"Bild-Zeitung" wird 60
25. Juni 2012Schlagzeilen konnten sie schon immer. "Wir sind Papst", titelt "Bild" 2005, als der Deutsche Joseph Ratzinger zum obersten katholischen Kirchenführer gewählt wurde. Eine Kombination aus Anmaßung und Identitätsstiftung. Wer für "Bild" schreibt, muss das Geschäft der Verknappung beherrschen.
"Eine 'Bild'-Schlagzeile ist immer dann gut", erklärt Bild-Chefredakteur Kai Diekmann, "wenn sie exklusiv ist oder wenn es eine Schlagzeile ist, die bewegt, ein Gefühl der Menschen trifft. Das können auch Schlagzeilen sein, die aus tragischen Ereignissen resultieren". So entschied sich die "Bild"-Redaktion am Tag nach den Anschlägen auf das World Trade Center für ein Stoßgebet als Titel: "Großer Gott steh' uns bei", war zu lesen. Womit wohl die Empfindungen der meisten Leser getroffen wurden.
Vom Unpolitischen zum Wiedervereinigungsorgan
Ganze vier Seiten dünn war die Erstausgabe der "Bild" am 24. Juni 1952. Axel Springer, der Vater des Blatts, hatte sein Konzept entlang englischer Boulevard-Zeitungen entwickelt: viel Bild, wenig Text, populäre Themen. Knapp ein Jahr später wurde die "Bild"-Zeitung schon 500.000 Mal am Tag verkauft. Politik spielte kaum eine Rolle.
Das ändert sich mit dem Bau der Berliner Mauer. "Der Westen tut NICHTS!", lautet die Anklage auf Seite eins, umrahmt von Stacheldraht. Seitdem ist "Bild" politischer und ihr Gründer und Herausgeber Axel Springer vertritt über seine Zeitung mehr und mehr eine eigene Deutschlandpolitik. Die steht im Gegensatz zur Adenauerlinie der konsequenten Westanbindung der Bundesrepublik. Springer fordert schon früh die Wiedervereinigung. Politik und politische Einmischung gehören nun mit zum Profil des Blatts und die Leser bleiben "Bild" treu.
Hat "Bild" mitgeschossen?
Während der Studenten-Unruhen Ende der 60er-Jahre ist "Bild" nicht nur publizistischer Begleiter der historischen Periode. Die Zeitung gerät selbst ins Visier der Studenten-Kritik. Als auf den charismatischen Studenten-Führer Rudi Dutschke geschossen wird, ziehen Tausende in vielen Städten unter dem Slogan "Bild hat mitgeschossen" durch die Straßen. Die Redaktion in München wird verwüstet, die Druckerei in Hamburg blockiert. Die Auflage sinkt um eine Million. "Bild" hatte sich komplett auf die Seite der Staatsgewalt gestellt. Doch die Blattmacher zeigen sich flexibel. Politik wird kleiner gefahren, dafür wird mehr auf Sensationsjournalismus gemacht.
Auch mit fragwürdigen Mitteln, wie der Schriftsteller Günter Wallraff belegte, der unter falschem Namen in einer "Bild"-Redaktion arbeitete. "'Bild' bricht ins Private, ja sogar ins Intime der Menschen ein", so Wallraff, der angibt, über mehrere Abschiedsbriefe von Menschen zu verfügen, die sich nach Verleumdungsgeschichten der Zeitung das Leben genommen hatten. In diesen Briefen sollen sie die "Bild"-Zeitung für ihr Handeln verantwortlich gemacht haben.
Die Macht des Boulevards
"Bild" ist eine Macht. Wer politisch in Berlin das Sagen hat, kann an der provozierenden Zeitung nicht vorbei. Für Friedhelm Ost, Ende der 80er-Jahre Regierungssprecher unter Helmut Kohl, war das Blatt tägliche Pflichtlektüre. Denn die Headline bestimmte für ihn in gewisser Weise auch die Stimmungslage der Nation.
Selbst die ausländischen Vertretungen in Berlin werteten die schnelle Zeitung aus, bekennt Rob Ellis von der britischen Botschaft in Berlin. Weitergegeben werden vor allem Meinung und die Themen, die gesetzt werden. Das interessiert die politischen Beamten und Politiker in London.
Die Bedeutung der "Bild"-Zeitung auf die Meinungsbildung im Lande hat niemand so auf den Punkt gebracht wie Kanzler Gerhard Schröder, der unumwunden eingestand, dass er zum Regieren eigentlich nur die "Bild" und die "Glotze" (das Fernsehen) brauche. Vor "Bild" kusche der ganze Bundestag, schrieb einmal die alternative Tageszeitung (taz), die publizistisch immer mal wieder mit "Bild" über Kreuz liegt.
Georg Streiter, stellvertretender Sprecher der Bundeskanzlerin, beurteilt die Bedeutung des Blatts differenzierter. "Bild" sei keine direkte Macht, habe aber die Funktion eines Agenda-Setters. Wenn "Bild" ein bestimmtes politisches Thema gar nicht aufgreife, so Streiter, der früher selbst "Bild"-Redakteur war, dann sei so mancher Politiker erleichtert. Insgesamt sei die Zeitung heute deutlich seriöser, nicht mehr so krawallig und blutig wie früher.
Wenn Medien Politiker stürzen
Die "Bild"-Zeitung zwingt gelegentlich auch die ganz Großen der Politik in die Knie - dann nämlich, wenn die sich von dem Blatt abwenden. Der Sturz Christian Wulffs als Bundespräsident ist neben Wulffs objektiven Fehlern letztlich die Folge einer wochenlangen "Bild"-Kampagne gegen das Staatsoberhaupt.
Als niedersächsischer Ministerpräsident galt Wulff lange als Freund des Boulevard-Blattes, im höchsten Staatsamt angekommen glaubte er plötzlich, auf die freundliche mediale Begleitung der "Bild"-Redaktion verzichten zu können, vermutet jedenfalls Gregor Gysi, der prominenteste Politiker der Linken in Ostdeutschland. "Bild" habe ihm beweisen wollen, dass er sich in dieser Einschätzung irrt, so Gysi. Das ist Wasser auf die Mühlen derer, die schon immer behauptet haben, dass man gut mit, aber nicht ohne "Bild" regieren könne.
Fest steht: Eine Zeitung, die täglich von rund zwölf Millionen Menschen gelesen wird, ist eine feste Größe in der deutschen Gesellschaft. Eine, die man nicht mögen, aber als Tatsache anerkennen muss.