Nachhaltige Bitcoins aus Skandinavien
6. Mai 2021Bitcoins sind wahre Stromfresser. Je nach Schätzung beläuft sich der weltweite Energiebedarf für das Schürfen der mit Abstand erfolgreichsten Kryptowährungenauf 67 bis 121 Terawattstunden (TWh). Das ist etwa die Hälfte dessen, was alle Rechenzentren - für Internet, Cloud-Dienste, den gesamten Finanzsektor und alle Kryptowährungen - zusammen verbrauchen. Der Jahresverbrauch von Deutschland liegt etwas über 500 TWh.
Deshalb stehen der Bitcoin und die gesamte Blockchain-Technologie, auf er basiert, im Verdacht, dem Klima zu schaden. Zumal (Stand April 2020) etwa 80 Prozent der Hashrate, also der Rechenleistung zum Schürfen neuer Bitcoins, in asiatischen Ländernbereitgestellt werden. Und keines von ihnen generiert mehr als ein Viertel des Stroms aus erneuerbaren Quellen. Hinzu kommen etwa 15 Prozent Hashrate aus Russland und den USA, die auch nicht gerade Vorreiter für eine entschlossene Energiewende sind.
Nachhaltigeres Schürfen im hohen Norden?
Deshalb gilt Bitcoin-Mining in skandinavischen Ländern als grüner Ausweg aus dem Dilemma. Island war eines der Pionierländer. Zwischenzeitlich wurden dort laut der Icelandic Blockchain Foundation acht Prozent aller Bitcoins geschürft. Mit Geothermie und Wasserkraft erzeugen die staatliche Landsvirkjun und andere Energieunternehmen nahezu 100 Prozent des Stroms der Insel. Und er ist so preiswert, dass es seit Jahren Überlegungen gibt, ein Seekabel nach Großbritannien zu verlegen, um grünen Strom nach Europa zu liefern, wo der viel teurer ist.
Stattdessen entschied man sich, energieintensive Industrien und deren Wertschöpfung auf die Insel zu locken, darunter Aluminium-Hütten und die Blockchain-Branche. Eines der ersten Unternehmen, die in Island eine Bitcoin-Mine gebaut haben, war im Jahr 2013 Genesis Mining. Zu den Gründern gehört der Deutsche Philip Salter, der inzwischen Chief Technical Officer beim Schwesterunternehmen Genesis Digital Assets ist. Salter fasst die Vorzüge des Inselstaates zusammen: "Es gibt keine politischen oder geopolitischen Risiken, die Infrastruktur ist sehr zuverlässig und der Strom ist nachhaltig und unglaublich billig."
In Island wird die Leistung knapp
Mittlerweile stoßen die Erzeugungskapazitäten des Landes jedoch an ihre Grenzen: "Der Stromüberschuss könnte 2021 und 2022 sehr gering ausfallen", sagte Landsvirkjun-Chef Hordur Arnarson der Bloomberg-Mediengruppe. Der Stromkostenvorteil steht deshalb auf der Kippe.
In den letzten Jahren ist die Mining-Industrie bereits anderswo wesentlich stärker gewachsen. Und so ist Islands Anteil an der Weltproduktion - je nach Erhebung - unter zwei oder gar unter ein Prozent gesunken. Dass die Isländer ihre einzigartige Natur derzeit nicht noch mehr Kraftwerkskapazität opfern wollen, sagt Mining-Pionier Salter, könne er gut verstehen. Zudem gebe es Alternativen.
Auch das skandinavische Festland ist ein beliebter Standort für Mining-Unternehmen. Norwegen hat die Isländer bei der Hashrate bereits überholt. Salter geht davon aus, dass auch Schweden das Zeug hat, ein Hotspot für Bitcoin-Schürfer zu werden: "Insbesondere im Norden des Landes, wo auch wir eine Mining-Farm betreiben, sind die Bedingungen mit denen in Island vergleichbar."
Ereilt Skandinavien ein ähnliches Schicksal?
Erneuerbare Energien sind in Skandinavien in so großen Mengen verfügbar, dass einige Länder kaum wissen, wohin mit dem Strom: "Die nordischen Länder haben in diesem Jahr unter durchschnittlichen Wetterbedingungen ein erwartetes Überangebot von fast 30 Terawattstunden", sagt Olav Johan Botnen, Energieanalyst beim norwegischen Marktforschungsunternehmen Volue Insight.
Allerdings wächst auch dort die Stromnachfrage der Schwerindustrie - vor allem zur Produktion von "grünem Stahl": Dabei wird das Roheisen anstatt mit Kohle mit erneuerbarem Strom und grünem Wasserstoff zu Stahl verarbeitet. Der nachhaltige Wasserstoff wiederum wird ebenfalls mithilfe von erneuerbarem Strom aus Wasser gewonnen. Entsprechend groß ist der Strombedarf.
Zwei Konsortien haben in Nordschweden große Pläne: In der Kleinstadt Boden, in der auch die Bitcoin-Mine von Genesis steht, und in der nahegelegen Hafenstadt Luleå sollen bis Ende des Jahrzehnts zwei riesige Werke entstehen. Die 15 TWh Strom, die die Wasserkraftwerke bereits jährlich erzeugen, und die zehn TWh, die der bald größte Onshore-Windpark Europas dort erzeugen soll, reichen voraussichtlich nicht aus, um den Bedarf ganz zu decken. Mittelfristig will der Bergwerkskonzern LKAB seine nachhaltige Schwammeisen-Produktion in Schweden sogar auf eine Leistung von 55 TWh pro Jahr ausbauen. Noch einmal im Vergleich: Das weltweite Bitcoin-Mining verbraucht derzeit um die 100 TWh, ganz Schweden 135 TWh.
Wasserstoffstahl und Seekabel dürften Strompreise treiben
Zwar wollen die nordischen Länder ihre erneuerbare Stromproduktion weiter stark ausbauen. Aber so problemlos wie bisher gehe das bestenfalls noch im Norden Schwedens und Finnlands, sagt Energieanalyst Botnen, im dichter besiedelten Süden der Länder sowie in Norwegen und Dänemark würden die Flächen mittlerweile knapp und damit teurer.
Hinzu kommt die zunehmende Integration der nord- mit den mitteleuropäischen Strommärkte: Mehrere Seekabel verbinden Skandinavien bereits seit Längerem mit den Niederlanden, Polen und Großbritannien. Seit Dezember 2020 verbindet das Seekabel NordLink Norwegen mit Deutschland, und weitere solcher Verbindungen sind geplant: "Dadurch werden sich die Strompreise in Nord- und Mitteleuropa angleichen", sagt Botnen. Für die Skandinavier heißt das: Es wird teurer.
Der Energieanalyst rechnet im Laufe des Jahrzehnts mit einem Strompreisanstieg von rund 50 Prozent auf dann 40 bis 50 Euro pro Megawattstunde an den Spotmärkten. "Mit langfristigen Verträgen dürften sich Industriekunden in Nordschweden bis Mitte der 2030er Jahre aber noch die alten Preise sichern können", glaubt Botnen.
"Bitcoins fördern die nachhaltige Stromerzeugung"
Philip Salter bleibt zuversichtlich, dass Schweden ein attraktiver Standort für Bitcoin-Miner bleibt. Dennoch ist fraglich, in wie weit die skandinavischen Länder den Bitcoin und andere Kryptowährungen überhaupt grüner machen. Die Blockchain-Industrie in allen fünf Ländern bringt es nach Zahlen der Universität Cambridge auf etwa ein Prozent der weltweiten Hashrate.
Mining-Experte Salter betrachtet das Problem von der anderen Seite: "Ich glaube, dass unsere Branche den Ausbau der erneuerbaren Energien sogar vorantreibt - und zwar nicht nur in Skandinavien, sondern gerade auch in Entwicklungsländern."
Dafür spricht, dass Wind- und Solarkraftanlagen die preiswertesten Stromquellen sind, die man heute installieren kann. Und einige der besten Standorte liegen in Entwicklungsländern. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Bitcoin-Mining den Strombedarf erhöht. Und bevor nicht mehr erneuerbare Strom generiert wird, werden Bitcoin und Co mit fossiler Energie geschürft.