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Bolivianisches Texas

Steffen Leidel 25. November 2006

Im Department Santa Cruz sind die Rinderherden riesig, die Soja- und Zuckerrohrplantagen weit und einige Familien steinreich. Die sehen ihre Interessen durch Präsident Morales bedroht. Notfalls wollen sie kämpfen.

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Auf der Zuckerrohrplantage
Das Land ist groß, die Angst, es zu verlieren auchBild: DW/Steffen Leidel

Multitasking ist für Mariano Aguilera kein Problem. Er kann mit seinem BMW auf der Landstraße mit 180 dahinbrausen, mit dem Handy telefonieren, das Radio und die Klimaanlage einstellen und dem Beifahrer ein Interview geben, alles gleichzeitig. Er hat auch keine Zeit zu verlieren. Morgens ist er ganz Farmbesitzer, muss zeitig raus auf seine Hacienda El Naranjal, 70 Kilometer von Santa Cruz entfernt. Nachmittags ist er dann Politiker, muss in die Hauptstadt Sucre fliegen, zur Sitzung der verfassungsgebenden Versammlung.

Mariano "Kiko" Aguilera auf seiner Hacienda
Mariano "Kiko" Aguilera auf seiner HaciendaBild: DW/Steffen Leidel

Aguilera, genannt Kiko, liebt die Geschwindigkeit, das Risiko. "Alles was ich heute besitze, habe ich mir hart erarbeitet", sagt Kiko. Der Vater starb früh, mit 13 übernahm Kiko die Farm. Heute ist er einer der reichsten Männer Boliviens. Sein Vermögen wird auf 80 Millionen Dollar geschätzt, er und seine sieben Geschwister besitzen acht Haciendas mit einer Gesamtfläche von 13.000 Hektar. Er hat ungezählte Rinder, Pferde, riesige Sojafelder und Zuckerrohrplantagen. 100 Familien arbeiten für ihn. Und er hat seine eigene Zuckerrohrfabrik.

Angst vor der Landreform

Kiko, der Abkömmling spanischer Einwanderer, gehört zu jener Schicht, die die Anhänger von Evo Morales abschätzig die Oligarchie nennen. Mit dem diffusen Begriff meinen sie die weiße Oberschicht, die in ihren Augen die indigene Bevölkerung fünf Jahrhunderte diskriminiert, die Naturschätze des Landes geplündert und das Land in den Ruin geführt haben.

Auf der Zuckerrohrplantage von Kiko
Auf der Zuckerrohrplantage von Kiko leisten Maschinen die meiste ErntearbeitBild: DW/Steffen Leidel

Evo Morales, der erste indigene Präsident Boliviens, hat versprochen, "Gerechtigkeit" zu schaffen. Der Staat soll wieder Souveränität über seine Rohstoffe erhalten, außerdem will Morales ein Fünftel der Landfläche umverteilen. Nach Schätzung der katholischen Kirchen besitzt eine kleine Gruppe von Familien 90 Prozent des gesamten Farmlandes, der Rest verteilt sich auf rund drei Millionen Kleinbauern, die meist indigener Abstammung sind.

Kampf für Autonomie

Bislang hat Morales nur staatseigene Ländereien verteilt. Allerdings sollen auch ungenutzte Flächen in Privatbesitz ausfindig gemacht werden. Landlose und indigene Gemeinschaften sollen Großgrundbesitz, der "seine wirtschaftliche und soziale Funktion" nicht erfüllt, erhalten.

Für die wohlhabenden Landbesitzer in Santa Cruz sind diese Pläne ein Schock, sie drohen mit Selbstverteidigung. Die Vision von Kiko und dem Rest der Reichen in Santa Cruz ist der der Morales-Regierung entgegengesetzt. Seit Jahren kämpfen sie für die Autonomie des Departments Santa Cruz. Dabei haben sie sich mit den anderen wohlhabenden Departments des Tieflandes, Beni, Pando und Tarija verbündet.

Golfclub und arme Frau vor einem Laden
Links Cocktail, rechts Staub: Der Kontrast zwischen arm und reich ist in Santa Cruz großBild: DW/Steffen Leidel

In einer Volksabstimmung im Juli 2006 gewannen die Befürworter für mehr Autonomie in den Departments des so genannten Halbmondes deutlich. Landesweit unterlagen sie jedoch. Insgesamt sprachen sich 56 Prozent der Wähler gegen mehr Autonomie für die Provinzen aus und folgten mit ihrem Votum dem Willen des Präsidenten. "Der Osten Boliviens hat seine eigene Identität. Wir wollen keinen eigenen Staat, aber wir sind für Dezentralisierung. Das wurde von allen Zentralregierungen stets abgelehnt, nicht nur von Morales", sagt Germán Antelo, Vorsitzender des Komitees Pro Santa Cruz, das seit 56 Jahren für mehr Autonomie kämpft.

Reichstes Department

"Der Osten produziert 40 Prozent des gesamten Bruttoinlandsproduktes von Bolivien", sagt Antelo. Die Hälfte aller Ausfuhren Boliviens von landwirtschaftlichen Produkten – ob Soja, Reis, Rindfleisch - stammt aus Santa Cruz. Die "Cambas", wie die Bewohner von Santa Cruz genannt werden, ärgern sich, dass sie von allen neun Departments am meisten Abgaben an den Zentralstaat leisten, aber ihrer Meinung nach nur wenige Leistungen zurückbekommen.

"Santa Cruz konnte sich entwickeln, dank der Anstrengung von Generationen von Familien, die hierher kamen", sagt Mauricio Roca, Vorsitzender der Agrar- und Viehbarone (CAO). Dem Zentralstaat schulde Santa Cruz nichts. Die radikalsten Töne spukt dabei die so genannte Nación Camba. Auf ihrer Internetseite schimpft die Nación Camba, Bolivien sei eine "Art bolivianisches Tibet", das von den "rückständigen und ärmlichen" Ethnien von Aymara und Quechua bestimmt werde. Der Leitspruch heißt: "Wir werden so sein, wie wir es wollen und nicht wie andere wollen, dass wir sind."

Im Zentrum von Santa Cruz
Im Zentrum von Santa CruzBild: DW/Steffen Leidel

Antelo oder Roca distanzieren sich öffentlich von dieser Strömung. "Doch in Wirklichkeit sympathisiert die ganze Oberschicht mit ihnen. Die funktionieren wie eine Geheimloge", sagt ein hoher Regierungsberater, der anonym bleiben will. "Santa Cruz erinnert mich ein wenig an Texas. Wenige Familien haben die Macht, man kennt sich, man tut sich gegenseitig Gefallen." Wer mit den relevanten Gruppen spricht, bekommt in der Tat stets dieselben Argumente aufgetischt.

Konfliktpotential vorhanden

Die weiße Oberschicht ist zwar wirtschaftlich stark, doch zahlenmäßig in der Minderheit. Die Mehrheit in Santa Cruz stellen die "Collas", das sind Aymara und Quechua, die aus dem Hochland zugewandert sind. Heute hat Santa Cruz 1,2 Millionen Einwohner, Tendenz steigend. In den 1950-er Jahren war Santa Cruz noch ein Nest, ohne Strom, ohne fließendes Wasser. Erst als die Straße nach Cochabamba fertig war und das Department an den Rest des Landes anband, begann ein beispielsloses Wachstum. Viele "Collas" arbeiten heute für die "Cambas", als Erntehelfer oder Bauarbeiter. In der Regel ist das Zusammenleben friedlich.

Markt im Armenviertel "Plan 3000"
Markt im Armenviertel "Plan 3000". Hier wohnen vor allem Einwanderer aus dem HochlandBild: DW/Steffen Leidel

Dennoch: Es gibt ein großes Konfliktpotential, denn die "Collas", die meist in Armut leben, unterstützen den Kurs von Evo Morales. Bei einer Meinungsumfrage antwortete jeder Fünfte, er halte einen Bürgerkrieg zwischen den Morales-Anhängern und Gegnern für möglich. Die Nación Camba soll angeblich paramilitärische Gruppen bereithalten. Kiko will keinen Krieg. "Wir sind keine Rassisten, wir leben gut mit den 'Collas' zusammen.", sagt er. Dennoch, im Ernstfall würde auch er kämpfen: "Wir haben niemanden beraubt, unser Land haben wir mit uns mit unserem Schweiß erarbeitet. Wir werden nichts hergeben, eher sterben wir."