystem S-400 zu schützen. In Washington wurde das als Affront gewertet, weil Russland als geostrategischer Gegner des transatlantischen Bündnisses gilt. Die USA ließen in der Folge einen Deal für den Kauf von F-35-Kampfflugzeugen platzen. Washington habe zuletzt jedoch in Aussicht gestellt, dass Ankara stattdessen den Kampfjet F-16 erhalten könne, heißt es aus dem türkischen Präsidialamt. Weil die Türkei immer wieder Militäroperationen im Ausland durchführt, hat Erdogan großes Interesse an dem hochmodernen Tarnkappen-Flugzeug.
"Die S-400 sind weiterhin zentral in den türkisch-amerikanischen Beziehungen. Die Türkei hat bereits 1,4 Milliarden Dollar für die F-35-Jets bezahlt. Trotzdem gibt es auch nach dem Treffen in Rom keine Kaufgarantie für die F-35 oder die F-16", so Ex-Diplomat Logoglu. Das Einzige, was Erdogan gewonnen habe, sei der Ausbau eines türkisch-amerikanischen Dialogs. Ob die USA den Verkauf von Kampfflugzeugen genehmigen, hängt nicht nur von Biden ab - es ist die Zustimmung des US-Kongresses erforderlich.
Casin: Biden braucht die Türkei
"Die amerikanische Seite könnte auch viel verlieren", meint dagegen Mesut Hakki Casin. Der Jurist und Experte für Außenpolitik von der Istanbuler Yeditepe-Universität ist der Auffassung, dass es durch die gemeinsame NATO-Mitgliedschaft eine gegenseitige Abhängigkeit der Länder gebe. "Der konstruktive Dialog, der von Erdogan und Biden herausgehandelt wurde, wird den Weg zur Lösung des F-16-Problems ebnen", so die Prognose Casins.
Wie aus der Erklärung Bidens hervorging, war auch die Lage der Menschenrechte in der Türkei bei dem Treffen in Rom ein zentrales Thema. Anlass dürfte der diplomatische Eklat gewesen sein, der unlängst die Beziehungen mit dem Westen weiter zerrüttete: Erdogan drohte, die Botschafter von zehn Ländern, die sich für die Freilassung des inhaftierten Menschenrechtsaktivisten Osman Kavala eingesetzt hatten, aus der Türkei zu werfen - unter ihnen auch der US-Botschafter.
Menschenrechte für USA ausschlaggebend?
Der Experte für internationale Beziehungen Ilhan Uzgel geht davon aus, dass Menschenrechte für die amerikanische Seite das wichtigste Gesprächsthema gewesen seien. Die neue Dynamik in den türkisch-amerikanischen Beziehungen wird laut Uzgel nun von "Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit" bestimmt sein. Besonders nach dem Diplomaten-Streit rund um den Menschenrechtler Kavala werde "die amerikanische Regierung sich nun stärker auf Menschenrechtsverletzungen konzentrieren und ihre Warnungen an Ankara verstärken". Die Causa Kavala sei zukünftig zentral für die türkisch-amerikanischen Beziehungen, so Uzgel.
Dass für Biden bei der Türkei in punkto Demokratie und Menschenrechte noch Nachholbedarf sieht, zeigt sich auch an einem globalen "Gipfel für Demokratie", den er für den 9. und 10. Dezember einberufen hat. Zu dem Treffen, mit dem die US-Regierung auf der ganzen Welt Demokratien und Grundrechte stärken möchte, wurde die Türkei - neben autokratischen Ländern wie China, Russland, Iran, Ungarn, den Philippinen und Myanmar - nicht eingeladen.
Aus dem Türkischen adaptiert von Daniel Derya Bellut