Geschäft mit der Armut
31. Mai 2013Das wirtschaftliche Wachstum des Schwellenlandes zieht nicht nur verarmte Migranten aus lateinamerikanischen Nachbarländern an, sondern neuerdings auch aus Asien. In der vergangenen Woche wurde in der Nähe der Hauptstadt Brasília erstmals ein Menschenhändlerring aus Bangladesch aufgedeckt.
Die Befreiung von 80 bengalischen Zwangsarbeitern in Samambaia, einem Vorort von Brasília, wirft ein Schlaglicht auf die Schattenseiten von Brasiliens Aufstieg zur wirtschaftlichen und politischen Vormacht der Region. "Wir sind besorgt", sagt Arnaldo Jordy Figueiredo, Vorsitzender der Parlamentarischen Untersuchungskommission (CPI) zum Thema Menschenhandel. "Es ist das erste Mal, dass Zwangsarbeiter aus Bangladesch hier entdeckt werden."
Die Einbindung des größten lateinamerikanischen Landes in den lukrativen weltumspannenden Menschenhandel erfolgte schleichend und beinahe unbeachtet von der Öffentlichkeit. Bereits 1995 begann die brasilianische Regierung mit der systematischen Bekämpfung von Menschenhandel und Sklavenarbeit. Seitdem sind in Brasilien nach offiziellen Angaben 44.000 Menschen aus sklavenähnlichen Arbeitsverhältnissen befreit worden.
Tatort Textilbranche
Angesichts der bevorstehenden Großveranstaltungen wie Fußballweltmeisterschaft und Olympische Sommerspiele hat sich die Zwangsarbeit internationalisiert und vom Landesinneren in die Ballungsräume verlagert. Die illegale Ausbeutung spielt sich nun hauptsächlich auf Baustellen, in Kühlhäusern und in der Textilbranche ab.
"Wir müssen eine Regelung finden, die Schlepper ausbremst und Arbeitsmigration regelt", sagte Rodrigo do Amaral Souza, Diplomat des brasilianischen Außenministeriums, kürzlich der Nachrichtenagentur "Agencia Brasil". Das Geschäft mit der Armut blüht: So erklärten die 80 Bengalen, die von der brasilianischen Bundespolizei in Samambaia entdeckt wurden, dass sie bis zu 10.000 Dollar für die Einreise nach Brasilien bezahlt hätten. Als Monatsverdienst seien ihnen 1000 bis 1500 Dollar in Aussicht gestellt worden.
Einfallstor Amazonas
Die meisten Einwanderer werden über den Norden des Landes eingeschleust, entlang der Grenze Brasiliens zu Bolivien und Peru, oder über Guyana. In der Grenzstadt Assis Brasil musste im vergangenen Jahr sogar das Militär anrücken, weil die rund 7000 Einwohner mit dem Ansturm haitianischer Flüchtlinge überfordert waren. Die Liste der Herkunftsländer ist lang: Neben Haiti stammen die Migranten aus Bolivien, Ecuador, Peru, Paraguay, der Dominikanischen Republik, Senegal, Nigeria, Sri Lanka, Pakistan und Bangladesch.
Die meisten Einwanderer bleiben nicht im Amazonas, sondern ziehen weiter in die großen Ballungsräume. Nach Schätzungen der Nichtregierungsorganisation "Reporter Brasil" leben im Großraum São Paulo 300.000 illegale Einwanderer aus Bolivien, 70.000 aus Paraguay und 45.000 aus Peru, von denen die meisten unter sklavenähnlichen Bedingungen arbeiten. "An Arbeitskräften mangelt es nicht", stellt CPI-Vorsitzender Arnaldo Jordy Figueiredo im DW-Interview klar. Die Ausbeutung illegaler Einwanderer diene dazu, "Löhne zu drücken und prekäre Arbeitsbedingungen zu etablieren".
Fokus der Ermittlungen des brasilianischen Ministeriums für Arbeit und Beschäftigung (MTE) ist die illegaleTextilproduktion. In São Paulo wurden von der regionalen Aufsicht insgesamt 50 Nähwerkstätten geschlossen, in denen Migranten bis zu 16 Stunden am Tag für Hungerlöhne schuften mussten. Zu den Auftraggebern gehörten nach Angaben des Ministeriums international bekannte Unternehmen wie Zara, Gap und Gregory, sowie die brasilianischen Ketten Lojas Marísa und Pernambucanas.
Härtere Strafen für Firmen
"Die Kontrollen des Arbeitsministeriums in den vergangenen vier Jahren haben eine bisher nie da gewesene Debatte über Sklavenarbeit und Menschenhandel angestoßen", erklärt Renato Bignami von der regionalen Aufsicht des Ministeriums im Bundesstaat São Paulo. Abgeordnete hätten sich bei den offiziellen Kontrollen vor Ort selbst von den zeitgenössischen Formen sklavenähnlicher Arbeit überzeugen können.
Mittlerweile haben sich im Land vier verschiedene parlamentarische Untersuchungsausschüsse auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene mit dem Thema beschäftigt. Das Mandat der Untersuchungskommission im Parlament in Brasília wurde Ende Mai zum vierten Mal verlängert.
Enteignung sind möglich
Als Folge der öffentlichen Debatte wurde auch die Gesetzgebung geändert: So verlieren Firmen im Bundesstaat São Paulo ihre Betriebsgenehmigung für zehn Jahre, wenn ihnen sklavenähnliche Arbeitsverhältnisse nachgewiesen werden. Künftig soll es in ganz Brasilien möglich sein, Besitzer von Grundstücken zu enteignen, auf denen Sklavenarbeit stattfindet.
Unter der portugiesischen Kolonialherrschaft waren afrikanische Sklaven die Hauptstütze der brasilianischen Wirtschaft. 125 Jahre nach Abschaffung der Sklaverei kehrt die menschenunwürdige Arbeit durch die Hintertür zurück.