Biohacking - Gentechnik aus der Garage
18. Dezember 2017Es ist ein verregneter Montagnachmittag im Dezember als Alessandro Volpato die mit Graffiti besprühten Rollladen eines kleinen Studios in Berlin Neukölln hochzieht und den elektronischen Heizkörper einschaltet. Der 32-jährige Italiener, schlank, schwarze Haare, türkis-blauer Wollpullover, reibt sich die Hände und schaltet das schwache Licht ein.
Das kleine Studio im Erdgeschoss eines Mehrfamilienhauses ist noch kalt. In dem Raum steht eine Sofaecke, auf einem kleinen Tisch ein Wasserkocher und ein paar schmutzige Teetassen. An der Wand befindet sich eine weiße Einbauküche, auf deren Arbeitsplatte Volpato eine schwere Tasche hievt. "Ich habe einiges mitgebracht", schnauft er und packt allerlei Kabel und Elektronikplatinen aus, sowie aus blitzenden Aluminiumscheiben und Kupferrohren zusammengeschweißte Geräte. Außerdem hat er eine Schale Heidelbeeren und eine Basilikumpflanze dabei.
Kein Salz und kein Pfeffer - keine normale Küche
Im Kühlschrank und in den Regalen der Küche blühen in gestapelten Petrischalen rote und gelbe Pilz- und Bakterienkulturen, auf der Herdplatte steht ein Druckkochtopf zum Desinfizieren, daneben ein Reagenzglashalter und verschiedene Fläschchen. Sie enthalten Schelllack, Benzin, Essig oder das Algenpräparat "Agar-Agar".
Alessandro Volpato ist weder Hobbykoch noch Chemiker oder Elektriker, aber vielleicht eine Mischung aus allem, plus einer vierten - der wichtigsten Komponente: Er ist Biologe, "Do-it-yourself-Biologe" oder Biohacker, wie die Anhänger der zwar noch kleinen - aber inzwischen weltweiten - Bewegung genannt werden.
"Hacken" bedeutet, Dinge aus ihrem ursprünglichen Kontext zu lösen und ihnen neue Form zu geben. Biohackern geht es nicht darum, in Computernetzwerke einzudringen und Informationen von fremden Rechnern zu saugen. Sie sind Amateurforscher, Biologen, Techniker, Physiker, Künstler oder einfach nur Interessierte, die sich kreativ und interdisziplinär mit Biologie auseinandersetzen und forschen - unabhängig von großen Konzernen und der Politik.
Sie experimentieren mit Bakterien und Pflanzen. Sie interessieren sich für Gene und Erbinformationen und dafür, wie man sich seine Laborgeräte selber bastelt, ohne viel Geld ausgeben zu müssen. Weil in den allermeisten Fällen die finanziellen Mittel nicht ausreichen, um sich ein professionelles Labor aufzubauen, experimentieren sie in der Regel in den eigenen Küchen oder Garagen. Die Biohacker um Volpato teilen sich auch einen Raum mit einem Kulturverein. Dort haben sie ihren Hackerspace. Von echten Laborbedingungen kann dabei nicht die Rede sein. Deshalb funktioniert nicht alles, aber vieles.
Technik trifft Biologie trifft X
Alessandro Volpato arbeitet zurzeit an einem sogenannten OpenDrop-Prototyp. Das ist ein handgroßes chipgesteuertes Gerät, mit dem Verfahren zur Manipulation von Zellen und Molekülen in Zukunft automatisch durchgeführt werden sollen. Forschungsabläufe könnten dadurch enorm beschleunigt werden.
Mit einem Freund, der sich mit Elektrotechnik auskennt, arbeitet er außerdem noch gemeinsam an einer Maschine, die automatisch Gene vervielfältigen kann. Und wofür sind die Heidelbeeren und das Basilikum da? "Für eine Kollegin, sie arbeitet an der natürlichen Herstellung von Farbpigmenten."
Einen Job an der Universität hat Volpato nie bekommen. In die Wirtschaft wollte er nie. "Ich habe mich irgendwann damit abgefunden, dass ich keine Chance im akademischen Bereich habe. Jetzt forsche ich eben alleine und mit der Community."
Mit Schwarmintelligenz schwimmt man schneller
Biohacker arbeiten selten alleine und setzen oft auf die Schwarmintelligenz. Durch interdisziplinäres Forschen entwickeln sie Ideen oft schnell und unkonventionell. "Das bringt völlig neue Ansätze", sagt er. Nach dem Open Source-Prinzip veröffentlichen sie alle Bau- und Versuchsanleitungen und gegebenfalls die Ergebnisse der Versuche. Sie sind jedem zugänglich. Biohacking habe daher vor allem soziale und politische Dimensionen, sagt Volpato.
"Wir wollen, dass die technischen und wissenschaftlichen Fortschritte mit der gesamten Gesellschaft geteilt werden und jeder die Möglichkeit hat, sich an der Entwicklung zu beteiligen." Außerdem wollen die Biohacker aufklären, damit sich jeder eine gut informierte Meinung machen kann - zum Beispiel beim umstrittenen Thema Gentechnik.
Angewandte- und Grundlagenforschung
Das Spektrum der Forschung ist in der DIY-Biologie-Szene recht breit. Es reicht von der harmlosen Herstellung von Dämmmaterial aus Pilzsporen bis zur genetischen Veränderung von krankheitserregenden Bakterien. Der DIY-Biologe Josiah Zayner ging in diesem Jahr sogar soweit, sein eigenes Erbmaterial zu verändern und zu injizieren. Was für die meisten Menschen wohl wahnwitzigen klingen mag, sieht Zayner als ersten Schritt auf dem Weg in eine neues Zeitalter, in der die Menschen "nicht mehr Sklave ihrer eigenen DNA sein werden".
In Deutschland ist die Manipulation von Genen oder die Arbeit an beispielsweise multiresistenten Keimen sehr streng reguliert und für Do-it-yourself-Biologen strafbar. Anders in den USA: Dort ist es für jedermann möglich, schon für 159 Dollar ein Starterkit für Genexperimente an krankheitserregenden Mikroben zu erstehen. Eine als Genschere bekannte neue Methode macht Genmanipulationen relativ einfach und kostengünstig. Ein Gesetz, das Küchengenetik beschränkt, gibt es dort nicht.
Deshalb sind die Behörden dort auch in höherer Alarmbereitschaft. Das FBI beobachtet die Szene. Mit der Biohacker-Realität von Alessandro Volpato hat das wenig zu tun. Ihm geht es um freie Forschung ohne Doktorvater. Er möchte weder Gott spielen noch jemandem schaden.
Den Anfang machten Künstler
Die Anfänge der Szene reichen bis in die frühen 1990er Jahre zurück als sich eine kleine Gruppe avantgardistischer Künstler mit biologischen Themen beschäftigte. Ab den 2000er Jahren begannen sie sich global zu vernetzen - befeuert durch das Internet. Heute gibt es globale und regionale Netzwerke, die auf Konferenzen und Workshops zusammenkommen und ihr Wissen teilen.
Es zählt, was den Menschen hilft
Biohacker haben von Land zu Land ganz unterschiedliche Ansätze. "In Kamerun zählt der Nutzen, und nicht, ob wir mit der Universität zusammenarbeiten oder nicht. Wir brauchen das Wissen der Wissenschaftler und der Studenten, um den Menschen hier vor Ort zu helfen", sagt der studierte Mikrobiologe Thomas Hervé Mboa Nkoudou.
Der 34-Jährige ist der Organisator einer afrikanischen Open-Science-Konferenz in Ghana und will im kommenden Jahr das erste Do-it-youself-Biolab Afrikas eröffnen. Er sieht enormes Potenzial in der Do-it-yourself-Bewegung für den afrikanischen Kontinent. "Ich möchte konkrete Dinge entwickeln, die das Leben hier verbessern: Wasserfilter zum Nachbauen, natürlicher Ersatz von Babynahrung, einfache Medikamente gegen Durchfall oder auch natürliche Pflanzenschutzmittel."
Wichtig sei, dass Biohacking vor Ort seinen Nutzen entfaltet. "Für uns geht es nicht um die Unabhängigkeit von den Wissenseliten, sondern um die Unabhängigkeit vom Geld, das wir nicht haben, um Produkte und Maschinen zu kaufen. Dann basteln wir sie eben selbst", sagt Nkoudou.
Von der rebellischen Haltung einiger Biohacker in Europa hält er nichts, ebenso wenig wie von der Kapitalisierung der Forschungsergebnisse in der freien Marktwirtschaft - also vom Verkauf von Ideen an große Firmen oder von der Gründung von Start-Ups aus der Open-Science-Szene heraus. Dieses Thema sorgt inzwischen häufiger für Spannungen unter den Biohackern.
Aus Open Source wird Start-Up?
Oscar Joel de la Barrera, Mitbegründer des Netzwerks Biohackers Mexico, findet das allerdings nicht schlimm. Seine Organisation versucht sowohl die Grasroots-Szene der Biohacker in Mexiko zusammenzubringen als auch Kontakte in die Wirtschaft und Industrie aufzubauen. "Mexiko ist nicht sehr entwickelt in diesem Bereich, wir wollen natürlich auch Firmen von hier und aus dem Ausland ansprechen, in Mexiko zu investieren."
Er selbst forscht an natürlichen Fungiziden, die Insekten vor Pilzbefall schützen sollen.
Seine Vision: In Zukunft sollen Insekten weltweit das Fleisch ersetzen. De la Barrera glaubt, dass Investitionen in Gentechnik den Menschen große Chancen bringen. Die Biohacking-Szene bringe schneller neue und andere Ideen hervor. "Diese lassen sich oft kostengünstig umsetzen und für Investoren relativ einfach realisieren."
Soweit ist Alessandro Volpato aber noch nicht. Sein OpenDrop-Prototyp hat auch nach mehreren Versuchen nicht so funktioniert wie er sollte. Und die Maschine zu Vervielfältigung von Genen klemmt auch noch hier und da. Natürlich bastelt er weiter daran - auch ohne Gelder aus der Wirtschaft. Er und seine fünf Mitstreiter haben zur Finanzierung einiger Anschaffungen einen anderen Weg gewählt: Um die eigenen Ideen umsetzten, starteten sie eine Crowdfunding-Kampagne und gründeten den ersten DIY-Biologie Verein in Deutschland - alles ohne Doktorvater.