Bosnien-Herzegowina als "schwarzes Loch in Europa"?
18. Mai 2006Die schwierige Transformation und der Weg in die EU waren Thema bei einer Konferenz, die dieser Tage unter der Schirmherrschaft der Nichtregierungsorganisation "Balkan Political Club" in Sarajewo stattfand. Vorsichtig optimistisch - so könnte man am besten die Statements der Teilnehmer an der Konferenz in Sarajewo beschreiben, wenn sie nach den Zukunftsaussichten Bosnien-Herzegowinas gefragt werden.
Unübersehbare Fortschritte
Den unübersehbaren Fortschritt wollte niemand verschweigen. Immerhin hat das Balkan-Land einen furchtbaren Krieg überstanden und ist aus einer äußerst dramatischen Lage endgültig in einer Phase des Friedens angekommen. Trotz aller Schwächen spielte dabei das oft kritisierte Daytoner Abkommen von 1995, mit dem die kriegerischen Auseinandersetzungen in Bosnien-Herzegowina beendet werden konnten, die entscheidende Rolle.
Daran erinnerte auch der ehemalige türkische Staatschef Suleyman Demirel: "Rückwirkend gesehen hat das Dayton-Abkommen die international anerkannten Grenzen Bosniens bewahrt und die Grundlagen für einen gemeinsamen multiethnischen und demokratischen Staat vorbereitet. Jetzt müssen diese Ziele erreicht und starke und effizientere Institutionen geschaffen werden. Und das ist der Übergang aus der 'Daytoner Phase' in die 'Brüsseler Phase'." Die "Brüsseler Phase" - damit ist die Vorbereitung auf einen EU-Beitritt gemeint.
Scheitern der Verfassungsreform
Der US-Botschafter in Sarajewo, Douglas McElhaney, zeigte sich enttäuscht über die Ablehnung der Verfassungsreform. Er war einer der Hauptprotagonisten auf Seiten der internationalen Gemeinschaft in der Ausarbeitung einer neuen Verfassung für Bosnien-Herzegowina. Der US-Diplomat formulierte die Hauptbedingung für den endgültigen Abschied von der sogenannten Daytoner Phase der Nachkriegszeit und für die Annäherung an die EU und die NATO: "Bosnien-Herzegowina muss die Verantwortung für die eigene Zukunft übernehmen. Und das ist ein langer Weg, der beschritten werden muss."
Stärkere Rolle der EU
Auf den ersten Blick entsteht der Eindruck, dass die USA die Bosnien-Politik der internationalen Gemeinschaft prägen und anführen würden. Dies hängt auch damit zusammen, dass die Amerikaner direkter und lauter sind in der Äußerung ihrer Unzufriedenheit. Hinter den Kulissen spielten jedoch die Europäer seit einigen Jahren eine immer wichtigere Rolle, erklärt der deutsche Botschafter in Bosnien-Herzegowina, Arne von Kittlitz und Ottendorf. Er glaubt sogar, Bosnien sei ein gutes Beispiel für die gemeinsame Außenpolitik der EU: "In keinem anderen Land ist die Europäische Union in dieser umfassenden Form als Familie vertreten. Und insofern ist es für uns alle, für die Mitgliedsländer der EU und für die Europäische Kommission von großer Bedeutung, dass wir hier in der vereinbarten und geplanten Weise weiter vorankommen."
Das starke Interesse der Europäischen Union an Stabilität auf dem Balkan bestätigt auch der ehemalige Hohe Repräsentant der internationalen Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina, Wolfgang Petritsch. Der Österreicher sieht keine Alternative zur Aufnahme des Landes in die EU, betont allerdings, dass dies ein sehr langer Prozess sei: "Man muss bedenken, dass man zwar Kosten des Beitritts haben wird - politische und auch finanzielle - aber dass die Kosten eines Nicht-Beitritts wesentlich höher wären als die des Betritts, wenn man an Migration denkt, organisierte Kriminalität, Terrorismus etc."
Warnung vor schmuddeligem Hinterhof
Die Befürchtung, dass Bosnien-Herzegowina zusammen mit Serbien und Montenegro, Mazedonien und dem Kosovo zu einem großen "schwarzen Loch" in Europa werden könnte, war in Sarajewo häufig zu hören. Viele Teilnehmer der Konferenz waren der Meinung, dass die EU alles tun wird, um auf dem Balkan keinen gefährlichen und schmuddeligen Hinterhof zu haben. Doch die Hauptverantwortung für die Zukunft dieser Region sehen sie bei den Regierungen in den jeweiligen Hauptstädten.
Diese These unterstützt auch der jetzige Hohe Repräsentant in Bosnien-Herzegowina Christian Schwarz-Schilling. Im Hinblick auf die abgelehnte Verfassungsreform erinnerte der deutsche Christdemokrat an die möglichen Folgen einer weiteren Aufschiebung notwendiger Reformen in Bosnien-Herzegowina: "Das könnte sehr gefährlich werden, weil der Zug der Geschichte auf dem bosnischen Bahnhof nicht stehen bleibt und wartet bis der Letzte eingestiegen ist, sondern ist dann abgefahren. Und dann hat Bosnien eine historische Chance versäumt."
Benjamin Pargan
DW-RADIO/Bosnisch, 18.5.2006, Fokus Ost-Südost