Spanien: Streit um Body-Positivity-Kampagne
1. August 2022Es hatte alles so vielversprechend angefangen: Keine Frau solle mit einem schlechten Gefühl an den Strand gehen, weil ihr Körper vielleicht nicht klassischen Schönheitsidealen oder medialen Stereotypen entspricht, dachte sich die spanische Regierung. Pünktlich zur Sommersaison startete sie deshalb eine Kampagne mit dem Namen "Der Sommer gehört auch uns", die Frauen zu einer positiven Einstellung zum eigenen Körper ermutigen sollte.
Auf einem Bild, welches vom spanischen Ministerium für Gleichberechtigung gepostet wurde, sind drei übergewichtige Frauen zu sehen. Außerdem eine ältere Dame, die trotz entfernter Brust oben ohne am Strand steht. Eine weitere Frau liegt auf einem Strandtuch, alle gemeinsam scheinen sie einen fröhlichen Strandtag zu haben.
"Diese Kampagne ist so nötig"
Die Aktion des spanischen Ministeriums für Gleichberechtigung schien einen Nerv zu treffen. Das Kampagnen-Bild, welches vom staatlichen Fraueninstitut entwickelt wurde, wurde auf dem Twitter-Konto des Ministeriums tausendfach geteilt. Viele ausländische Medien griffen die Aktion auf.
Vor allem spanische Frauen - jung und alt - waren begeistert. "Diese Kampagne ist so nötig", erzählt die 18-jährige Lucía der DW. "Vor allem Teenager haben oft Komplexe, weil sie glauben, ihr Körper sieht nicht aus wie der in irgendwelchen Magazinen." Außerdem gebe es in Spanien noch immer eine Form von "Machismo", der von Frauen verlange, für einen Mann perfekt zu sein.
Die 63-jährige Maria sieht das ähnlich: "Auch im 21. Jahrhundert denken wir noch, ein dicker Körper sei ein fehlerhafter Körper." Nicht der Norm zu entsprechen, werde noch immer an vielen Orten mit bösen Blicken oder Kommentaren bestraft, egal ob am Strand, an der Bar oder am Swimmingpool.
"Das ist immer noch mein Körper"
Doch bereits kurz nach Veröffentlichung des Kampagnen-Fotos gab es erste Anschuldigungen gegen die Verantwortlichen der Initiative. Ein britisches Model namens Nyome Nicholas-Williams berichtete, ihr Foto sei für die Aktion von ihrem Instagram-Konto gestohlen worden, ohne dass sie jemand um Erlaubnis gebeten habe.
Im Interview mit der britischen BBC erzählte sie, dass einer ihrer Follower sie darauf aufmerksam gemacht habe, als das Bild weltweit viral ging. "Ich war wirklich verblüfft", so das Model. Nachdem sie ihren Ärger öffentlich machte, hätten die Macher sie kontaktiert und erklärt, dem Team sei "leider die Zeit davongelaufen".
Eine Begründung, die die junge Frau nur schwer nachvollziehen kann - gerade von Personen, die behaupten, für Frauenrechte zu kämpfen. "Klar, ich bin ein Model und es gibt Fotos von mir in Unterwäsche - aber das ist noch immer mein Körper", so die Britin.
Prothese nachträglich entfernt
Sollten sich die Anschuldigungen von Nicholas-Williams bewahrheiten, wäre dies ein massiver Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht. Noch schwerer wiegen die Vorwürfe einer weiteren Frau, die ebenfalls behauptet, die Macher der spanischen Regierungskampagne hätten ihr Foto bei Instagram gestohlen.
Was die Anschuldigungen der Britin Sian Green-Lord so heikel macht: Bei einem Verkehrsunfall vor zehn Jahren hat sie ihr linkes Bein verloren und trägt nun eine Prothese - doch diese sei auf dem Kampagnen-Foto einfach digital entfernt und durch ein scheinbar gesundes Bein ersetzt worden.
"Ich zittere noch immer am ganzen Körper", erklärt die junge Frau auf Instagram. "So sehr habe ich schon lange nicht mehr geweint." Scheinbar hätte jemand im Kampagnen-Team das Foto gesehen und den Eindruck gehabt, dass der Anblick ihrer Beinprothese das Bild ruiniere, so Sian Green-Lord. "Da haben sie wohl gedacht: Lass uns die doch einfach entfernen."
Entschuldig bei betroffenen Frauen
Das für die "Body Positivity"-Aktion verantwortliche spanische Fraueninstitut ließ die Fragen der DW zu den Anschuldigungen der jungen Frauen bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Zuvor hatte die Institutsleiterin Antonia Morillas in einem DW-Interview kurz nach dem Start der Aktion betont, dass die Kampagne vor allem die "Vielfalt des Körpers" feiern wolle und das Recht, sich im öffentlichen Raum so zu zeigen, wie man sei.
"Wir wollten darauf Aufmerksam machen, wie ästhetische Gewalt die Lebensqualität von Frauen massiv einschränken kann." Diese Worte klingen nach den Anschuldigungen der abgebildeten Frauen fast zynisch.
In einer öffentlichen Stellungnahme schreibt das Institut, man sei mit den Models und mit der Illustratorin in Kontakt und entschuldige sich für den angerichteten Schaden. Die zuständige Grafikerin hat sich inzwischen bereiterklärt, freiwillig ihr Honorar mit den Betroffenen zu teilen. Doch die Verantwortlichen müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie genau das Verhalten gefördert haben, welches ihre Kampagne eigentlich kritisieren wollte.