Bauchweh vor der Fleischtheke
15. Juni 2016Bei Netto gibt's aktuell 600 Gramm Schweine-Nackensteaks für 2,19 Euro (entspricht 3,65 Euro/Kilogramm). Penny hat "Fleisch mit Qualitätsversprechen" im Angebot - 1000 Gramm Hähnchen-Brustfilets für 4,99 Euro.
Im Vergleich zu den Preisen von Metzgerei oder Hofladen scheint das sehr günstig - oder sagen wir eher billig? Denn dort kann man für das Kilo Bio-Nackensteak zum Beispiel rund 16 Euro zahlen oder 30 Euro fürs Kilogramm Bio-Hähnchenfilet.
Auch die Discounter und Supermärkte bieten neben konventionellen Produkten häufig "bio" an - oder zumindest Produkte mit Siegeln, die eine biologische Herkunft implizieren. Günstiger als der Metzger um die Ecke sind die meist trotzdem noch.
Das mahnt auch Andreas Winkler von der deutschen Verbraucherschutzorganisation Foodwatch an. "Es gibt jetzt schon Hunderte, wenn nicht gar Tausende Gütesiegel im Lebensmittelbereich. Der Verbraucher im Supermarkt blickt kaum noch durch, welches Siegel seriös ist und welches nur ein Marketinggag, das sich die Lebensmittelindustrie selbst verleiht, um ihren Produkten ein besseres Image anzuheften."
Diese Irreführung spiegeln auch Umfrageergebnisse wider: Danach ist es den meisten Verbrauchern beim Einkauf "egal, welches Biosiegel drauf ist". Hauptsache irgendeins!
Aber ist das wirklich so einfach - reicht das für ein reines Gewissen? Nicht wirklich. In der Tat kommt es auf das tatsächliche Siegel und den damit verbundenen Bedingungen an, wissen die Experten.
Glückliche Tiere auf grüner Wiese? Fehlanzeige.
Da gibt es zum Beispiel das europaweit standardisierte Biosiegel: weiße Sterne auf grünem Blatt. Quasi die Basisversion der Biosiegel. Es schreibt vor, dass mindestens 95 Prozent der Inhaltsstoffe eines Bioprodukts aus zertifiziertem Ökolandbau stammen müssen und höchstens 0,9 Prozent gentechnisch verändertes Material enthalten dürfen.
Sind diese Kriterien erfüllt, darf eine Ware in der EU mit den geschützten Begriffen "bio", "öko" oder "aus kontrolliert biologischem Anbau" versehen werden.
Dieselbe Bedeutung hat das sechseckige deutsche Pendant zum EU-Siegel. Dieses wird heute oft noch zusätzlich auf der Verpackung abgebildet, einfach, weil es uns vertrauter ist.
Woran erkennt man "gutes" Fleisch?
Die standardisierten europäischen und deutschen Biosiegel decken längst nicht ab, was sich viele Verbraucher unter Biohaltung vorstellen. Konkrete Regelungen in puncto Tierschutz beinhaltet die EU-Öko-Verordnung aber kaum. Sie schreibt zwar eine "artgerechte Tierhaltung" vor, das bedeutet aber im Klartext Folgendes: Es sind etwa doppelt so viele Legehennen oder Masthühner pro Fläche erlaubt als bei den drei größten deutschen Bioverbände Bioland, Demeter und Naturland. So dürften die Zustände in manchem Biobetrieb eher denen in konventioneller Tierhaltung ähneln statt unserer Vorstellung von glücklichen Tieren auf sattem Grün.
Die Richtlinien des EU-Siegels machen zudem keine Angaben darüber, wie weit der Schlachthof entfernt sein darf. Während Transporte bei Bioland, Demeter und Naturland auf maximal vier Stunden oder 200 Kilometer begrenzt sind, könnte ein Schwein mit EU-Biosiegel eine Fahrt durch halb Europa hinter sich haben, kritisiert Utopia, Deutschlands selbsternannte "Nr.1-Webseite für nachhaltigen Konsum". Und die ganze beschwerliche Reise nur, um schließlich als Schnitzel zu enden.
Zusammenfassend stehen die Anforderungen des EU-Biosiegels also zum Teil deutlich hintern denen der privaten Verbände - wie Bioland, Demeter oder Naturland - zurück. Deren Produkte finden wir jedoch nicht beim Discounter.
Diskussionsbedarf über Tierwohl und Qualität
Indes ist in der Grünen-Fraktion ein Streit über den Kampf gegen Billigfleisch im Supermarkt ausgebrochen. Nachdem sich der Abgeordnete Friedrich Ostendorff für einen Mindestpreis bei Fleisch ausgesprochen hatte, widersprach ihm kurz darauf Fraktionschef Anton Hofreiter. "Ich halte staatlich verordnete Mindestpreise nicht für den richtigen Weg", sagte er gegenüber der "Passauer Neuen Presse".
In Deutschland ist Fleisch seit einiger Zeit sehr billig. Bei Bauern sorgt das für Existenzängste und für Sorgen um das Wohl der Tiere. Mit Mindestpreisen wollte Ostendorff dem Dumpingtrend einen Riegel vorschieben. "Für 2,99 Euro kann niemand ein Kotelett gewinnbringend produzieren, bei dem es dem Tier auch noch gut gegangen ist." Tierwohl und Qualität seien so nicht möglich, sagte der Agrarexperte gegenüber der "Saarbrücker Zeitung". "Der Handel sagt selbst, dass 70 Prozent der Fleischmenge im Supermarkt verramscht wird und im Sonderangebot erhältlich ist."
Hofreiter bezeichnete Ostendorffs Vorstoß als "Debattenbeitrag eines einzelnen Abgeordneten". Er selbst wolle "die Vermachtung im Handel aufbrechen, Marktstrukturen fairer gestalten und die Fördergelder neu verteilen". Eine Diskussion über die Fleischpreise sei im Grunde also richtig.
Es müsse Mindeststandards in der Tierhaltung geben. Schweine sollte man in den Ställen mehr Platz geben und bestimmte Haltungsformen nach und nach abschaffen, sagte Hofreiter im DW-Interview.
Verbraucher sollen mitdenken
Außerdem fordert Hofreiter, Konsumenten besser zu informieren, damit diese sich selbst entscheiden können. Er hält auch beim Fleisch eine Kennzeichnung für sinnvoll - wie etwa bei den Eiern, denn "da steht ja drauf, ob die Hühner in Käfigen leben, Auslauf haben und ob sie Biofutter bekommen."
Hier sind aber auch die Verbraucher in der Pflicht, nicht einfach blauäugig irgendwelche Bioprodukte zu kaufen, sondern zu hinterfragen und sich anderweitig schlau zu machen.