Bosnien: ICTY-Urteil gegen Ex-Parlamentspräsidenten umstritten
28. September 2006Momcilo Krajisnik war der bisher höchstrangige Angeklagte, der sich vor dem Haager Kriegsverbrechertribunal (ICTY) verantworten musste und schließlich verurteilt wurde. Krajisnik war vor, während und nach dem Bosnien-Krieg einer der prominentesten und einflussreichsten Funktionäre der Serbischen Demokratischen Partei (SDS). Im Oktober 1991 wurde er Präsident des Parlaments der bosnischen Serben.
Nicht für Völkermord verantwortlich
Vor dem ICTY musste sich der inzwischen 61-Jährige für die Ermordung, Vertreibung und Verfolgung von mehreren tausend bosnischen Muslimen und Kroaten zwischen Sommer 1991 und Dezember 1992 verantworten. Das Gericht befand Krajisnik schließlich der Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Bosnien-Krieges schuldig und verurteilte ihn am Mittwoch (27.9.) zu 27 Jahren Haft verurteilt. Von der Anklage des Völkermordes wurde der ehemalige Parlamentspräsident der bosnischen Serben aber freigesprochen. Die Anklage hatte lebenslange Haft wegen Völkermordes beantragt. Die Reaktionen auf das Haager Urteil in Bosnien und Herzegowina fielen sehr unterschiedlich aus.
Enttäuschung in Sarajevo
Die Tatsache, dass Momcilo Krajisnik, praktisch die "rechte Hand" Radovan Karadzics während des Bosnien-Krieges, zu 27 Jahren Haft verurteilt, aber von der Anklage des Völkernordes freigesprochen wurde, hat in Sarajevo vor allem negative Reaktionen ausgelöst. Munira Subasic von der Nichtregierungsorganisation "Mütter der Enklaven Srebrenica und Zepa" betonte im Gespräch mit der Deutschen Welle, diese Entscheidung sei eine weitere Enttäuschung sowie eine weitere Belohnung für Verbrechen gegen die Bevölkerung Bosnien-Herzegowinas.
Der Verband der bosnisch-herzegowinischen Kriegsgefangenen betonte, solche Urteile wie in Krajisniks Fall machten nur deutlich, dass die zwei meistgesuchten und wegen Völkermord angeklagten Personen, Radovan Kaardzic und Ratko Mladic, wohl nie vor dem Gericht in Haag erscheinen werden. Munir Tahirovic vom Verband der Kriegsgefangenen sagte: "Es ist offensichtlich, dass die Verantwortung für den Völkermord mit Absicht ausgeblendet wurde. Es ist aber auch offensichtlich, dass dieses Urteil ein schwerer Rückschlag für die Glaubwürdigkeit des Tribunals in Haag ist."
Sulejman Tihic, der Präsident des bosnisch-herzegowinischen Präsidiums, wertete das Urteil gegen Momcilo Krajisnik als Beweis dafür, dass sich die Republika Srpska, die serbische Entität in dem Balkan-Land, an der Vertreibung, Ausrottung, Ermordung, Deportation und Zwangsumsiedlung der nicht-serbischen Bevölkerung beteiligt hat.
Unverständnis in Banja Luka
Erste Reaktionen auf das Krajisnik-Urteil in Banja Luka, der Hauptstadt der Serben-Republik in Bosnien und Herzegowina, kamen aus seiner ehemaligen Partei SDS (Serbische Demokratische Partei), deren Mitglied Krajisnik seit der Gründung war. Jahrelang war er die "Nummer zwei", gleich hinter Radovan Karadzic. Mladen Bosic, SDS-Vizepräsident, nannte die Höhe der Haftstrafe "schockierend". Er sagte: "Was mich schockiert, ist die Tatsache, dass der Prozess gegen einen Mann geführt wurde, der für kein einziges Verbrechen direkt verantwortlich ist."
Ähnlich argumentiert der jetzige Präsident der Republika Srpska, Dragan Cavic. Er ist der Meinung, dass mit dem Urteil gegen Krajisnik gleichzeitig alle damaligen Parlamentsmitglieder verurteilt werden: "Krajisnik war der Parlamentspräsident. Ich kenne keine einzige von dem Parlament getroffene Entscheidung, kein einziges verabschiedetes Gesetz, das gegen die Normen des internationalen Kriegs-, humanitären- oder irgendwelchen Rechts verstößt."
Der bosnisch-herzegowinische Außenminister Mladen Ivanic betonte, das Wichtigste bei dem Haager Urteil gegen Momcilo Krajisnik sei die Tatsache, dass er nicht des Völkermordes schuldig gesprochen wurde. "Damit ist so gut wie ausgeschlossen, dass die serbische Bevölkerung und ihre politischen Führer wegen Völkermord möglicherweise angeklagt werden", so Ivanic.
Zoran Pirolic/Stanko Smoljanovic, Sarajevo/Banja Luka
DW-RADIO/Bosnisch, 27.9.2006, Fokus Ost-Südost