Bio-Boom wegen Dioxin-Effekt
27. Januar 2011Schinken mit Meeressalz, Leberknödel, Putenbrustfilet. Biometzger Bernd Huth schneidet, wiegt und verpackt wie am Fließband. Ihm laufen schon kleine Schweißperlen über die Stirn, dabei ist es kalt, gerade mal zwei Grad hat es auf dem Bonner Münsterplatz. Schon seit Jahren steht er hier auf dem Biomarkt. Doch heute ist er etwas nervös, immer wieder schweifen seine Augen nach links, ans Ende der Schlange. Und die wird nicht kürzer. "Man merkt schon, dass viele Kunden neu dazugekommen sind. Deshalb haben wir jetzt ein Problem: Wir können die Nachfrage nicht mehr bedienen", seufzt er, und begrüßt dann mit einem herzlichen Lächeln die nächste Kundin.
Schweinefleisch ist heiß begehrt
Vor allem beim Schweinefleisch muss Metzger Huth bald passen. Er zeigt auf die halbleeren Behälter in der Auslage, das sei der Rest. Genau darauf hat es der Herr im blauen Anorak abgesehen, er steht ganz hinten in der Schlange. "Ich brauche Hackfleisch, Schweinehack. Sie wollen jetzt bestimmt wissen, warum ich es kaufe? Das hat mit den aktuellen Nachrichten über Dioxin zu tun", erklärt er, und wird ein bisschen rot, als er gesteht, dass er normalerweise sein Fleisch im Supermarkt kauft. "Es stimmt, die ganze Dioxin-Geschichte macht einen schon nachdenklich", mischt sich da die Dame vor ihm ein. "Wenn man in den Fernsehberichten sieht, wie das alles zusammenhängt, das ist schon schlimm."
Folge der Nachfrage: Biofleisch wird teurer
Auch sie und ihre Freundin sind Neukunden beim Biometzger und beobachten etwas erschrocken, wie viel die Kunden vor ihnen bezahlen. 49 Euro wandern gerade in Metzger Huths Kasse, für eine Pute. Qualität sei eben nicht billig, meint Huth schmunzelnd hinter der Theke. Doch dann wird der stets gut gelaunte Mann ernst: "Die Lieferanten haben schon angekündigt, dass sie die Preise anheben, weil die Nachfrage momentan so riesig ist." Und er bezweifelt, dass die Preise wieder runter gehen werden, wenn der Boom vorbei ist. Das heißt für ihn: "Sobald die Nachfrage wieder zurückgeht, werden wir auf den höheren Preisen sitzen bleiben. Und unsere Kundschaft wohl auch."
Biofleisch-Boom nur ein "Strohfeuer"
Um wie viel genau die Preise steigen werden, weiß Huth selbst noch nicht. Er weiß nur ab wann, nämlich ab sofort. Er blickt auf die Schlange. Natürlich, meint er, das Geschäft brumme seit Beginn des Dioxinskandals. Ein Drittel mehr Umsatz macht er. Wie lange das anhalte? Da lacht der stämmige Mann. "Das kann man ziemlich gut daran fest machen, ob noch etwas auf der ersten Seite der Zeitung steht. Solange dort noch das Wort 'Dioxin' erscheint, bleiben die Krisenkunden bei der Stange. Aber sobald es drei bis fünf Tage weg ist, sind die neuen Kunden auch wieder weg."
Krisenverhalten seit Jahren unverändert
Er wischt sich hektisch die Hände an der Schürze ab. Das Thema Lebensmittelkrise bringt ihn in Rage. Schließlich verkauft er schon seit zwanzig Jahren Biofleisch und hat in dieser Zeit schon einige Krisen miterlebt. "BSE war die große, ganz große Krise. Das war schlimm. Die Kunden hatten die Panik in den Augen stehen", erinnert er sich. Auch damals hätten sich die Leute fast um sein Biofleisch geprügelt. "Heute ist es wieder so, es hat sich nicht viel verändert im Krisenverhalten. Wenn die Krise da ist, schreien alle. Und sobald die Krise vorbei ist, bleiben nur die Stammkunden übrig."
Bioeier? Ausverkauft!
Etwa zehn Autominuten entfernt, der Biosupermarkt Momo: Lange Regalreihen, es duftet nach einer Mischung aus frischem Brot und Käse. Eine junge Frau mit grellroter Tasche scannt die Theken ab. "Ich muss mich erst mal orientieren", meint sie, "ich bin nämlich zum ersten Mal hier im Biosupermarkt." Sie steuert auf einen leeren Tisch zu. "Es sieht so aus, als ob das der Eierstand war, da sind gerade noch ein paar wenige Paletten übrig - von einem ganzen Tisch." Hinter dem Tisch sortiert gerade Uli Rothert die letzten Eier zusammen. Der Inhaber des Biosupermarkts schüttelt den Kopf. "Normalerweise würde hier das Fünffache stehen. Es sollten 1000 Eier sein. In normalen Zeiten verkaufen wir 4500 Eier pro Woche. Aber jetzt im Augenblick mit der Dioxinkrise sind es 7000 - wenn sie denn nur da wären", lacht er. Doch zum Lachen ist ihm eigentlich nicht zumute, schließlich hat er nun ein ernsthaftes Problem: Zum ersten Mal bekommt er keine Eier mehr - nicht eine einzige Palette. Eiermangel, der Großhändler kann nicht mehr liefern.
"Sie kommen nur, wenn Not am Mann ist"
Rothert zwinkert der jungen Frau zu. Vor allem Krisenkunden wie sie würden auch bei ihm gerade den Umsatz steigern. 30 Prozent mehr bei Eiern und Fleisch, genau wie bei Metzger Huth auf dem Markt. "Erst mal ist das ja schön", meint der Chef, "aber es ist schon komisch, dass die Leute immer nur dann kommen, wenn Not am Mann ist. Wir hatten das schon bei einigen Skandalen. Sechs Wochen nach Ende eines Lebensmittelskandals ebbt die Nachfrage wieder ab, bis zum nächsten Skandal. Traurig."
Hinzu käme, dass die Stammkunden momentan sauer werden, wenn sie vor leeren Regalen stehen. Rothert drückt der jungen Frau die letzten Eier in die Hand und erntet ein dankbares Lächeln. Wo sie denn nach der Krise ihre Eier kaufen werde? Etwas verlegen fährt sich die Frau durch die Haare, "ganz ehrlich, wenn die Dioxingeschichte rum ist, werde ich meine Eier wohl wieder im normalen Supermarkt kaufen."
Autorin: Miriam Klaussner
Redaktion: Zhang Danhong