"Bogida" isst Burger, Bonn bleibt bunt
23. Dezember 2014"Ich bin für Liebe, ich bin für die, die´s lieben zu leben." Man hört Reggae vom Sänger "Gentleman", weltoffen und nordrhein-westfälisch. "Ich bin für die, die Liebe geben, auch wenn´s schwer ist im Leben", singt er vom Band. "Ich bin für die, die es erst erleben, dann denken, dann weitergeben." Plötzlich wird das Lied unterbrochen, mitten im Satz. Polizisten rennen einer jungen Frau hinterher, kurzes Gerangel. Wer hat hier was gegen Liebe und Weltoffenheit?
"Eine Antifa-Aktivistin hat soeben den Strom abgestellt", sagt Melanie Dittmer, die mit ihren 36 Jahren zurückblickt auf eine lange und "stramme Neonazi-Vergangenheit", so formuliert es der "Spiegel". Dittmer hat die "Bogida"-Veranstaltung angemeldet - und ist somit wohl auch für die Musikauswahl verantwortlich.
Rund 300 Menschen haben sich vor dem kleinen Wagen versammelt, in dem sie steht. Sie protestieren gegen die angebliche Islamisierung Europas. Sie machen sich Sorgen um das christlich-jüdische Abendland, sagen sie. In ihren Händen halten viele eine Deutschland-Fahne. Ein leichter Wind weht, er fährt durch die schwarz-rot-goldenen Stoffe.
"Gemeinsam bunt statt einfältig braun"
"Nazis raus, Nazis raus." Der Wind trägt die Rufe von der anderen Seite des Bonner Marktplatzes herüber. Von der Seite, auf der sich Menschen eng aneinander drängen, von der Seite, auf der Personen "Gemeinsam bunt, statt einfältig braun"- Schilder in die Höhe halten. Auch hier: Reggae-Musik, allerdings live.
Zwei Tage vor Heiligabend ist der Bonner Marktplatz zweigeteilt. Auf der einen Seite befindet sich das spärliche Grüppchen der fahnentragenden Pegida-Anhänger, die sich in Bonn „Bogida“ ("Bonn gegen die Islamisierung des Abendlandes") nennen. Polizeiautos und Absperrungen umrahmen sie. An diesem grün-blauen Rahmen stehen ein paar Neugierige, die Hälse gereckt: Sie wollen "auch mal so einen von Pegida sehen". Pegida steht für "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes". Die Bewegung hat derzeit den größten Zulauf in Dresden.
Auf der anderen Seite des weihnachtlich beleuchteten Platzes drängen sich rund 2000 Gegendemonstranten. Die Islamisierung des Abendlandes fürchten sie nicht - wohl aber, dass in ihrer Stadt gegen den Islam oder Ausländer protestiert wird. Aufgereiht auf einer Fensterbank sitzen vier Kinder, eine Decke über ihre Beine gelegt, die Mütter daneben. Alte und Junge stehen Seite an Seite. Manche haben selbst gebastelte Schilder dabei, andere halten die Flaggen ihrer Organisationen hoch. Viele linke Aktivisten sind darunter.
Sie alle sind dem Ruf des Bündnisses „Bonn stellt sich quer“ gefolgt, das bereits in der vorigen Woche in großer Überzahl gegen die Pegida-Bewegung in Bonn protestierte. Unterstützt wird das Bündnis neben anderen vom Deutschen Gewerkschaftsbund und der Evangelischen Kirche.
"Angstmacher, die auf Kosten von Minderheiten den Untergang des christlich-jüdischen Abendlandes propagieren, haben bei uns nichts zu suchen", ruft der evangelische Pfarrer Siegfried Eckert der Menge entgegen. Vom christlich-jüdischen Abendland muss ihm keiner was erzählen, er ist Vorsitzender der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Auch der Oberbürgermeister der Stadt Bonn, Jürgen Nimptsch, spricht auf der Bühne des Bündnisses. Sie sind sich einig: Bonn ist bunt und hat für Fremdenfeindlichkeit keinen Platz. Sie erhalten Beifall.
Aktivisten wollen Bogida-Demo blockieren
Während am Ende des Platzes den Rednern applaudiert wird, liefern sich an der Absperrung Bogida-Anhänger und Gegendemonstranten laute Schrei-Wettbewerbe. Immer wieder versuchen Aktivisten, über die Absperrung zu gelangen und die Veranstaltung der Bogida-Anhänger zu stürmen. Davon halten sie jedoch die zahlreichen Polizisten ab, die die Grenze zwischen beiden Kundgebungen bewachen.
Auf der Seite der Gegendemonstranten steht auch die 46-jährige Andrea M. aus Bonn. Von denjenigen, gegen die sie heute demonstriert, sieht sie nur die Deutschlandfahnen in der Luft wehen: "Mich nervt es total, wenn ich diese Fahnen da sehe", sagt die Geschichtslehrerin. "Das sind nationale Symbole - und das Deutschland, das ich gut finde, hat aus der Nazivergangenheit gelernt. Dass die diese Fahnen jetzt einfach benutzen, das geht gar nicht."
Dann machen sich die Bogida-Anhänger langsam auf den Weg zu ihrem angemeldeten "Abendspaziergang". Ähnlich wie in der vergangenen Woche versuchen auch jetzt die zahlreichen Gegendemonstranten, den Zug zu stoppen. Doch die Polizei hat ihre Mannschaft dieses Mal verdoppelt. Rund 900 Einsatzkräfte sowie zahlreiche große Polizeiautos verhindern, dass Demonstranten und Gegendemonstranten einander begegnen.
Abschlusskundgebung vor Fast-Food-Restaurant
Direkt vor einem "McDonalds"-Restaurant baut sich "Bogida" zur Abschlusskundgebung auf. Ein paar der Anhänger rennen schnell herein, um sich einen Burger zu kaufen. Vielleicht wissen sie nicht, was Veranstaltungs-Anmelderin Melanie Dittmer erst kürzlich in einem Interview kritisiert hat: Dass "wir überall McDonalds haben, Burger King und ganze Straßenzüge inflationär voll mit ausländischen Restaurants."
Wieder sind die fahnentragenden Bogida-Anhänger von unzähligen Gegendemonstranten umringt. Geschützt durch eine Barrikade aus Polizeibussen kann die 200 Anhänger zählende Bogida-Gruppe trotzdem ihre Abschlusskundgebung halten und dabei auch ihre Gesinnungsgenossen feiern, die "30.000 Demonstranten in Dresden" (die Polizei in Dresden spricht von 17.500). Übertönt werden sie von lauten Pfiffen und Buh-Rufen - die sie wieder daran erinnern, dass sie nicht in Dresden, sondern in Bonn und weit in der Unterzahl sind.
Bevor sich die Bogida-Demonstranten dann unter Polizeischutz auf dem Weg nach Hause machen, wird noch einmal Musik gehört. Hip-Hop, Freundeskreis: "Wenn der Vorhang fällt, sieh hinter die Kulissen, die Bösen sind oft gut und die Guten sind gerissen. Geblendet vom Szenario erkennt man nicht, die wahren Dramen spielen nicht im Rampenlicht."