Bilder einer zerrissenen Welt
Wolfsjunge, Road Trip und melancholische Oligarchen-Kinder - nicht nur das zeigt das "goEast"-Filmfestival für mittel- und osteuropäisches Kino in Wiesbaden. Dabei schafft ein Film etwas, das die Politik nicht vermag.
Blick im fremde Kinowelten
Wenn in Deutschland von Filmfestivals die Rede ist, dann denkt man an die Berlinale, an rote Teppiche und Hollywood. Doch das Angebot hierzulande ist wesentlich vielfältiger. Ein besonderes Highlight jedes Jahr: das "goEast"-Festival für das mittel- und osteuropäische Kino in Wiesbaden. Dort kann man in diesem Jahr Meisterwerke wie den russischen Film "Die weißen Nächte des Postboten" sehen.
In den Weiten Sibiriens
Altmeister Andrei Konchalovsky erzählt in "Die weißen Nächte des Postboten" aus dem sibirischen Alltag und setzt dabei auf phantastische Naturbilder. Ebenfalls aus Russland kommt der Film "Engel der Revolution" von Aleksey Fedorchenko: eine mit surrealen Momenten aufgefächerte Geschichte aus der russischen Revolution, die mit der Einblendung endet: "Basierend auf aktuellen Ereignissen".
Road Trip-Doku
Auch der knapp einstündige Dokumentarfilm "Zusammen" von Denis Shabaev ist in Wiesbaden zu sehen: ein intimes Videotagebuch, das von der Reise eines Vaters mit seiner kleinen Tochter durch Deutschland und Skandinavien erzählt. Russische Filme müssen nicht immer politisch sein. Der Wettbewerb des "goEast"-Filmfestivals zeigt 16 Beiträge, 10 Spielfilme und sechs Dokumentationen.
Unverputzt und ungeschminkt
Beim Treffen der mittel- und osteuropäischen Regisseure in Wiesbaden bekommen die deutschen Zuschauer einen Eindruck vom Leben aus einem Europa, das fernab touristischer Pfade liegt. Nationen wie Bulgarien, Rumänien oder Serbien gehören schließlich nicht zum Standardprogramm der hiesigen Reiseanbieter. Umso überraschender fallen die filmischen Eindrücke aus, die man mit nach Hause nehmen kann.
Russisch-ukrainische Zusammenarbeit
Was in der Politik derzeit unmöglich erscheint, macht das Kino vor: eine Zusammenarbeit zwischen Moskau und Kiew. Als russisch-ukrainische Co-Produktion entstand "Unter elektrischen Wolken" von Aleksey German jr. Der Film wagt einen Blick in das Russland des Jahres 2017: eine düstere Zukunftsvision um kirgisische Bauarbeiter, melancholische Oligarchen-Kinder, Künstlerinnen und Junkies.
Verloren in der Welt
Einer der bewegendsten Filme des "goEast"-Festivals kommt aus Serbien. Regisseur Vuk Ršumović erzählt in "Niemandskind" von einem Jungen, der fernab jeder menschlichen, modernen Zivilisation aufgewachsen ist. Die Geschichte des Wolfskindes basiert auf wahren Geschehnissen. Auch das Kino hat das Sujet mehrfach aufgegriffen, zum Beispiel François Truffaut 1970 in "Der Wolfsjunge".
Dunkle Flecken der Vergangenheit
Deutsche Zuschauer werden bei "goEast" mit historischen Ereignissen konfrontiert, von denen die meisten kaum je etwas gehört haben dürften. Die kroatische Dokumentation "Goli" erzählt von einer Episode jugoslawischer Historie vor 60 Jahren und gibt Einblicke in die Politik des Landes unter Tito. So bietet das Festival auch interessante Lektionen in Sachen mittel- und osteuropäischer Geschichte.
Sowjetunion adé
Viele Filme kreisen um den Zerfall des ehemaligen Riesenreichs Sowjetunion und um das Leben in den Nachfolgestaaten heute. Im Film "Kreditlimit" (Georgien/Frankreich/Deutschland) der georgischen Regisseurin Salomé Alexi geht es um Vergangenheit und Verklärung, um das Leben in der Gegenwart und die Auseinandersetzung mit Politik und Psyche. Das Wiesbadener Filmfestival "goEast" endet am 28.4.2015.