"Moïse war ein Mann des Lächelns!"
9. Juli 2021"Er war ein persönlicher Freund", sagt Frantz Bataille, offizieller Vertreter von Haiti in Deutschland. "Jovenel Moïse war ein Mann des Lächelns, ein Optimist." In der Nacht auf Mittwoch wurde der Präsident von Haiti in der Hauptstadt Port-au-Prince ermordet, bei einem Überfall auf seine Villa durch mehr als 20 bewaffnete Männer. Das offizielle Porträt von Moïse mit dem strahlenden Lächeln hängt neben dem Schreibtisch des Botschafters in Berlin. Bataille ist ratlos. "Es ist kaum vorstellbar, was da passiert ist", sagt er. "Ich bin schockiert."
Gedrückte Stimmung bei Diplomaten und Mitarbeitern
Kaum zwei Tage nach dem Attentat herrschen Trauer und Verunsicherung in der Botschaft von Haiti, einer Büroetage unweit des Prachtboulevards Kurfürstendamm im Zentrum von Berlin. Diplomaten und Mitarbeiterinnen unterhalten sich gedämpft, aus einem der Räume ist eine Nachrichtensendung zu hören. Frantz Bataille ist erst seit März als Botschafter akkreditiert, zuvor war er seit 2015 "Charge d'Affaires" in Berlin, also eine Art Geschäftsträger. In wenigen Tagen wollte der 71-Jährige privat in sein Heimatland reisen, nach einem Todesfall im Freundeskreis. Nun ist alles unsicher.
Verwirrung in Berlin über die Lage in der Heimat
Berlin ist Tausende Kilometer von Port-au-Prince entfernt, die Nachrichtenlage ist verwirrend, genaue Einzelheiten sind kaum zu erfahren, auch nicht für einen Botschafter mit besten Verbindungen in den Präsidentenpalast.
Dort hat Claude Joseph als vorübergehender Premierminister die Geschäfte an sich gezogen - ob er dafür die verfassungsrechtliche Legitimation hat, ist umstritten. Aber Joseph hat den Ausnahmezustand verhängt und hält Pressekonferenzen ab, informiert die Welt über den Verlauf der Ermittlungen nach dem Attentat. In den Medien ist dann im Hintergrund dasselbe offizielle Porträt des Präsidenten zu sehen, das auch in der Botschaft in Berlin hängt.
"Der Mord ist vielleicht der Preis für die Veränderungen."
Über die Hintergründen des Attentats kann auch Botschafter Bataille nur spekulieren. "Vielleicht ist das der Preis für Veränderungen, die Moïse geplant hatte", meint er. "Er hat viele Menschen in ländlichen Gebieten zum Träumen verführt, er wollte den ländlichen Raum verändern, mit neuen Straßen und Staudämmen." Kritiker werfen Moïse allerdings auch Korruption vor. Bataille hat seinem offiziellen Lebenslauf zufolge selbst Jahrzehnte als junger Arzt auf dem Land gearbeitet, bis er später in der Hauptstadt Karriere machte, als Journalist und leitender Beamter. Er verbrachte auch einige Jahre als Arzt in den USA, wo eine große Exilgemeinschaft von Haitianern lebt, hauptsächlich in New York und Florida.
"Gott ist gut, die Zukunft wird besser!"
Immer wieder betont Bataille, wie positiv seine Landsleute sich trotz aller Rückschläge durchs Leben schlagen. "Ich habe noch nie ein Land gesehen, in dem die Menschen so viel lächeln - trotz des leeren Magens", sagt er. "Unsere Menschen sagen: Gott ist gut. Die Zukunft wird besser." Tatsächlich hat Haiti eine lange Geschichte politischer Wirren und schwerer Naturkatastrophen, die immer wieder zu Rückschlägen und Flüchtlingswellen geführt haben. Die jüngere Geschichte bestimmten die Diktatoren Francois "Papa Doc" Duvalier und dessen Sohn Jean-Claude "Baby Doc" Duvalier, die ihre Macht bis 1986 auch mit Hilfe paramilitärischer Schlägertrupps, den "Tontons Macoutes", verteidigten. Aber auch nach dem Sturz der Diktatur konnte das Land keine politische Stabilität finden.
Erschwert wird der Aufbau verlässlicher Strukturen durch wiederkehrende tropische Wirbelstürme und Erdbeben. 2010 starben zwischen 100.000 und 150.000 Menschen in einem verheerenden Beben der Stärke 7, das große Teile der Infrastruktur zerstörte. Davon hat sich das Land auch elf Jahre später nicht erholt.
Ein ehemaliger Sklave als Nationalheld
Umso wichtiger sind die Haitianer in aller Welt, deren Unterstützung für das Heimatland von existenzieller Bedeutung ist. Kontakte zur dieser Diaspora sind auch Aufgabe des Botschafters in Deutschland. "Es gibt eine wachsende Diaspora in Deutschland, aber auch in der Türkei, in Nordeuropa, in Russland", sagt Bataille. Besonders wichtig ist Frankreich als ehemaliges Kolonialland. Französisch ist immer noch die offizielle Sprache von Haiti. Gleichzeitig war Haiti das erste Land überhaupt, das sich von der Kolonialmacht und der Sklaverei befreien konnte.
Auch am Empfang der Botschaft in Berlin hängt das Porträt von Jovenel Moïse neben einem Bild des Helden der Unabhängigkeit, General Toussaint Louverture. Der ehemalige Sklave, der es als freier Mann schon zu einigem Wohlstand gebracht hatte, ließ sich von der französischen Revolution inspirieren und kämpfte Anfang des 19. Jahrhunderts erfolgreich gegen Napoleons Truppen. 1804 erklärte Haiti seine Unabhängigkeit. "Wir waren die erste schwarze Republik", sagt Botschafter Bataille. "Man könnte sagen, dass wir ein erstes Kind der Globalisierung sind: Wir kamen aus Afrika, auf französischen Schiffen, um in Amerika zu leben." Das Land stehe für eine große Offenheit. Auch daraus schöpft er Hoffnung. "Die Lage mag jetzt bedrückend sein"", sagt er. "Aber Haiti ist ein Land der Optimisten."