Booster für Geothermie mit neuer Bohrtechnik?
24. August 2023Die Kleinstadt Geretsried bei München entsteht derzeit ein innovatives Geothermie-Kraftwerk mit neuer Bohrtechnik und geschlossenem System, das weltweit wegweisend werden könnte. Mit dem neuen Verfahren könnte bald an vielen Orten der Welt Wärme aus der Erde gewonnen werden, für städtische Fernwärme-Netze oder klimafreundliche Stromkraftwerke. Das will sich auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) heute mit Vertretern der kanadischen Regierung und Eavor-Mitarbeitern anschauen.
Auf der Baustelle in Geretsried fressen sich in 70 Meter Abstand zwei große Bohrer immer tiefer in die Erde. In 4500 m Tiefe knickt der Bohrwinkel um 90 Grad, von dort werden die Röhren noch einmal dreieinhalb Kilometer in die Horizontale geführt. "Dann verbinden sie sich am Ende zu einer geschlossenen Schleife", erklärt Daniel Mölk, Geschäftsführer von Eavor, einer Tochtergesellschaft des kanadischen Energieunternehmens Eavor Technologies.
12 Wärmeschleifen sollen pro Bohrlochpaar in der Tiefe entstehen, sie bilden dann einen riesigen Wärmetauscher im Untergrund. Durch die Rohre wird Wasser von der Oberfläche in den heißen Untergrund gepumpt, heizt sich dort im Gestein auf, kommt in dem geschlossenen System wieder an die Oberfläche und gibt die Wärme über einen Wärmetauscher an eine Fernwärmeleitung ab. Anschließend fließt das abgekühlte Wasser wieder in die Röhren und heizt sich in der Tiefe wieder auf.
Vier solcher unterirdischen Wärmetauscher sollen in Geretsried bis 2026 gebaut werden, die Wärmeleistung der Gesamtanlage soll dann bei 64.000 KW liegen. Damit könnten "rund 34.000 Haushalte mit Wärme versorgt werden", sagt André Deinhardt, Geschäftsführer vom Bundesverband Geothermie.Ein Teil der Energie soll auch für die Stromerzeugung genutzt werden.
Bohren mit Magnettechnik und unterirdischer Steuerung
Die Bohrtechnik wurde in den letzten Jahrzehnten vor allem in der Öl- und Gasindustrie sehr weit entwickelt.
Inzwischen können Bohrmeißel unterirdisch gesteuert werden, erklärt Mölk. Und bei der Parallelbohrung in Geretsried kommunizieren die beiden Bohrer mit einer speziellen Magnettechnologie, so kann der genaue Abstand jederzeit kontrolliert werden.
"Am Ende, wenn wir die Ziele erreicht haben, dann suchen die sich mit ihren magnetischen Feldern jeweils gegenseitig und schließen so die beiden Bohrungen zusammen, das ist dann eine geschlossene Wärmeschleife, ein großer Wärmetauscher im Untergrund."
Tiefengeothermie für neue Standorte auch ohne Thermalwasser
Die Tiefengeothermie, also die Nutzung der natürlichen Erdwärme in großen Tiefen, gilt als wichtiger Schlüssel für die Versorgung von bestehenden Wärmenetzen, betont Professor Rolf Bracke, Leiter der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastruktur und Geothermie (IEG).
Temperaturen von bis zu 120 Grad in älteren Wärmenetzen, die bisher vor allem mit Kohle und Gaskraftwerken betrieben werden, ließen sich durch die Tiefenwärme günstig erzeugen – laut einer Analyse von Forschungsinstituten mit weniger als drei Eurocent pro Kilowattstunde, also günstiger als mit Erdgas.
Doch die bisher gängige Technik, die sogenannte hydrothermale Tiefengeothermie, funktioniert nicht überall.
Denn dafür werden wasserführende Schichten in der Tiefe gebraucht, aus denen heißes Thermalwasser gefördert werden kann. Das abgekühlte Wasser geht dann an einer anderen Stelle in den Untergrund zurück. (siehe Grafik). Doch nicht überall gibt es diese wasserführenden Schichten.
Bei dem neuen Verfahren wird Wasser von oben in ein geschlossenes Röhrensystem eingeführt, die Firma Eavor hat es bisher in Kanada in einem Pilotprojekt erprobt.
Professor Bracke sieht die neue Technik als als eine gute Ergänzungstechnik. "Das Verfahren ist anspruchsvoll, aber erscheint machbar", so Bracke gegenüber der DW. Der Vorteil: "dass man mit der Technik in Bereiche gehen kann, in denen der Untergrund keine ausgeprägte natürliche Thermalwasserführung hat. Es ermöglicht eine Chance, den tiefen kristallinen Untergrund in Europa (Anm. d. Red.: Gebirge im Untergrund ohne wasserführende Schichten) auch zu erschließen."
Geschäftsführer Mölk ist zuversichtlich, dass dank des neuen Verfahrens künftig viel mehr Städte mit Tiefengeothermie versorgt werden könnten. "Im Moment liegen unsere Kosten zwischen vier und sechs Cent pro Kilowattstunde."
Ein Schub für Tiefengeothermie für Wärme und Strom
Deutschland will die Wärmegewinnung mit Tiefengeothermie bis 2030 verzehnfachen.
Dafür könnte die neue Geothermietechnik mit geschlossenem System und Wärmetauscher ein wichtiger Baustein werden.
Das Kraftwerk in Geretsried wird die erste große Anlage weltweit mit dem geschlossenen Geothermie-System.
"Das Projekt wird wertvolle Erkenntnisse erbringen, welchen Beitrag die innovative Technologie zur Energiewende leisten kann", so ein Regierungssprecher. Der Europäische Innovationsfonds fördert das neue Kraftwerk mit 92 Millionen Euro.
Geschäftsfüher Mölk ist optimistisch, dass sich die Technik weltweit etabliert, "Mittelfristig werden wir unsere Technologie deutschlandweit, in ganz Europa und global zum Einsatz bringen. Unsere Loop-Technologie wird zum wichtigen Baustein im Kampf gegen den Klimawandel".
Die moderne Bohrtechnik existiert bereits heute weltweit. Allein in den USA gibt es derzeit 30.000 Bohranlagen, und Bohrtürme könnten relativ einfach auch am "Fließband produziert werden", um wachsende Nachfrage zu decken, betont Mölk.
Einen großen Engpass sieht er derzeit in Deutschland noch beim fehlenden Personal, das für die Bohrtechnik verstärkt ausgebildet werden sollte. Auch fehlten noch geologische Daten in vielen Regionen.
"Wir brauchen großflächige Erkundungsprogramme, damit Geothermie überall erforscht werden kann, ganz unabhängig davon welche Technologie dann zum Einsatz kommt."