Ein Sprücheklopfer will nach oben
24. Juni 2016Als Boris Johnson im Februar ankündigte, er werde die Brexit-Kampagne unterstützen, hat das die Debatte sofort verändert. Johnson ist sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der Konservativen Partei beliebt. Indem er sich offiziell an die Spitze der EU-Austrittsbefürworter stellte, verlieh er der Kampagne das Gewicht des Establishments, nachdem zuvor eher politische Randfiguren wie Nigel Farage und George Galloway den Ton angegeben hatten.
Premierminister David Cameron soll wochenlang auf Johnson eingeredet haben, zusammen mit der Regierung für den Verbleib in der EU zu kämpfen. Umfragen hatten gezeigt: Sollte sich Johnson auf die Gegenseite stellen, würde das deutliche Auswirkungen haben. Genauso ist es gekommen.
"Im Gegensatz zu den meisten Politikern redet er Klartext und kommt bei Menschen aller politischen Überzeugungen an", sagt Adam Bienkov, stellvertretender Chefredakteur des Nachrichtenportals "politics.co.uk": "Er ist kein typischer Politiker. Er sagt Dinge, die andere nicht sagen wollen. Manchmal geht der Schuss zwar nach hinten los, aber jedenfalls vergisst man ihn nicht. Die Leute kennen ihn, und er ist der beliebteste Politiker Großbritanniens."
Viele glauben, Johnsons Entscheidung, das Brexit-Lager anzuführen, sei ein opportunistischer Schachzug gewesen. Es sei dabei nicht um echte Überzeugung gegangen, sondern er habe damit vor allem seine Chancen verbessern wollen, Parteichef der Konservativen zu werden.
Jetzt, wo die Briten tatsächlich für einen EU-Austritt gestimmt haben, gilt es fast als sicher, dass Premierminister Cameron zurücktritt. Johnson erscheint zur Zeit als der wahrscheinlichste Nachfolgekandidat.
Doch wer ist dieser schillernde Politiker und was macht seine Popularität aus?
Der Gewinnertyp
Bevor Johnson in die Politik ging, hatte er bereits eine erfolgreiche journalistische Karriere hinter sich. Er schrieb für die "Times", den "Daily Telegraph" und wurde 1999 Herausgeber des konservativen Nachrichtenmagazins "The Spectator". 2001 trat er von dieser Aufgabe zurück und wurde Parlamentsabgeordneter. Er hat aber immer als Zeitungskolumnist weitergearbeitet. Während seiner Zeit als Bürgermeister von London hat er sogar deutlich mehr durch seinen Journalismus verdient denn als Politiker. Nach acht Jahren als Bürgermeister kehrte er 2015 als Abgeordneter ins Unterhaus zurück.
Johnson hat sich mit seinen gewagten Bemerkungen und seinem schrägen Humor einen Namen gemacht. Viele sehen darin einen willkommenen Gegensatz zum oft farblosen Politikbetrieb in Westminster.
"Wenn Sie die Tories wählen, dann bekommt Ihre Frau größere Brüste und Ihre Chancen steigen, einen BMW M3 zu besitzen", sagte er 2005 im Unterhauswahlkampf. Ein Video, das zeigt, wie Johnson während der Olympischen Spiele in London 2012 mit einer Einmann-Seilbahn über einer Menschenmenge hängenblieb, wurde zur unvergesslichen, millionenfach angeschauten Szene.
"Er ist einfach sehr charismatisch und das färbt ab", sagt der politische Kommentator James Bloodworth: "In der Konservativen Partei ist man sich dessen sehr bewusst. Boris ist ein Siegertyp, aber er spielt auch sehr gut auf der ideologischen Klaviatur der Partei - eine seltene Kombination."
Als Johnson 2008 bei der Wahl zum Londoner Bürgermeister den Labour-Kandidaten Ken Livingstone schlug, war das der erste größere Wahlsieg der Konservativen seit den Zeiten vor 1997, also bevor Labour-Mann Tony Blair triumphal in die Downing Street einzog. Johnson schlug Livingstone 2012 erneut und festigte damit seinen Ruf als Gewinner.
Mageres Wahlprogramm, Stillstand im Rathaus
Trotz seines oft trotteligen Auftretens, seiner Strubbelfrisur und seiner Neigung zu unpassenden Bemerkungen wird seit langem spekuliert, dass Johnson Cameron - wie er Zögling der Elite-Bildungsstätten Eton und Oxford - verdrängen will.
Doch es gibt auch viele, die seine Leistungen infrage stellen. Während seiner Zeit als Londoner Bürgermeister sind zum Beispiel die Preise für den öffentlichen Nahverkehr in die Höhe geschnellt und es gab mehrere lange Tarifauseinandersetzungen mit den Gewerkschaften.
"Wenn man sich seine zwei Amtszeiten ansieht, dann muss man sagen, dass er nicht viel geleistet hat", meint Bienkov. "Bei der jüngsten Wahl hat er nicht mal viel versprochen. Sein Wahlprogramm war ziemlich mager. Während der vergangenen vier Jahre gab es im Rathaus eine Art Stillstand. Man könnte sagen, dass er mehr an anderen Dingen interessiert war, zum Beispiel am Bücherschreiben."
Als Johnson als Bürgermeister zurücktrat, brachten die meisten Zeitungen liebevolle Sammlungen seiner besten Sprüche heraus. Obwohl manche seiner Ausrutscher allgemein beliebt sind, passen sie vielleicht nicht so recht zu einem Premierminister. So sagte er über die südenglische Stadt Portsmouth, dort gebe es "zu viele Drogen, zu viel Fettleibigkeit, Erfolglosigkeit und zu viele Labour-Abgeordnete".
"Ich glaube, er wäre kein besonders guter Premier", sagt Kommentator James Bloodworth: "Er tritt in zu viele Fettnäpfchen. Wenn man einmal Parteichef ist, kommt man mit witzigen Bemerkungen nicht mehr so leicht weiter."