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Gesellschaft

Die Tage der Tenharim sind gezählt

Clarissa Neher Greta Hamann
17. März 2018

Die Zerstörung des Amazonas geht unvermindert weiter. Das Volk der Tenharim fühlt sich in seiner Existenz bedroht. Anführer Madarejúwa schildert den Alltag der täglichen Bedrohung. Ein Protokoll.

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Madarejúwa Tenharim als Amazonien
Bild: DW/T. Fischermann

Drei Leichen brachten den Journalisten Thomas Fischermann in den Amazonas. Die Toten: weiße Bewohner einer Holzfällersiedlung. Fischermann wollte eine Reportage über die eskalierende Gewalt zwischen Indigenen und Holzfällern schreiben und herausfinden, wer die Mörder der toten Siedler waren. Waren es wirklich die Mitglieder des Volkes der Tenharim? Der erste Versuch, mit dem indigenen Volk in Kontakt zu treten scheiterte. Die wegen der Gewalt in der Region stationierten Soldaten verweigerten dem Journalisten den Zutritt zu dem Schutzgebiet, in dem die Tenharim leben.

Wenige Tage später traf Fischermann dann doch noch einen Tenharim-Krieger; sein Name: Madarejúwa. Dass dieses Treffen der Auslöser sein würde für eine mehrjährige Recherche, zahlreiche Reisen in den Amazonas-Regenwald; dass er, der nicht einmal gerne zelten geht, mit dem Naturvolk im Wald schlafen und Affenfleisch essen würde, das hätte Fischermann damals nicht gedacht.

"Die Tenharim haben viel zu erzählen"

Das Buch "Der letzte Herr des Waldes" ist aus der Ich-Perspektive des jungen Kriegers Madarejúwa geschrieben. Der 21-jährige nahm den Autor und ehemaligen Brasilien-Korrespondenten der ZEIT mit in seinen Alltag, führte ihn durch den Regenwald und stellte ihn den Stammesältesten vor.

Nach der ersten Begegnung mit Madarejúwa wollte Fischermann zunächst ein klassisches Reportage-Buch über den Amazonas und die Situation der indigenen Völker schreiben. "Doch ich merkte schnell, dass ich einen Protagonisten brauchte. Die Tenharim haben viel zu erzählen und können viel besser über das Leben im Urwald sprechen, als ich als normaler Besucher", sagt Fischermann.

Madarejúwa Tenharim als Amazonien
Die Tenharim leben an den Ufern des Madeira-Flusses im Westen des brasilianischen Amazonas Bild: DW/T. Fischermann

Indigene werden ermordet

Vier Jahre lang reiste Fischermann immer wieder in den Amazonas und besuchte Madarejúwa und die Tenharim. In dieser Zeit konnte er beobachten wie sich die Region im Süden des Bundesstaates Amazonas immer weiter veränderte, sich das Schutzgebiet der Tenharim aufgrund von illegaler Abholzung durch Großfarmer und Holzfäller verkleinerte.

Einst gab es rund 10.000 Tenharim, heute sind es nur noch knapp 900. Wenn die Zerstörung des Regenwaldes in diesem Tempo weiter gehe, so Fischermann, dann wäre das Reservat, in dem die Tenharim leben, in zehn bis 15 Jahren komplett abgeholzt. Das Schutzgebiet ist in etwa so groß wie Schleswig-Holstein.

"Die Welt weiß nicht, wie schnell der Amazonas wirklich verschwindet", sagt Thomas Fischermann. "In zahlreichen Regionen des Amazonas werden ganze Populationen Indigener ermordet - von Holzfällern, Goldgräbern, Landwirten und Drogenkartellen. Das Schicksal dieser Völker ist wenigen bekannt und wird selten beachtet", so der Autor. Um das zu ändern, habe er das Buch geschrieben.

Amazonas - für Brasilien kein Thema

Buchcover Der Letzte Herr des Waldes
Autor Thomas Fischermann taufte Madarejúwa "den letzten Herr des Waldes"Bild: C.H.Beck

"Der letzte Herr des Waldes" erscheint zunächst nur auf Deutsch. Der Grund: Indigene sind in der brasilianischen Öffentlichkeit kein Thema. "Ich habe festgestellt, dass Themen rund um den Amazonas in Brasilien auf wenig Interesse stoßen", sagt Fischermann.  Immer wieder werde er gefragt, warum er über den Amazonas schreibe, es gäbe doch noch weitaus interessantere Regionen in Brasilien.

Für Fischermann sieht das anders. "Wir können sehr viel von den Indigenen lernen. Und damit meine ich nicht, wie man im Wald überlebt. Sondern vielmehr wie man die Natur respektiert." Nach vier Jahren regelmäßiger Treffen hat der Journalist so langsam Gefallen daran gefunden, unter freiem Himmel zu schlafen. "Es war ein Privileg und eine große Ehre, in dieser Kultur leben zu dürfen."

Die Hintergründe zu dem Mord, der ihn 2014 in den Amazonas-Regenwald zog, hat Fischermann nicht aufklären können. Dafür hat sich ihm eine neue Welt eröffnet. Eine Welt, die zerstört wird.