Blutiges Ende eines Nervenkriegs
20. Januar 2013Algerische Spezialeinheiten hatten die gekaperte Gasförderanlage Ain Amenas gestürmt und nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur APS alle elf verbliebenen Entführer getötet. Auch sieben Geiseln kamen um, offenbar waren sie schon vor dem Befreiungsversuch am Samstag von den Extremisten ermordet worden. Nach Regierungsangaben sind damit insgesamt 23 Geiseln und 32 Extremisten ums Leben gekommen. Allerdings klaffen die von verschiedenen Seiten verkündeten Zahlen weit auseinander. Angesichts der Vermissten könnte die Opferzahl sogar noch weiter steigen. 685 algerische Arbeiter und 107 ausländische Kräfte wurden befreit.
Die Informationslage ist nach wie vor widersprüchlich, zumal sich das unübersichtliche Gasfeld über mehrere Hektar Wüste erstreckt. So bleiben auch die genauen Umstände sowie die Nationalitäten der Toten weiterhin unklar. Sicher ist, dass auch Ausländer zu den Opfern zählen. Nach Angaben des britischen Premiers David Cameron wurden drei Briten und ein weiterer Einwohner des Landes getötet. Drei weitere Briten seien wahrscheinlich ebenfalls tot, sagte Cameron in einer im Fernsehen übertragenen Ansprache. Frankreich, die USA und Rumänien bestätigten jeweils den Tod eines Staatsbürgers. Auch mindestens ein Algerier starb. Deutsche waren nach Angaben des Auswärtigen Amtes von der Geiselnahme nicht betroffen. Der Chef des norwegischen Energiekonzerns Statoil, Helge Lund, sagte, fünf seiner Mitarbeiter in Algerien - allesamt Norweger - würden noch vermisst. Man richte sich auf "schlechte Nachrichten" in den kommenden Tagen ein: "Menschen, mit denen wir gesprochen haben, beschreiben unglaubliche, schreckliche Erlebnisse."
Sprengfalle am Hals
Möglicherweise wollte die Armee mit ihrer Offensive verhindern, dass die mit dem Terrornetzwerk Al-Kaida verbündeten Islamisten den Industriekomplex wie angedroht komplett in die Luft jagen. Das gesamte Raffineriegelände sei mit Sprengsätzen vermint worden, erklärte der staatliche algerische Ölkonzern Sonatrach. Die Entschärfungsarbeiten hätten bereits begonnen. Eine überlebende Geisel schilderte, wie den Gefangenen Sprengfallen um den Hals gelegt worden waren, damit sie nicht flüchten. Die Streitkräfte stellten neben schweren Maschinengewehren und Granaten auch Raketen und Raketenwerfer sicher.
Islamisten, offenbar mit Verbindungen zur radikal-islamischen Al-Kaida, hatten die Anlage mitten in der Wüste am Mittwochmorgen gestürmt. Sie forderten ein Ende der französischen Militärintervention in Mali. Einen Tag später griff die algerische Armee ein, doch erst am Samstag konnte sie die Geiselnehmer endgültig überwinden. Die amtliche Nachrichtenagentur Algeriens meldete, die Soldaten hätten ihren Entscheidungsschlag gestartet, nachdem die Extremisten sieben weitere ausländische Geiseln getötet hätten.
Frankreichs Staatspräsident François Hollande verteidigt die blutige Befreiungsaktion: "Verhandlungen mit den Terroristen kamen nicht infrage", sagte er, schließlich hätten die Entführer "schändlich gemordet". Doch der Einsatz ruft international auch massive Kritik hervor. So wird den algerischen Behörden vor allem mangelnde Verhandlungsbereitschaft und fehlende Rücksicht auf das Schicksal der Gefangenen vorgeworfen. Das werten zumindest Briten und Amerikaner anders: US-Präsident Barack Obama und Premier Cameron suchen die Schuld für das Massaker alleine bei den Geiselnehmern und können keine taktischen Fehler auf Seiten der Spezialeinheiten erkennen.
Obama sicherte Algerien nach dem Ende des Geiseldramas Unterstützung zu. Die USA seien bereit, jede denkbare Hilfe zu leisten, hieß es in einer Erklärung des Präsidialamtes. Schuld an der Tragödie hätten die Extremisten.Obama erklärte, die Regierung in Washington werde weiter eng mit ihren Partnern zusammenarbeiten, um die "Geißel des Terrorismus" in der Region zu bekämpfen.
rb/sti/as (afp, dapd, dpa, rtr)