Brasilien: Deutsch für Weggereiste
14. Dezember 2004Zwei gläserne Pyramiden ragen aus einem Laubbaumdach. Durch Wäldchen und Park führen geschwungene Pfade, dazwischen englischer Rasen. In der Mitte die Bungalows mit dem Überbau aus Glas. Drinnen arbeitet Hans Wagner. Er ist Deutschlehrer. In einer Schule, die für deutsche Verhältnisse undenkbar luxuriös ist. Hans Wagner unterrichtet aber nicht in Deutschland, sondern in São Paulo, der größten Stadt Brasiliens, wo Finanztempel auf Slums und Elend treffen.
Eliteschulen für Expertenkinder
Wagner arbeitet seit 15 Jahren an der deutschen Humboldt-Schule. Nach dem Referendariat hatte er in Deutschland keine Stelle bekommen und da er São Paulo von einem sozialen Jahr kannte, wollte er zunächst für drei, vier Jahre nach Brasilien. "Jetzt weiß ich gar nicht, ob ich noch mal zurück nach Deutschland gehe. Die Sonne, das Meer, das Leben ist schon einfach schön hier." Außerdem hat er seine Frau in São Paulo kennen gelernt und das Unterrichten an der Privatschule scheint angenehmer als in der Heimat.
"Wir haben hier eine größere soziale Homogenität als in Deutschland, die Schüler sind lernwilliger und die Eltern haben auch noch einen größeren Einfluss auf ihre Kinder", sagt er. Die meisten der 280 Schüler sind die Enkelkinder reicher deutscher Großeltern, die die Sprache ihrer Vorfahren lernen sollen. Dann gibt es noch die "Expertenkinder", Sprösslinge deutscher Wissenschaftler und Geschäftsleuten, die von transnationalen Konzernen nach Brasilien geschickt wurden. Und auch nur diese Klientel kann sich die 300 Euro monatliches Schulgeld leisten.
Deutsche Organisation
In Deutschland kümmert sich das Bundesverwaltungsamt um die Auslandsschulen. Das Geld dafür kommt aus dem auswärtigen Amt, das weltweit 117 Privatschulen unterstützt, an denen Deutsch gelehrt und gelernt wird. Mit dem selbsterklärten Ziel, deutsche Kinder im Ausland zu unterrichten und die deutsche Sprache und Kultur zu fördern. Außerhalb Europas gibt es die meisten dieser Schulen in Südamerika.
Deutsche Lehrer haben zwei Möglichkeiten, im Ausland zu arbeiten: Sie können sich bei den Schulen direkt bewerben und erhalten dann das Gehalt eines Lehrers dort - nicht immer genug, um mit Familie im Ausland zu leben. Die meisten Lehrer, die schon zu Hause unterrichtet haben, versuchen daher eine Stelle zu bekommen, die das Bundesverwaltungsamt bezahlt - mit dem doppelten Beamtengehalt.
Geld scheffeln oder aussteigen
"Für viele Kollegen ist das Geld schon ein Grund, für ein paar Jahre ins Ausland zu gehen", sagt Hans Wagner. "Sie sparen hier auch sehr viel und haben nach fünf Jahren ausgesorgt, wenn sie wieder in Deutschland sind."
Andere fliehen aus zerrütteten Partnerschaften oder suchen schlicht das Abenteuer, in einer ganz anderen Umgebung zu arbeiten. Deshalb hat sich auch Ingo Müller auf eine Auslandsstelle beworben. "Ich will gerne erleben wie es ist in einem Land wirklich zu leben und nicht nur Urlaub zu machen. Lehrer ist ja nicht so der spektakulärste Beruf, im Ausland wäre das schon spannender."
Sprache keine Vorraussetzung
Ganz einfach ist die Bewerbung nicht. Assesmentcenter – fast wie bei einem Managerjob. Einen Tag lang müssen die Lehrer bei psychologischen Tests zeigen, dass sie mit neuen Situationen schnell klarkommen. "Die wollen testen ob man auch in der ganz neuen Umgebung mit Sprachproblemen und Umzugsstress problemlos unterrichten kann", sagt Ingo Müller. Ob man genommen wird, hängt dann noch davon ab, wohin man will: São Paulo oder Buenos Aires sind beliebter als Djedda in Saudi Arabien. Madrid gefragter als Bukarest. Sprachkenntnisse sind keine Vorraussetzung – denn die Lehrer unterrichten auf Deutsch.
Nach 15 Jahren São Paulo kann Hans Wagner die Landessprache natürlich perfekt. Doch Wagner ist mit seinen 15 Jahren eine Ausnahme. Die meisten Lehrer bekommen einen Dreijahresvertrag für eine Auslandsschule und gehen dann wieder zurück an die Grundschule, die Realschule oder das Gymnasium in ihrer Heimat. Denn was Hans Wagners Leben verändert hat, ist für die meisten nur ein längerer Ausflug in eine andere Welt.