Brandt: "Facebook ist nicht mein Ding"
3. März 2017DW: Überall ist zu lesen: "Julian Brandt wird von allen gejagt." Bekommen Sie das mit? Und was denken Sie, wenn Sie so etwas sehen?
Julian Brandt: Ich selbst suche nicht danach, aber ich habe viele fußballverrückte Freunde, die mir Screenshots von Zeitungsartikeln schicken oder ähnliches. Ich nehme das zur Kenntnis und sehe es als Anerkennung, aber das war es dann auch.
Sie gelten als eines der größten Offensivtalente in der Bundesliga. Wo sehen Sie selbst ihre Stärken?
Ich mag es eigentlich nicht, über meine Stärken zu sprechen. Ich rede lieber über meine Schwächen. Immer wenn ich über meine Stärken spreche, habe ich das Gefühl, über mich selbst zu schwärmen und in der Rolle fühle ich mich nicht so wohl. Ich denke, ich bin für meine Größe ein recht solider Sprinter. In der Ballbehandlung fühle ich mich auch relativ sicher. Und bestimmt gibt es noch ein oder zwei Dinge mehr, die bei mir ganz gut funktionieren.
Und die Schwächen?
Ich bin nicht der größte Balleroberer. Ich gewinne nicht viele Zweikämpfe pro Spiel. Natürlich gebe ich mein Bestes, aber das war noch nie so richtig meine Stärke. Außerdem würde ich mir wünschen, öfter mal Kopfballtore zu machen. Und ich habe mir als Saisonziel vorgenommen, öfter zum Torabschluss zu kommen. Das ist im Moment echt schwierig, weil ich immer andere Sachen im Kopf habe - nochmal ins Dribbling will, oder nochmal passen möchte. Das ist momentan ein Manko, und das muss ich auf jeden Fall ändern.
"Ich brauche nur meine Ruhe"
Eine Ihrer Stärken ist das Spiel Eins-gegen-eins. Visualisieren Sie solche Situationen vor dem Spiel im Kopf und nehmen sich vor, wie Sie sie auf dem Platz lösen möchten?
Nein, gar nicht. Ich bin eigentlich immer recht tiefenentspannt vor dem Spiel, und das was kommt, das kommt halt. Ich bin auch kein Typ, der Rituale hat vor dem Spiel, der sich in einen Raum setzt und kurz mal zwei Minuten die Augen schließen muss. Das brauche ich überhaupt nicht. Ich gehe einfach auf den Platz, und wenn der Schiri pfeift, dann geht es halt los.
Gibt es vor den Spielen im Verein oder in der Nationalmannschaft besondere Ansprachen an Sie von Roger Schmidt oder Joachim Löw - außerhalb der normalen taktischen Anweisungen?
Nein, und ich glaube auch, dass die Trainer wissen, dass sie zu mir nichts Besonderes sagen müssen. Mit mir muss man nicht viel reden. Man soll mich einfach machen lassen, und dann passt das schon. Ich bin einfach. Ich brauche nicht viele Worte, nur meine Ruhe.
Ruhe ist Ihnen wichtig. Haben Sie deswegen auch keine Facebook-Seite?
Facebook ist nicht wirklich mein Ding. Ich versuche mich von sozialen Netzwerken fernzuhalten. Du postest etwas, machst irgendwelche Gewinnspiele. Das bin nicht ich. Deswegen habe ich bis heute darauf verzichtet. Ich weiß, man ist vielleicht irgendwann darauf angewiesen, weil Facebook natürlich eine sehr große Reichweite hat und auch gewisse Vorteile haben kann, aber bis jetzt habe ich einer Facebook-Seite nie nachgetrauert. Es gibt natürlich viele Menschen die einem sagen, es wäre clever, eine zu haben. Ich habe bislang noch nicht das Verlangen danach. Dann könnte man ja auch gleich noch mit Twitter anfangen, einen Google+-Account haben, eine eigene Website. Ich weiß nicht, das wird dann irgendwann viel.
Hat auch Ihr Vater Ihnen davon abgeraten?
Mein Vater sagt immer: "Je mehr du öffentlich von dir preisgibst, desto mehr Angriffsfläche bietest du den Leuten. Es ist besser, auf dem Platz gut zu spielen und sich sonst zurückzuhalten, weil mein Privatleben sonst niemanden etwas angeht." Und ich finde, da hat er Recht. Ich nenne meinen Vater nicht gerne meinen Berater, sondern meinen wichtigsten Ansprechpartner. Er sagt mir seine Meinung, und ich entscheide am Ende selbst.
"Kein Spieler ist arrogant, weil er schnelles Auto fährt"
Was ist das Wichtigste, das Sie von ihm gelernt haben?
Die Bodenständigkeit. Es verändert sich viel, wenn man das Leben eines Profifußballers führt. Ich bin mit 15 ins Internat gegangen und habe meine Kindheit von da an ein bisschen in den Hintergrund gestellt. Ich musste relativ schnell erwachsen werden. Ich stehe jetzt in der Öffentlichkeit und muss auf gewisse Dinge Wert legen, auch ein bisschen als Vorbild fungieren. Sonst rückt man relativ schnell in die Position, dass Menschen einen als arrogant abstempeln. Man sollte immer wissen, wo man herkommt und nie die Bodenhaftung verlieren.
Wie schwierig ist es, diese Bodenhaftung zu behalten?
Ich finde es ist nicht einfach, wenn du die Straße runterläufst und dir jeder erzählt, was für ein toller Spieler und was für eine großartige Person du bist. Es ist nicht einfach, normal zu bleiben, weil du anfängst, diesen Leuten zu glauben. Dabei muss gar nicht stimmen, was sie dir erzählen. Wenn du dann keinen Rückhalt hast - Familie oder gute Freunde - und dann auch noch das große Geld kommt, dann ist das keine einfache Aufgabe. Vor allem, wenn du ein junger Spieler bist. Ich habe den größten Respekt vor Menschen, die es schaffen, trotzdem "normal" zu bleiben. Für mich ist kein Spieler arrogant, weil er ein schnelles Auto fährt - das würde jeder tun, wenn er viel Geld hätte. Es geht darum, nicht damit zu prahlen. Das ist für mich der Unterschied.
Ihr Vater hat irgendwann einmal gesagt: "Alles, was man im Leben braucht, kann man in der Familie abdecken." Sehen Sie das auch so?
Es gibt zwei oder drei Dinge, die am wichtigsten sind, zum Beispiel Familie und Gesundheit. Im Fußball merkst du, wie schmerzhaft es sein kann, verletzt zu sein. Du opferst deinen Körper ja ein bisschen, und du merkst, welches Gut es ist, gesund zu sein. Wenn ich in meine Mannschaft gucke, dann sind das alles ziemlich große Familienmenschen. Viele bekommen jetzt Kinder oder haben schon Kinder. Das ist für sie das Wichtigste, und wir sprechen auch oft darüber. Fußballspielen ist für jeden Fußballer das Größte, zu gewinnen und im Rampenlicht zu stehen. Aber jeder von den Jungs sagt, das Wichtigste ist die Familie. Viele sind auch so froh, wenn ihr Kind gesund auf die Welt kommt. Daran merkt man, dass es das ist, was wirklich zählt im Leben.
Zurück zum Fußball: Wenn Sie sehen, wie Julian Draxler bei PSG aufblüht und Leroy Sané bei Manchester City - muss man irgendwann den Schritt ins Ausland machen, um sich weiterzuentwickeln?
Man kann ihn machen, aber ich glaube nicht, dass man ihn machen muss. Julian Draxler und Leroy Sané sind die besten Beispiele, da sie momentan super spielen und es gepackt haben. Hoffentlich geht es bei den beiden so weiter.
Wo sehen Sie ihre eigene Zukunft?
Momentan mache ich mir relativ wenige Gedanken darüber. Es gibt im Moment ein paar andere Baustellen bei uns in Leverkusen, auf denen unsere und auch meine volle Konzentration liegt. Ich bin jetzt fast zweieinhalb Jahre hier und bin echt entspannt.
Als Kind war Julian Brandt, geboren 1996 in Bremen, ein Fan des SV Werder. Den ersten Schritt in Richtung Profifußball machte Brandt, der ab der U15 alle Jugendmannschaften des DFB durchlief, allerdings im Jugend-Internat des VfL Wolfsburg. 2014 wechselte er als 17-Jähriger zu Bayer 04 Leverkusen und unterschrieb seinen ersten Profivertrag. 2016 debütierte er in der A-Nationalmannschaft, mit der U21 gewann er im vergangenen Sommer in Rio die Silbermedaille.
Das Interview führte Jonathan Harding.