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Brasiliens grünes Gewissen meldet sich zurück

Marina Estarque, Astrid Prange22. August 2014

Duell der Damen: Brasiliens Ex-Umweltministerin Marina Silva ist die neue Herausforderin von Staatschefin Dilma Rousseff bei den Präsidentschaftswahlen am 5. Oktober. Sie gilt als Kandidatin der Erneuerung.

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Marina Silva (Foto: picture-alliance/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Sie kennt die Angst vor dem Tod. Das Leben der neuen brasilianischen Präsidentschaftskandidatin Marina Silva ist von Krankheiten und Verlusten geprägt: Fünfmal infizierte sie sich im Amazonas mit Malaria. Sie überlebte die tropische Infektionskrankheit Leishmaniose und eine Quecksilbervergiftung.

Marina Silvas Schicksal ist eng mit dem Regenwald verbunden, der über die Hälfte des brasilianischen Territoriums bedeckt. Sie wuchs mit ihrer Familie in einem Reservat für Kautschuksammler im Bundesstaat Acre auf. Ihre Mutter starb an einer tropischen Krankheit, als Marina gerade einmal 14 Jahre alt war, drei ihrer zehn Geschwister überlebten den Alltag im Urwald nicht.

Wegbegleiterin von Chico Mendes

In den 80er Jahren kämpfte sie gegen die massiven Abholzungen und Brandrodungen und lernte dabei den bekannten brasilianischen Umweltschützer Chico Mendes kennen. Erst mit 16 Jahren lernte Marina Silva lesen und schreiben. Zehn Jahre später, mit 26 Jahren, schloss sie ihr Studium der Geschichte an der Universität von Acre ab.

Bis heute ist die 56-Jährige eng mit ihrer Heimat im Amazonas verbunden, wo ihre politische Karriere begann. 1988 zog sie in den Gemeinderat der Hauptstadt des Amazonas-Bundesstaates Acre, Rio Branco, ein. Von 1994 bis 2000 vertrat sie Acre als Abgeordnete im brasilianischen Senat.

Marina Silvas Ehemann Fábio Vaz de Lima verantwortet seit über 20 Jahren bei der Landesregierung von Acre den Bereich der nachhaltigen Waldwirtschaft. Nach der offiziellen Nominierung Silvas zur Präsidentschaftskandidatin am 20. August ließ er sich beurlauben, um seine Frau im Wahlkampf zu unterstützen.

Ausschnittskarte von Brasilien mit dem Bundesstaat Acre
Heimat von Marina Silva: Der brasilianische Bundesstaat Acre gehört zur Amazonas-Region und grenzt an Peru

Silvas Einsatz für den Erhalt des Amazonas machte sie zum grünen Gewissen Brasiliens und bescherte ihr internationale Aufmerksamkeit. 2007 wurde sie mit dem UN-Preis "Champions of the Earth" ausgezeichnet, denn während ihrer Amtszeit als Umweltministerin von 2003 bis 2008 war es ihr gelungen, die Abholzung im Amazonas um mehr als die Hälfte zu senken.

Schicksal oder Vorhersehung?

Am 13. August 2014 entkam Marina Silva erneut dem Tod. Eigentlich hätte auch sie in dem Flugzeug sitzen sollen, in dem der brasilianische Präsidentschaftskandidat Eduardo Campo abstürzte. Doch im letzten Moment änderte Marina Silva ihre Pläne und flog für einen Wahlkampftermin mit einem Linienflug nach Sao Paulo.

Eduardo Campos und Marina Silva (Foto: BETO BARATA/AFP/Getty Images)
Präsidentschaftskandidat Eduardo Campos mit Vize Marina Silva bei einem Wahlkampfauftritt am 04.02.2014Bild: AFP/Getty Images

"Es scheint eine göttliche Vorbestimmung für mich zu geben", erklärte sie ein paar Tage nach dem Vorfall geschockt vor Journalisten in der Recife. "Das sind Mysterien, die wir Menschen nicht verstehen, weder die Toten noch die Lebendigen".

Der tragische Unfall des Präsidentschaftskandidaten Eduardo Campos von der Sozialistischen Partei Brasiliens (PSB) hauchte der politischen Karriere von Marina Silva neues Leben ein. Als Stellvertreterin von Campos rückte sie unverhofft in die Riege der Präsidentschaftskandidaten auf.

Nach den jüngsten Erhebungen des Meinungsforschungsinstitutes "Datafolha" gehört Marina Silva zu den Favoriten im Wahlkampf. Mit 21 Prozent liegt sie an zweiter Stelle in der Gunst der brasilianischen Wähler nach Amtsinhaberin Dilma Rousseff, die über 36 Prozent verfügt. Der sozialdemokratische Kandidat Aécio Neves kommt auf 20 Prozent.

Zweites Duell der Damen

Die hohen Zustimmungswerte für Marina Silva erklären sich vor allem durch ihre grüne Vergangenheit. 2010 trat die ehemalige Umweltministerin für die "Partido Verde" (Grüne Partei) als Präsidentschaftskandidatin an. Rund 20 Millionen Brasilianer gaben Silva damals ihre Stimme. Seit den Massenprotesten in Brasilien im Juni 2013 gilt sie als nationale Symbolfigur für Reformen und den Kampf gegen Korruption.

Trotz der positiven Umfragewerte bietet Silva ihren Konkurrenten auch politische Angriffsflächen. Vielen Wählern ist ihre evangelikale religiöse Ausrichtung suspekt. Nach Einschätzung von poltischen Beobachtern könnte die konservative Einstellung bei Themen wie Abtreibung und gleichgeschlechtliche Ehe zu Stimmenverlusten führen.

Dilma Dilma Rousseff und Marina Silva sprechen miteinander (Foto: VANDERLEI ALMEIDA/AFP/Getty Images)
Erst Parteigenossinnen, jetzt Rivalinnen: Präsidentin Rousseff und Kandidatin SilvaBild: Getty Images

Bei öffentlichen Auftritten pflegt Marina Silva einen "messianischen Stil". Statt ihre Kontrahenten verbal anzugreifen, nutzt sie häufig Parabeln und Metaphern. Sie spricht stets mit gesenkter Stimme und beeindruckt ihr Publikum mit einem reichen Schatz an Zitaten von Philosophen und Theologen.

Dieser neue Politikstil stößt bei vielen Brasilianern, die mit dem aktuellen System unzufrieden sind, auf Gefallen. Umweltschutz statt Wachstum, Nachhaltigkeit statt Megaprojekte: In Brasília stehen sich die politischen Rivalinnen Marina Silva und Dilma Rousseff samt ihrer unterschiedlichen politischen Programme erneut gegenüber.

Die Geschichte scheint sich zu wiederholen, denn 2008 trat Marina Silva aus Protest gegen den wachstumsfreundlichen Kurs der damaligen Energieministerin und Kabinettschefin Dilma Rousseff von ihrem Amt als Umweltministerin zurück. Am 5. Oktober 2014 entscheiden die Wähler, welche Frau vom 1. Januar 2015 an das größte lateinamerikanische Land regieren wird.