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Bitcoin: Meinungen, Mythen, Missverständnisse

Klaus Ulrich
12. Februar 2018

Am Bitcoin scheiden sich die Geister: Stirbt er oder dominiert er bald sogar die gesamte Finanzwelt? Beide Szenarien sind unwahrscheinlich, sagt der Analyst Jochen Möbert im DW-Interview.

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Symbolbild Kryptowährung Bitcoin mit Würfeln
Bild: picture-alliance/Klaus Ohlenschläger

Deutsche Welle: Sie haben versucht, sich den unterschiedlichen Aspekten der Kryptowährung Bitcoin anzunähern. Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?

Jochen Möbert: Die Kryptowährungen basieren auf der Blockchain-Technologie. Da sie global und dezentral organisiert ist und auf dem Internet aufsetzt, unterscheidet sie sich stark von vielen anderen Entwicklungen in der Technikgeschichte. Ganz klar hat sie auch das Potenzial, das Bankgeschäft und die Finanzindustrie zu revolutionieren. Trotz der Euphorie, die manchmal in diese Technologie hineininterpretiert wird, steckt sie noch in den Kinderschuhen. Es dürfte noch ein weiter Weg sein, bis wirklich marktreife  Produkte und Lösungen entwickelt sind, die das traditionelle Bankgeschäft in neue Bahnen lenken.

Gleich am Anfang stellen Sie fest, wie sehr der Bitcoin polarisiert: Die einen lieben ihn, die anderen hassen ihn.

Ja, tatsächlich. Diskussionen über Kryptowährungen führen sehr schnell zu einseitigen Aussagen. Die Enthusiasten vergöttern die Kryptowährungen und prognostizieren eine  dezentrale und folglich Hierarchie-freie Gesellschaft. Mancher ist drauf und dran, das digitale Paradies auszurufen Auf der anderen Seite stehen die Traditionalisten und Konservativen, denen so viel Euphorie suspekt ist. Zudem haben die Traditionalisten oft schon viele Hypes im Finanzsektor erlebt. Ihr Mantra ist: Der Bitcoin wird sowieso bald  wieder verschwinden. Folglich sind viele gegenwärtige Diskussionen, die sich hauptsächlich an den übermäßigen Kurssteigerungen entzünden, wenig differenziert und werden  oftmals von Glaubenssätzen - Bitcoin stirbt sowieso oder Bitcoin dominiert bald die Finanzwelt - bestimmt. Deswegen haben wir in der Research-Abteilung der Deutschen Bank Standardaussagen aufgegriffen und versuchen, diese einzuordnen und gegebenenfalls zu korrigieren.

Können Sie das mal an einem Beispiel erläutern? Nennen Sie bitte eine dieser Standard-Aussagen, die aus ihrer Sicht vielleicht ganz oben steht.

Jochen Möbert, Analyst von DB Research
Jochen MöbertBild: DB Research/Martin Joppen

Ganz oben an der Spitze steht sicherlich die Aussage: "Der Bitcoin ist überbewertet." Die wenigsten Bitcoin-Interessierten entdecken erst die Blockchain-Technologie und dann die Preisvolatilität. Die meisten werden von den hohen Preisschwankungen und der medialen Berichterstattung auf Bitcoin aufmerksam. Die Enthusiasten glauben dann an weitere Preissprünge, weil noch kaum jemand investiert ist. Die Konservativen erwarten ein Platzen der Bitcoin-Blase.

Aber wenn man es ganz nüchtern und unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet, dann fragt man, wann liegt eine Überbewertung vor. Analysten sprechen dann von einer Überbewertung, wenn der Marktpreis über einem fairen Preis liegt. Jeden, der überzeugt ist, Bitcoin sei über- oder unterbewertet, muss man dann fragen, was ist der faire Preis? Um hierauf eine Antwort geben zu können, muss man dann wiederum definieren, was Bitcoin eigentlich ist. Manche behaupten, es sei ein Anlageobjekt, andere halten es für  eine Währung, wieder andere interpretieren Bitcoin als Rohstoff. Aus meiner Sicht sollte Bitcoin aufgrund seiner globalen und dezentralen Eigenschaften keine dieser Rubriken zugeordnet werden.

Also kann man aus heutiger Sicht überhaupt noch nicht sagen, was Bitcoin ist und wie er zu bewerten ist. Ist dafür die Entwicklung noch nicht weit genug gediehen?

Ja genau, der Bitcoin hat noch keine große Marktdurchdringung. Er wird bisher vor allem als Spekulationsobjekt benutzt, welches im Gegensatz zu vielen anderen Hypes in der Finanzmarktgeschichte keinen Refinanzierungbedarf hat und aufgrund der globalen und dezentralen Technologie eine hohe Überlebenswahrscheinlichkeit.  Entsprechend fällt Bitcoin aus dem gewohnten Bewertungsrahmen heraus.

In Ihrer Studie beschreiben Sie Bitcoin auch als Chance für ärmere Länder, in denen Bankensysteme noch nicht so verbreitet sind wie in westlichen Industriestaaten. Inwiefern liegt da eine Chance?

Dieser Aspekt kommt oft zu kurz. Unter den Bitcoin-Developern, also unter den Software-begeisterten Menschen, die das Open-Source-System vorantreiben und verbessern, wird das immer wieder als einer ihrer Kernpunkte genannt. Die Bitcoin-Community will den Menschen in Entwicklungsländern Bankgeschäfte und Finanzprodukte anbieten. Das ist für die Banken aus vielerlei Hinsicht bisher nicht möglich. Es gibt vermutlich mehrere hundert Millionen Menschen, die nicht einmal einen Personalausweis haben. Ein Bankkonto werden sie kaum eröffnen können, und so bleibt ihnen auch der Zugang zu weiteren Finanzprodukten verwehrt. Aber diese Menschen haben bereits heute oder wahrscheinlich in naher  Zukunft ein Smartphone.

Sobald die Bitcoin-Börsen und die Wallets (spezielle Software für elektronische Geldbörsen) anwenderfreundlicher werden, könnten sie Bitcoin als Zahlungsmittel nutzen. Somit könnte auch die Tür zu weiteren Finanzprodukten offen stehen.

Gibt es noch andere interessante Aspekte beim Bitcoin, die vielleicht in der breiten Öffentlichkeit noch gar nicht so bekannt sind?

Klar - die Blockchain-Technologie, welche die Kryptowährungen ermöglicht, stellt den Kern des Bitcoin-Systems dar. In der Öffentlichkeit hat man wohl bestenfalls eine vage Vorstellung davon, was diese globale und dezentrale Technologie bewirken könnte. Faktisch hat sie das Potential, viele Verwaltungsabläufe, die immer national und meistens zentral organisiert sind, effizienter oder gleich obsolet zu machen. Beispielsweise wird darüber nachgedacht, Grundstücke, Elektrizität, Rohstoffe und Finanzprodukte aller Art über die Blockchain zu verwalten. Deshalb schwärmen viele Bitcoin-Enthusiasten von der neuen Technologie, die in Zukunft unser Leben massiv verändern könnte. Ein Teil wird wohl Utopie bleiben. Aber zweiffellos hat die Technologie ein großes disruptives Potential.

Sie haben sich intensiv mit allen möglichen Aspekten von Bitcoin beschäftigt - geben Sie Bitcoin eine Zukunft oder vielleicht sogar eine große Zukunft?

Eine Zukunft auf jeden Fall. Denn dieses globale, dezentrale System ist extrem resistent gegen alle möglichen Attacken. Die Entwicklung läuft ja jetzt schon über fast zehn Jahre. Entstanden ist der erste Bitcoin im Jahr 2009 und die Preis-Schwankungen waren in der Vergangenheit deutlich höher als heute. Zudem hat das System auch starke  Beschädigungen überlebt.

Auch die Regulierer stehen vor großen Herausforderungen. Es gibt weltweit in den einzelnen Ländern sehr viele unterschiedliche, zum Teil auch Bitcoin-freundliche Regulierungsansätze. Entsprechend dürfte der Bitcoin noch recht lange für weitere Schlagzeilen sorgen.

Über die Frage, ob er eine große Zukunft hat, darüber kann man nun streiten. Es gibt heute durchaus bessere Technologien, auch in der Krypto-Welt. Zudem warten die Banken und die traditionelle Finanzindustrie mit neuen Innovationen auf. Zum Beispiel plant die EZB im November 2018 die Einführung von "TARGET instant payment settlement (TIPS)",  wodurch sekundenschnelle Banküberweisungen möglich werden.

Bitcoin ist nicht die beste Technologie ihrer Art, aber die mediale Aufmerksamkeit und die Gespräche unter Freunden und Kollegen drehen sich vor allem um Bitcoin. Andere  Kryptowährungen werden dagegen nur von Experten diskutiert. Entsprechend könnte Bitcoin die meisten neuen Nutzer anziehen, folglich weiterhin die höchste Marktdurchdringung aufweisen und auch das Krypto-Universum dominieren.

Das Gespräch führt Klaus Ulrich

Jochen Möbert ist Volkswirt und Analyst bei DB Research, einer Forschungseinrichtung der Deutsche Bank AG.