Bitte nimm mein Geld!
19. Juli 2012Niemand verleiht 100 Euro, wenn er weiß, dass er in zwei Jahren nur noch 99 Euro zurückbekommt. Normale Menschen nicht, und professionelle Investoren schon gar nicht. Normale Menschen würden sich eher für einen Euro ein Eis kaufen und den Rest zwei Jahre unter die Matratze legen. Das Ergebnis wäre dasselbe, plus das Eis.
Andrew Bosomworth hat diese Möglichkeit nicht. "Institutionelle Anleger können nicht Bargeld abheben und die Scheine unter die Matratze stecken", so Bosomworth gegenüber der DW. Er leitet das Portfoliomanagement bei Pimco Deutschland. Die Firma gehört zum Allianz-Konzern und legt im Auftrag ihrer Kunden Geld an. Viel Geld. Fast 1800 Milliarden Dollar.
Das Gegenstück zur Matratze ist für Anleger wie Pimco, das Geld auf der Bank zu lassen. Über kurze Zeiträume bringt es dort aber auch keine Zinsen. "Die Zinssätze, die die guten Banken anbieten, sind mittlerweile auch negativ", so Bosomworth. "Bei den anderen ist es entweder Null oder, bei den Banken mit schlechterer Bonität, leicht positiv."
Zum Anlegen gezwungen
Hinzu kommt, dass den Banken nicht zu trauen ist. Andrew Bosomworth spricht hier vom Kontrahenten-Risiko - also der Gefahr, dass die Bank, bei der das Geld liegt, selbst in Schwierigkeiten gerät. Er fordert daher von den Banken meist Sicherheiten für sein Geld - und erhält im Gegenzug Anleihen von Staaten wie Deutschland.
Außerdem gibt es für institutionelle Anleger und ihre Finanzprodukte zahlreiche Vorschriften, teils gesetzlich, teils hausgemacht, wie viel Geld sie wo anlegen dürfen. "Sie dürfen es gar nicht im Schrank liegen lassen", sagt Chris-Oliver Schickentanz, Chefanlagestratege der Commerzbank. "Häufig gibt es eine Maximalquote, die als Kassenbestand gehalten werden darf. Und wenn die erreicht ist, dann ist sozusagen ein Zwang da, anzulegen."
Die Frage ist nur: wo? Hedgefonds und Anbieter hochspekulativer Anlagen können ihr Geld in riskante, aber einträgliche Papiere stecken. Viele institutionelle Anleger können das nicht. "Das können Lebensversicherungen sein, das können große Pensionskassen sein", so Schickentanz. "Das sind aber auch Publikumsfonds, die ihr Geld nicht in Risikoanlagen packen möchten und die wegen ihrer Anlagegrundsätze beschränkt sind und nur in erstklassige Staatsanleihen investieren dürfen."
"Das klingt nicht logisch"
Da wird es schnell eng mit den Anlagemöglichkeiten. Das erklärt, warum sich im Januar dieses Jahres so viele Investoren um die deutschen Geldmarktpapiere mit sechsmonatiger Laufzeit rissen, die die Bundesrepublik in einer Auktion anbot. 3,9 Milliarden Euro konnte der Finanzminister damals einsammeln - erstmalig zu einem negativen Zinssatz von Minus 0,01 Prozent. "Man zahlt dafür, das Geld anzulegen", so Andrew Bosomworth von Pimco. "Das klingt nicht logisch, wird aber momentan gemacht."
Und zwar immer häufiger. Im Mai begab Deutschland Anleihen mit zweijähriger Laufzeit und sammelte 4,6 Milliarden Euro ein. Der Zinskupon hier: null Prozent. Bei Ländern wie Deutschland, den Niederlanden oder Finnland, die als besonders sicher gelten und von den Ratingagenturen mit der Bestnote bewertet werden, mag das noch verständlich sein. Doch weil so viele Anleger ihr Geld in sichere Häfen bringen wollen, sinken auch die Renditen von Anleihen weniger robuster Länder unter den Nullpunkt. In der vergangenen Woche war es Frankreich, in dieser Woche das hoch verschuldete Belgien.
"Momentan bietet nicht nur Deutschland Zinsen um null Prozent", so Chris-Oliver Schickentanz gegenüber DW. "Es sind insgesamt zehn große Industrienationen, die für 23 Billionen Dollar an ausstehenden Anleihen verantwortlich sind."
Gespaltenes Europa
23 Billionen, das sind 23.000 Milliarden. "Gerade bei kurz laufenden Staatsanleihen bieten mittlerweile große Teile des Marktes ähnliche Bedingungen wie Deutschland", so Schickentanz. Während Spanien, Italien und andere Euroländer unter steigenden Zinsen leiden, wird anderen das Geld geradezu hinterher geworfen.
Es ist eine vorweggenommene Spaltung der Eurozone, sagt Andrew Bosomworth von Pimco Deutschland. "Die Finanzmärkte spalten die Eurozone auseinander, weil sie denken, sie funktioniert nicht", so Bosomworth. "Irgendwann muss die Politik eine Antwort geben, wie die Eurozone künftig auf eine nachhaltige Art und Weise gestaltet werden kann."
Entscheidungsdruck
Für Bosomworth gibt es dabei nur zwei Möglichkeiten. Entweder, die Eurozone verkleinert sich auf wirtschaftlich ähnliche Länder wie Deutschland, Österreich, die Niederlande oder Finnland. Oder es kommt zu einer wirklichen Union: mit einem demokratisch legitimierten, gemeinsamen Finanzminister, aber auch mit Transferzahlungen von den reichen Ländern an die ärmeren.
Die Finanzmärkte, die von Politikern so oft verteufelt werden, erhöhen nach dieser Sichtweise nur den Druck auf die Politik, sich zu entscheiden.