Bolsonaro wegen Corona-Politik unter Druck
21. März 2021Ende März* soll laut Medienberichten ein Airbus A310 der deutschen Bundeswehr von Köln Richtung Brasilien aufbrechen und 80 Beatmungsgeräte nach Manaus bringen. Die werden in der Amazonas-Metropole dringend benötigt. Dort ist das Gesundheitssystem unter dem Ansturm von COVID-19-Patienten erneut kollabiert.
Schon vor gut einem Jahr, im vergangenen April gingen Bilder um die Welt, auf denen Verstorbene in Massengräbern beigesetzt wurden, weil der Platz auf den Friedhöfen von Manaus ausging. Im Januar gab es dann zeitweise keinen Sauerstoff mehr, um schwer an COVID-19 Erkrankte zu versorgen.
Schon lange gilt Brasilien als einer der globalen Corona-Hotspots. Dramatische Bilder und Nachrichten wie die aus Manaus stützen dieses Bild. Schaut man sich die Zahlen des Landes aber insgesamt an, relativiert es sich.
Laut "Our World in Data", einem Statistikportal der Universität Oxford, entspricht das Infektionsgeschehen einer 7-Tagesinzidenz von 239, damit rangiert Brasilien in der zurückliegenden Woche im weltweiten Vergleich zwischen Frankreich und Luxemburg.
Auch bei der Sterblichkeit schneidet Brasilien besser ab, als es auf den ersten Blick scheint: Sieben EU-Länder, darunter Deutschland, weisen eine höhere Letalität aus. Ein Grund dafür könnte Brasiliens relativ junge Bevölkerung sein.
Menetekel Manaus
Allerdings taumelt der südamerikanische Staat derzeit von Negativrekord zu Negativrekord. Aufgrund der "brasilianischen Mutation" breitet sich das Virus dort derzeit so schnell aus wie nie zuvor: Etwa 80.000 Neuinfektionen registriert das Land zuletzt pro Tag. Mehr als 2800 Menschen sind in Brasilien an einzelnen Tagen im Zusammenhang mit einer COVID-19-Infektion gestorben. Auch das ist ein (vorläufiger) Höhepunkt in der Epidemie.
Wahrscheinlich ist allerdings, dass Brasilien deutlich besser dastehen könnte, wenn die Regierung in Brasília das Geschehen in Manaus schon ab der ersten Welle als mahnendes Beispiel genommen hätte. Der Staat garantiert zwar allen Einwohnern eine medizinische Grundversorgung, kann sie aber nicht flächendeckend anbieten. Auch vor COVID-19 war der Ärztemangel in Brasilien so groß, dass die Regierung zeitweise Tausende kubanische Mediziner vom kommunistischen Regime in Havanna "mietete".
Wirtschaft über Gesundheitsschutz
Es ist nicht neu, dass Patienten aus ländlichen Regionen selbst bei minderschweren Erkrankungen hunderte Kilometer zurücklegen müssen, um behandelt zu werden, oder dass sie auf Wartelisten gesetzt werden. Derzeit aber kommen selbst in vergleichsweise wohlhabenden und gut organisierten Millionenstädten wie Rio de Janeiro, São Paulo, Belo Horizonte und Porto Alegre Akutpatienten auf Wartelisten, weil es an Betten fehlt.
Kritiker sagen, die Regierung in Brasília hätte dies durch einheitliche Infektionsschutzmaßnahmen verhindern können. Aber Präsident Jair Bolsonaro will davon nichts wissen. Mund-Nasen-Schutz bezeichnet er als überflüssig, jegliche Lockdown-Maßnahmen sind ihm zuwider, weil sie die ohnehin angeschlagene Wirtschaft des Landes weiter schwächen könnten. Und auch wenn er kürzlich erwogen haben soll, sich impfen zu lassen, hat er seine Ansicht bisher nicht revidiert, dass Corona nicht schlimmer sei als eine gewöhnliche Grippe.
Statt also - wie die allermeisten Regierungen weltweit - landesweite Einschränkungen oder eine umfängliche Impfstrategie einzuleiten, ruft Bolsonaro die Brasilianer auf, sich nicht so anzustellen und die Wirtschaft am Laufen zu halten. In einem Land wie Brasilien, in dem viele Menschen Tagelöhner sind, kann ein Lockdown gerade für die Ärmsten eine konkretere Bedrohung darstellen als das Risiko einer Virusinfektion.
Popularität der Regierung moderat gesunken
Seine Anhängerschaft quittiert Bolsonaros Kurs mit Treue. Bei einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Datafolha Mitte März bezeichneten zwar 44 Prozent der Befragten seine Regierung als schlecht oder sehr schlecht. 79 Prozent meinten, die Pandemie in Brasilien sei außer Kontrolle. Es sagten aber auch 30 Prozent, sie fänden Bolsonaros Arbeit weiterhin gut oder sehr gut.
Ende 2020 waren Bolsonaros Popularitätswerte zwar etwas besser. Damals standen potenzielle Wähler unter dem Eindruck der unbürokratischen Bargeldhilfen für Mittellose. Insgesamt aber halten sich die Werte seit Bolsonaros Amtsantritt vor zwei Jahren weitgehend konstant.
Druck kommt mittlerweile eher aus dem Parlament in Brasília. Dort wird der parteilose Präsident vor allem vom sogenannten Centrão gestützt, einem Mitte-Rechts-Bündnis aus zahlreichen opportunistisch agierenden Splitterparteien. Doch es scheint im Parlament zu brodeln.
Druck auf Bolsonaro wächst
Laut Medienberichten haben einige Abgeordnete erwogen, bei der kommenden Präsidentenwahl Ende 2022 Luiz Inácio Lula da Silva zu unterstützen. Der sozialistische Ex-Präsident, der seinerseits auf eine treue Gefolgschaft zählen kann, ist seit Anfang März zurück auf der politischen Bühne, nachdem ein Gericht die Korruptionsurteile gegen ihn für ungültig erklärt hatte.
Als sichtbares Zeichen der wachsenden Spannungen zwischen Präsident und Parlament gilt die Entlassung von Gesundheitsminister Eduardo Pazuello. Der dritte Amtsinhaber seit Ausbruch der Corona-Krise war insbesondere durch Untätigkeit und - wie vielleicht von einem Armeegeneral, der er ist, zu erwarten - buchstäblichen Kadavergehorsam gegenüber seinem Vorgesetzten aufgefallen.
Neuer Gesundheitsminister - alter Kurs?
Deshalb kreidet man Pazuello unter anderem den Sauerstoffflaschen-Mangel in Manaus an. Zudem wurde kürzlich bekannt, dass Brasilien bereits im Dezember mehrere Millionen Dosen vom BioNTech-Pfizer-Impfstoff hätte beziehen können, hätte Pazuello das Angebot nicht abgelehnt.
Die Wunschkandidatin des Centrão, die Kardiologin Ludhmila Hajjar, hat den Job zwar wegen zu großer Differenzen mit Bolsonaro abgelehnt. Immerhin ist aber auch der nun ernannte Gesundheitsminister Marcelo Quiroga Arzt und hält nichts von - im besten Falle wirkungslosen - Corona-Medikamenten wie dem Malaria-Mittel Chloroquin. Einen harten Lockdown lehnt aber auch er ab.
Aus Untätigkeit wird Boykott
Ob der Wechsel an der Spitze des derzeit wohl wichtigsten Ministeriums auch einen baldigen Politikwechsel bewirkt, ist also mehr als fraglich. Eher schon sei er ein Hinweis darauf, dass der Rückhalt des Präsidenten im Centrão wackele, sagte der Ex-Politiker und Journalist Thomas Traumann in einem Podcast der Tageszeitung "Folha de São Paulo": "Die Zahl der Corona-Fälle steigt brutal, die Impfkampagne ist völlig unorganisiert, der Wirtschaft geht es schlecht. Im Centrão könnte man also zu dem Schluss kommen, dass es nicht so vorteilhaft ist, der Regierung allzu nah zu stehen."
Bolsonaro werde nun durch eine sehr schwierige Phase gehen, meint Traumann. Dennoch macht der Präsident keine Anstalten, seinen Kurs entscheidend zu ändern. Erst am Donnerstag machte Bolsonaro klar, dass er weiterhin Corona-Maßnahmen ausbremsen will: Da forderte er vom Obersten Bundesgerichtshof, die Dekrete einiger Gouverneure zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit für ungültig zu erklären.
"Er begründet das damit, dass solche Maßnahmen nur in einem 'Belagerungszustand' zulässig seien, und den kann tatsächlich nur der Präsident ausrufen", sagt der Politologe Oliver Stuenkel von der Getulio-Vargas-Stiftung in São Paulo. Dass Bolsonaro mit diesem Schritt durchkommt, hält Stuenkel allerdings für unwahrscheinlich.
* Korrekturhinweis: In einer früheren Version dieses Artikels wurde irrtümlich berichtet, der Luftwaffentransport habe bereits stattgefunden.