"It must schwing!"
11. Januar 2014Auf einer Sommerreise in Swinemünde hört Alfred Löw zu Beginn der 1920er Jahre erstmalig Dixieland. Er wird das Hörerlebnis später "den Beginn einer lebenslangen Liebesaffäre mit dem Jazz" nennen. Der Werbefotograf Frank Wolff hingegen hört den ersten beeindruckenden Jazz im Berliner Admiralspalast. In New York treffen sich die deutschen Auswanderer wieder, nennen sich Alfred Lion und Francis Wolff und machen ihr Hobby Ende der 1930er Jahre zum Beruf. Sie gründen ein eigenes Plattenlabel. Der von den charakteristischen "blue notes" des Jazz und Blues abgeleitete Firmenname Blue Note Records ist Programm - das damals noch überwiegend afro-amerikanische Musiker spielen.
Diskriminierte Gründungsväter
Möglich, dass die Berliner Juden Lion und Wolff ihre eigene Diskriminierung durch die Nazis vor Augen haben, als sie sich in den USA vor allem der unterdrückten Minderheit der schwarzen Musiker annehmen und ihnen ein professionelles Forum bieten. Lion und Wolff zahlen nicht nur die Plattenaufnahmen, sondern auch die Übungsstunden. Für damalige Verhältnisse ein unerhörter Vorgang.
Schon bald geben sich die angesagtesten Jazzmusiker des Landes bei Blue Note Records die Klinke in die Hand: Star-Pianist Thelonius Monk etwa, der auf einer der ersten Aufnahmen zusammen mit Schlagzeug-Legende Art Blakey zu hören ist.
"It must schwing!"
Alfred Lion und Francis Wolff stellen nach Ende des Zweiten Weltkriegs für Blue Note Records ein geniales Team zusammen: Tenorsaxofonist Ike Quebec schafft als Talentscout mit Tonmeisterlegende Rudy van Gelder und den beiden Gründungsvätern die Basis für ein kultiges Jazz-Label. Ihr heimliches Motto war ein Bonmot von Alfred Lion, das auf seinen deutschen Akzent zurückzuführen ist: "It must schwing!"
Der offizielle Slogan von Blue Note Records aber steht bis heute ganz nüchtern für das, was zu hören ist: "The Finest In Jazz Since 1939". Die stilistische Palette der jungen Plattenfirma wächst schnell - von den Hard Bob-Anfängen bis hin zum modernen und angesagten Bebop, wie ihn auch Trompetenlegende Miles Davis spielt.
Treffen der Großen
Auch die Vorväter des Modern Jazz wie Oscar-Preisträger Herbie Hancock, Wayne Shorter und John Coltrane, Saxofon-Klassiker Charlie "Bird" Parker und viele andere Jazz-Größen bleiben untrennbar mit Blue Note Records verbunden. In den 1950er und 1960er Jahren erlebt die Firma ihre Blütezeit. 1967 schließlich verkaufen Lion und Wolff ihr Label an den Konkurrenten Liberty Records. United Artists übernimmt, veräußert es später an EMI-Capitol. 1979 kommt das Ende für Blue Note, als Capitol die großen Namen ins eigene Repertoire übernimmt.
Erst sechs Jahre später wird Blue Note als Sublabel von Capitol neu gegründet. Künstlerisch richtet sich das kleine Label mit der bewegten Geschichte neu aus, entdeckt etwa die amerikanische Soul- und Jazzsängerin Norah Jones.
Musikalische Neuausrichtung
Im Zuge des Welterfolgs der Tochter von Sitar-Virtuose Ravi Shankar verändert sich das Oeuvre der ehrwürdigen Plattenfirma immer weiter. Fortan ist auch Country- und Roots-Musik kein Tabu mehr: Neben Soulmusikern wie Al Green und Van Morrisson kann auch Country-Altmeister Willie Nelson zu den großen Künstlern des Labels gewonnen werden.
Immer bleibt auch der Nachwuchs bei Blue Note eine besondere Klasse für sich: Der US-amerikanische Singer/Songwriter Amos Lee findet seinen Weg ins internationale Musikgeschäft über Blue Note. Und seine Kollegin Priscilla Ahn wird zwar von vielen Plattenfirmen umworben, unterschreibt aber schließlich voller Stolz - bei Blue Note.
Internationales Künstleraufgebot
Der Grundstein für die internationale Ausrichtung von Blue Note Records ist gelegt. Inzwischen gehört das Label zu Universal Music, der erfolgreichsten Plattenfirma der Welt. Und da steht Blue Note jetzt nicht mehr nur für amerikanische Künstler: Bei dem immer noch kleinen und immer noch sehr feinen Label finden sich jetzt auch die Singer/Songwriterin Keren Ann mit ihren niederländischen und israelischen Wurzeln. Oder Chano Dominguez aus Spanien, der Erfinder des Flamenco-Jazz. Und viele weitere herausragende Musiker prägen mit Blue Note eigene Stile - so auch Musiker aus Deutschland: Der Entertainer Götz Alsmann ist seit drei Alben bei Blue Note Records und singt: Deutsch. Schlager, Chansons und Jazzlieder aus der Mitte des 20. Jahrhunderts. Das mag echte Jazzliebhaber überraschen. Aber für das vor 75 Jahren von deutschen Immigranten in den USA gegründete Jazz-Label schließt sich damit ein Kreis.