"Kein Jahrhundertkampf in Las Vegas"
3. Mai 2015"Pacquiao, Pacquiao", dringt es fast verzweifelt aus heiseren Frauenkehlen. Der Adrenalinspiegel der eng zusammengedrängten Menschen in der "Redline"-Bar steigt noch einmal und mit ihm der Pegel von Bier- und Schweißgeruch.
Wenige Sekunde vor Ende der zwölften und letzten Runde wollen die Fans das Undenkbare doch noch erzwingen: Nachdem Manny Pacquiao gegen Floyd Mayweather im zweiten Teil des mit Hochspannung erwarteten Kampfes immer mehr abgebaut hat, kann ihm nur noch ein KO-Schlag den Sieg bringen.
Doch das Wunder von Las Vegas bleibt aus und die Boxfans im voll besetzten "Redline" reagieren mit Buhrufen auf den schließlich überlegenen Sieg von Floyd Mayweather. Nicht dem Amerikaner Mayweather, sondern dem Philippinen Pacquiao gelten an diesem Abend die ganzen Sympathien.
Mayweather sei ein "Bastard", schimpft Sam Wojack und nimmt einen tiefen Schluck aus einem Glas. Dem 30-jährigen Mann mit dem freundlichen Lächeln würde man so einen Kraftausdruck gar nicht zutrauen.
"Money" Mayweather
Aber Mayweather gehe es nicht ums Boxen, sondern nur ums Geld, was schon dessen Spitzname "Money" deutlich mache. Fürs Geschäft sei ihm jede Provokation recht, sagt Wojack, der beruflich Fachtexte im Auftrag von Gerichten und Ausschüssen des US-Kongresses schreibt. Außerdem gebe es über Mayweather unschöne Geschichten von häuslicher Gewalt gegen Frauen. Stephen Bell dagegen will den Stab über den US-Boxer nicht gänzlich brechen. Er nennt ihn ein "gutes Arschloch". Schließlich unterstütze er auch Obdachlose und finanziere Stipendien für Studenten.
Bell hat geboxt, als er noch in der US-Army war. Heute ist er Feuerwehrmann und hält sich weiterhin mit Boxtrainings fit. Mayweather sei ein exzellenter Techniker, gegen den Pacquiao nur mit großem Kampfgeist ankommen könne, analysiert der 27-Jährige, noch bevor beide Boxer in Las Vegas in den Ring steigen. Er ist sicher, dass es der Philippine sehr schwer haben wird. Spätestens nach der sechsten Runde sind sich Bell und Wojack einig: Mayweather hat übernommen und lässt Pacquiao keine Chance mehr.
"Milliarden-Dollar-Wochenende"
War das der Jahrhundertkampf, den Veranstalter und Medien im Vorfeld ausgerufen haben? Ein "Milliarden-Dollar-Wochenende" nannte es die "New York Times" und spielte damit auf die Unsummen an, die durch Eintrittskarten, mediale Vermarktung und Wetteinnahmen erzielt werden sollten. Wenn man das Geld als Maßstab nimmt, dann stimme das, sagt Sam Wojack. Und wenn man unter "Jahrhundert" die ersten fünfzehn Jahre des gegenwärtigen Jahrhunderts verstehe, dann könne man mit einiger Berechtigung vom Jahrhundertkampf sprechen, denn in den vergangenen 20 Jahren hat es im Boxsport nichts Vergleichbares gegeben.
Stephan Bell hingegen sieht diese Dimension lange nicht erreicht. Für ihn sei der Kampf von Max Schmeling gegen Joe Louis aus dem Jahre 1936 ein Jahrhundertereignis gewesen. Da sei es wirklich um etwas gegangen: Schmeling habe für Nazi-Deutschland gekämpft und Lewis für die US-Demokratie. Auch als der junge Muhammad Ali im New Yorker Madison Square Garden gegen Joe Frazier antrat, stand mehr als der Sport auf dem Spiel: Ali repräsentierte die "jungen aufstrebenden schwarzen Boys", Frazier dagegen das alte afro-amerikanische Establishment.
Badminton populärer als Boxen
Heute ist Boxen in den USA alles andere als populär. In der Liste der zehn beliebtesten Sportarten ist diese Art Zweikampf nicht zu finden. Selbst Badminton ist populärer. Im "Redline" werden Boxkämpfe auch nur selten gezeigt, sagt Thomas, der für die Sicherheit in der Sportbar sorgt. Sie zeigen vor allem Basketball- und Footballspiele. Doch zu diesem Kampf seien mehr Leute gekommen als sonst an Samstagen. Außerdem seien mehr Sicherheitsleute in der Bar, da ein Boxkampf die Emotionen hochtreiben könne. Und es stimmt: Vor allem wenn Pacquiao einen erfolgreichen Haken setzt, wird die Bar zum Hexenkessel.
Doch nicht nur Boxfans sind da, sondern auch Leute wie Laura und Maggie, die am Samstagabend einfach etwas erleben wollen. An Gewalt und Härte des Boxens stören sie sich nicht. Schließlich finde das Austeilen von Hieben ja in beiderseitigem Einvernehmen statt, gibt Laura zu bedenken.
"Fenster der Möglichkeiten"
Aus Sicht von US-Zeitungen wie der "New York Times" oder der "Washington Post" ist die oft blutige Prügelei im Ring aber genau einer der Gründe für die mangelnde Beliebtheit der Sportart.
Es sei schon "eine große Motivation nötig, um ein Boxfan zu sein", sagt Stephen Bell. Es gebe zu wenig attraktive Kämpfe. Auch dieser Kampf sei erst nach Jahren des Wartens vereinbart worden. Da verlören die Leute ihr Interesse. Jetzt immerhin - nach dem Kampf von Mayweather und Pacquiao - sieht Bell ein "Fenster der Möglichkeit", um den Boxsport populärer zu machen. Vielleicht muss er dann ja auch nicht mehr alleine ins "Redline" gehen. Bislang interessiert sich nur einer seiner Freunde interessiert fürs Boxen. Aber der musste an diesem Abend arbeiten.