Kunststoffe aus der Natur
2. April 2015Nur etwa ein Prozent der heutzutage produzierten Kunststoffe werden nicht aus Erdöl gewonnen. Dennoch sind Biokunststoffe im Kommen. Manfred Rink von Bayer Material Science zeigt ein modernes Polstermöbel - einen Schaumstoffwürfel. Das besondere daran: Der Schaumstoff, der darin steckt enthält einen Anteil CO2, gewonnen aus den Abgasen eines Braunkohlekraftwerks.
"Das C im CO2 ist sehr interessant für Chemiker", betont Rink. Denn dieser Kohlenstoff ist eben auch der Hauptbestandteil von Öl und damit von Kunststoffen jeglicher Art. Daher sei es naheliegend gewesen, sich Wege zu überlegen, wie man den Kohlenstoff aus dem CO2 herausholen kann, um damit etwas Neues zu schaffen. "Diesem Traum sind wir in den letzten Jahren deutlich näher gekommen", so Rink. "Gemeinsam mit der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen haben wir in der Grundlagenforschung große Fortschritte gemacht", sagt der Ingenieur.
Katalysatoren und Enzyme sparen Energie
Die Herausforderung für Bayer und die Forscher der Universität war es, das CO2 aufzubrechen, ohne viel zusätzliche Energie hineinzustecken. Denn nur dann hat das ganze einen Sinn. Man will sich ja eine CO2-Einsparung nicht damit erkaufen, dass man woanders zuerst wieder fossile Energieträger verbrennen muss.
Gelungen ist es die Energieeinsparung durch einen speziellen Katalysator, den Bayer entwickelt hat. Das Verfahren ist jetzt schon soweit entwickelt, dass in wenigen Jahren Schaumstoffe mit dieser Technik auf den Markt kommen könnten. Derzeit entsteht eine reguläre Produktionsanlage, die voraussichtlich 2016 in Betrieb gehen kann.
Krabbencocktail an Orangenschalen
Ganz ähnlich geht Tobias Gärtner vor. Er forscht am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen und Bioverfahrenstechnik in Straubing an der Herstellung von Kunststoffen aus anderen Abfallprodukten, wie Lignin. Dieser Reststoff fällt an, wenn man Holz zu Zellulose verarbeitet. "Wir brechen das Lignin in einer Kombination aus Biotechnologie und chemischer Katalyse klein", sagt der Chemiker. Enzyme, also Eiweiße, die durch den Einsatz von Bakterien gewonnen wurden, dienen dann als Bio-Katalysatoren und brechen das CO2 auf.
Die Enzyme entfalten ihre katalytische Wirkung üblicherweise bei Temperaturen zwischen 30 und 40 Grad Celsius. Diese Temperaturen lassen sich umweltfreundlich durch sogenannte Prozesswärme erzeugen, also aus Abwärme die in allen möglichen Industrieanlagen ohnehin anfällt. Mit dem Verfahren bekommt Gärtner zuerst Monomere, also einzelne Moleküle, um daraus wieder Polymere - langkettige Kohlenwasserstoffe - zu machen. Sie sind der Grundbestandteil von Kunststoffen.
Einen anderen Kunststoffbaustein kann Gärtner auch aus Orangenschalen oder Nadelhölzern gewinnen - aus sogenannten Terpenen. "Diese Moleküle haben von Natur aus schon eine definierte Struktur und lassen sich herausfiltern", erklärt er. Besonders wichtig für eine chemische Massenproduktion: "Sie kommen in Europa in mehreren tausend Tonnen pro Jahr vor", so Gärtner
Was auch tonnenweise anfällt, sind stinkende Fischabfälle, zum Beispiel aus der Krabbenfischerei. Aber jetzt gibt es eine Lösung dafür: Auch aus Krabbenschalen lassen sich Kunststoffe herstellen. "Krabbenschalen enthalten Chitin - ein Biopolymer, das sich extrahieren lässt", sagt Gärtner. "Und Krabbenschalen sind ein Problem, weil durch die Verrottung bei der Deponierung giftige Gase entstehen."
Alle Formen und Farben sind machbar
Biokunststoffe sind heutzutage jedenfalls genauso vielseitig einsetzbar, wie klassisches Plastik. Sogar in Textilien können sie verarbeitet werden. Rainer Rihm vom Fraunhofer-Institut für angewandte Polymerforschung in Potsdam hat Einwegrasierer, Polo-Shirts und Baseballkappen aus Polylactid dabei. Das ist ein Polymer auf Milchsäurebasis.
Gewonnen wird es zum Beispiel aus Maisabfällen. "Auch Autobauteile oder Wandhalter könnte man daraus herstellen", sagt der Ingenieur. "Sogar medizinische Anwendungen sind möglich: Zum Beispiel eine Schraube, die sich dann im menschlichen Körper auflöst." Zurück bleibt dann wieder der Ausgangsstoff Milchsäure oder Lactid. Das kann der Körper in gewissen Mengen abbauen. Und die Milchsäure lässt sich auch aus altem Brot gewinnen. Rihm kennt ein Beispiel: "Das Leibnitz-Institut für Agrartechnik in Potsdam hat die Devise: 'Aus Brot für Brot'. Aus altem Brot extrahieren sie Lactid, machen daraus Polylactid und stellen daraus wieder Brottüten her."
Naturfasern zur Verstärkung
Es gibt aber noch einen viel einfacheren Weg, zumindest etwas mehr Bio in den Kunststoff zu bringen: Gabriele Peterek von der Fachagentur für nachwachsende Rohstoffe zeigt das am Beispiel von Polypropylen, einem klassischen Kunststoff, der aus Erdöl hergestellt wird. "Um den etwas natürlicher zu machen besteht die Möglichkeit, ihn zu verstärken, indem man Zellulosefasern einsetzt, also Fasern, die letztendlich aus Holz bestehen", so Peterek.
Dabei kommen zum Beispiel Innenverkleidungen für Autos oder Tankdeckel heraus, die gut ein fünftel Holz enthalten. Der Vorteil: Durch die Zellulose gewinnt der Kunststoff an Festigkeit. Und geht es darum, hochbelastbare, faserverstärkte Kunststoffe herzustellen, kann man noch viel mehr erreichen: Hochgeschwindigkeitsreifen für Autos enthalten schon heute Rayon Viskosefasern, die auch aus Zellulose hergestellt wurden. Und die halten viel mehr aus, als andere Naturfasern, wie Flachs oder Hanf, und sind auch Glas- oder Carbonfasern überlegen.