Brüssel verschärft Debatte
10. Januar 2014"Eurokratischer Wahnsinn" - auf diesen Nenner bringt der neue CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer die Stellungnahme der EU-Kommission, die seit Freitag (10.01.) in Deutschland die Schlagzeilen dominiert. Deutschland dürfe Zuwanderern aus der EU nicht pauschal Sozialhilfe verweigern, so wird das Statement aus Brüssel interpretiert.
Die Kommission hatte ihre Sicht der Dinge in einem beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) anhängigen Verfahren formuliert. Das Papier war am Freitag (10.01.) publik geworden und hatte die anhaltende Debatte um so genannte Armutszuwanderer angeheizt. Seit Wochen macht die CSU aus Bayern mit dem Slogan "Wer betrügt, der fliegt“ Stimmung mit dem hochsensiblen Thema. Es geht um den Fall einer Rumänin und ihren Sohn, die seit 2010 dauerhaft in Deutschland leben und deren Antrag auf Hartz IV-Sozialleistungen abgelehnt worden war. Das Sozialgericht Leipzig hatte ihre Klage an die Luxemburger Richter des EuGH zur Klärung weitergeleitet.
"Kein Selbstbedienungsladen"
Für die CSU ist die Forderung nach Gleichbehandlung von Deutschen und EU-Ausländern in Sachen Hartz IV eine Steilvorlage - im März sind in Bayern Kommunalwahlen und im Mai wird ein neues Europa-Parlament gewählt. Scheuer legte dementsprechend nach: "Die nationalen sozialen Sicherungssysteme sind kein Selbstbedienungsladen für alle Europäer, die zu uns kommen", sagte er am Freitag in München. Es sei für ihn schockierend, wie die "EU-Kommission leichtfertig die nationalen Sicherungssysteme torpediert".
"Wenn Beamte in der EU-Kommission in Brüssel in ihren De-Luxe-Büros in unsere nationalen sozialen Sicherungssysteme eingreifen wollen, dann wird es den erbitterten Widerstand der CSU geben", legte Scheuer nach. "Einen Selbstbedienungsladen Deutschland in Europa darf es nie geben."
Unangenehme Diskussion für Bundesregierung
Im Koalitionsvertrag von SPD und Union ist ein ganzes Kapitel dem Thema Integration und Zuwanderung gewidmet. Darin haben die Großkoalitionäre eine eher schwammige Marschrichtung vorgegeben: "Wir wollen die Akzeptanz für die Freizügigkeit in der EU erhalten. Wir werden deshalb der ungerechtfertigten Inanspruchnahme von Sozialleistungen durch EU-Bürger entgegenwirken." Wie sich die Bundesregierung dieses 'Entgegenwirken' vorstellt, ist aber noch nicht klar. In den nächsten Monaten soll das eine Arbeitsgruppe von Staatssekretären aus verschiedenen Bundesministerien klären.
Auf die Stellungnahme der EU-Kommission zur Klage der Rumänin aus Leipzig angesprochen, meinte Regierungssprecher Steffen Seibert sichtlich genervt: "Ich habe für die Bundesregierung und die Bundeskanzlerin das gesagt, was ich dazu zu sagen habe: Es ist ein laufendes Verfahren vor dem EuGH, es wird noch eine mündliche Verhandlung geben und darüber hinaus möchte ich hier nicht gehen."
Dementi aus Brüssel
Regierungssprecher Steffen Seibert betonte, dass die Ausgestaltung der Sozialgesetzgebung eine nationale Angelegenheit sei und an der bisherigen Praxis, bei Zuwanderern eher restriktiv Leistungen zu gewähren, vorerst festgehalten werde. Auf die wiederholt gestellte Frage, welche Reaktionen die Stellungnahme der EU-Kommission innerhalb der Bundesregierung, oder gar bei der Kanzlerin ausgelöst haben, reagierte der Sprecher ausweichend.
Die EU-Kommission dementierte am Freitag prompt: In einer Klarstellung ließ sie wissen, Deutschland müsse keineswegs allen arbeitslosen EU-Bürgern Sozialhilfe zahlen. Anderslautende Meldungen seien "selbstverständlich komplett falsch", so Kommissionssprecherin Pia Ahrenkilde Hansen. Bereits am 5. Dezember 2013 hatte die Vizepräsidentin der EU-Kommission Viviane Reding vor dem Rat der EU-Innenminister deutlich gemacht, dass Freizügigkeit für Arbeitnehmer nicht automatisch Anspruch auf Sozialleistungen garantiere.
Strenge Briten - großzügige Niederländer
In vielen der 28 EU-Mitgliedsländern gibt es unklare Gesetzesformulierungen. Eine sehr strenge "Bedürftigkeitsprüfung" gibt es in Großbritannien. Eher entgegenkommend verhalten sich die Niederlande. Finnland dagegen stellt in offiziellen EU-Papieren klar, dass Sozialhilfe wirklich nur "letztes Hilfsmittel" sei. Jeder einzelne Fall bleibt letztlich im Ermessen der kommunalen Behörden. Hier hat es in anderen EU-Ländern sogar schon Abschiebungen gegeben, wenn die Empfänger zu einer "unangemessenen und unverhältnismäßigen Belastung" wurden. Unstrittig ist bislang aber: Nach fünf Jahren Aufenthalt können EU-Bürger problemlos in anderen EU-Ländern Sozialhilfe beantragen. Die EU Kommission verweist darauf, dass Bürgermeister mit Finanzproblemen Mittel beim Europäischen Sozialfonds beantragen können, um den Zuzug von EU-Bürgern zu bewältigen.
Warnung des Deutschen Städtetages
Für Sozialleistungen sind in Deutschland die Städte zuständig. Wenn sich die Position der Europäischen Kommission durchsetzen sollte, hätten sie Grund zur Sorge, sagt Ulrich Maly, Städtetagspräsident und Oberbürgermeister von Nürnberg im DW-Interview. "Dann müsste die Bundesregierung politisch aktiv werden", so Maly. "Kein Mensch hat etwas gegen Freizügigkeit", betont er, doch es gebe keine Sozialunion in Europa. Sozialpolitik sei Sache der Mitgliedsstaaten, dabei müsse es bleiben, solange die Leistungen so unterschiedlich seien.
Hermann Genz, bei der Stadt Mannheim für den Bereich Arbeit und Soziales zuständig, sieht dagegen das Europäische Gerichtsverfahren gelassen, weil im Zweifel der Bund einspringen müsse. Im Gespräch mit der Deutschen Welle argumentiert er: "Wenn wir Menschen Sozialleistungen verweigern, treiben wir sie in die Illegalität. Stattdessen müssen wir sie fördern und fordern."