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Musik

"Beethoven ist kraftvoll wie die Sonne"

6. Oktober 2016

Der gefeierte russische Pianist Boris Berezowsky spricht mit der DW über Beethovens "unglaubliche, nukleare Energie", die russische Klavier-Tradition und seine Heimat Moskau.

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Frankreich Nantes Pianist Boris Berezovsky
Bild: Getty Images/AFP/F. Perry

Boris Berezowsky gehört zu den großen Meistern des Klaviers. Beim Beethovenfest in Bonn war er an gleich zwei Abenden zu hören: mit Sergej Rachmaninows Drittem Klavierkonzert und mit einem Solo-Programm, dessen genaue Zusammensetzung selbst für die Veranstalter bis zum letzten Moment ein Geheimnis blieb.  

DW: Sie haben vor dem Konzert in Bonn das Programm kurzerhand geändert und das Publikum mit der Mitteilung erheitert, Sie spielen gleich statt dem "komischen Strawinsky" lieber einen "Bartók, der ebenso ganz komisch ist". Nun standen Beethoven, Chopin, Scarlatti, Liszt und eben Bartók auf dem Programm. Was ist der rote Faden?

Boris Berezowsky: Die Vielfalt. Ich liebe Vielfalt. Ich mag dagegen keine Programme, die nur einem Komponisten gewidmet sind. Das ist langweilig für die Zuhörer, denke ich. Mein Programm ist eine Mischung aus unterschiedlichen Epochen und Stilen, aus Werken von komplett unterschiedlichen Komponisten. Ich glaube, unsere Zivilisation ist auf einem Niveau, auf dem man sich so etwas erlauben kann.

Wie ist Ihr Verhältnis zu Beethoven?

Es mag wie ein Klischee klingen, aber es ist wahr: Beethoven erschafft Musik aus dem Nichts. Persönlich liebe ich seine unglaubliche, nukleare Energie. Er ist so kraftvoll wie die Sonne.

Für Viele verkörpern Sie die russische Klavier-Tradition. Was bedeutet das für Sie?

Das ist schwer in Worte zu fassen. Vielleicht so: Die russische Klavier-Tradition ist der Wunsch, die ganze Welt zu umarmen.

Sie haben einmal gesagt: "Wenn ich dreimal das gleiche Werk von Chopin spielen würde, dann würde das Publikum dreimal unterschiedliche Musik hören." Liegt das an Ihnen oder an Chopin?

Es liegt an der Mehrstimmigkeit in seiner Musik. Wenn man die Phrase anders aufbaut, klingt die Musik anders, auch wenn man dieselben Noten spielt.

Sie haben über zwei Jahrzehnte in Westeuropa gelebt, sind dann vor zwei Jahren mit ihrer Familie nach Moskau zurückgekehrt. Warum?

Es gibt momentan drei Städte in Europa, in denen es sich lohnt, zu leben: London, Berlin und Moskau. Was das kulturelle Angebot anbelangt, so würde ich Moskau sogar auf den ersten Platz setzen. Der ganz große Vorteil für mich ist auch: Ich bin in Moskau zu Hause, verstehe die Sprache, die Kultur, die Menschen viel besser. Es ist ein Luxus, dort zu leben, wo man auch geboren bist. Diesen Luxus haben nicht alle heute.

Deutschland Dmitri Liss und Ural Philharmonic Orchestra (Barbara Frommann/Beethovenfest)
Boris Berezowsky trat beim Beethovenfest auch mit dem Dirigenten Dmitri Liss und dem Ural Philharmonic Orchestra aufBild: Barabar Frohmann/Beethovenfest

Beim Spielen haben Sie eine sehr zurückhaltende Körpersprache. Manchmal scheint es, also ob Sie sich dabei kaum bewegen. Haben Sie das extra angelernt?

Nein, das ist mein Naturell. Andere spielen mit viel Gestikulation, was für sie ebenso natürlich ist.

Als Sie in Bonn mit dem Ural Philharmonic Orchestra aufgetreten sind, haben Sie das Klavier mitten im Orchester platzieren lassen - sehr ungewöhnlich! Manche im Publikum haben sich sogar beschwert, dass man Ihre Hände gar nicht sehen konnte.

Bei allem Respekt: Es geht um die Musik, nicht ums Auf-die-Hände-schauen. Im Ernst: Für mich ist ein Klavierkonzert, besonders das Dritte Klavierkonzert von Rachmaninow, wie ein Stück Kammermusik. Und da muss ich meine Partner gut sehen und hören können.

Apropos "Rachmaninow Drei": Gibt es für Sie überhaupt Musik, die noch russischer wäre, als dieses Stück?

Es ist schon extrem russisch. Manche nennen Rachmaninow einen Romantiker. Dabei ist seine Musik eine Mischung aus russischem Glockengeläut und orthodoxem Gesang. Aber vielleicht noch russischer ist die Folklore, die tief darin steckt. Aus derselben vorchristlichen, heidnischen Tradition haben sich Rimski-Korsakow und Strawinsky bedient. Das ist sozusagen "Musik der Erde" ["Musik der Erde" ist auch der Name eines neuen Festivals, das Boris Berezowsky im vorigen Jahr ins Leben gerufen hat, Anm. d. Red.].

 

Das Beethovenfest 2016 endet am 9. Oktober. Lesen Sie mehr über das Musikfest in unserem DW-Spezial .