“Wir brauchen neue Strukturen"
24. August 2015DW: Wir leben in einer digitalen Welt und teilen nahezu alles: Autos, Fahrräder, Küchen oder ganze Wohnungen. Aber wie viele Jobs sind tatsächlich entstanden in der so genannten Sharing Economy? Und wie wichtig ist sie für den Arbeitsmarkt?
Arun Sundararajan: Zum jetzigen Zeitpunkt sind etwa ein paar hundertausend Menschen in der Sharing Economy beschäftigt. Vielleicht auch schon etwa eine Million oder mehr. Aber was das eigentlich Wichtige ist: Ich gehe davon aus, dass der Anteil derer, die in der Sharing Economy arbeiten werden, in den kommenden zehn Jahren deutlich größer wird. Wir entwickeln uns mehr und mehr weg von Vollzeit-Jobs, hin zu einer Vielzahl an vertraglich geregelten Beziehungen. Bei Uber etwa hat der Passagier eine Geschäftsbeziehung mit dem Fahrer - und der Fahrer eine mit der Plattform.
Was heißt das für den Arbeitsmarkt und diejenigen, die in der Branche tätig sind? Erhöht das die Flexibilität, aber verringert dafür die Sicherheit?
Es sind eine ganze Reihe an Faktoren, die dabei zu beachten sind und die sich verändern, wenn man weg von Vollzeit und hin zu diesen flexibleren Arrangements geht. In den USA sind viele der Leistungen - angefangen bei einem regelmäßigen Gehalt und bezahltem Urlaub, bis hin zu Versicherungsleistungen jeglicher Art - all das ist eng geknüpft an das Beschäftigungsverhältnis. Zwar wird die Arbeit immer flexibler und selbstständiger, aber die Anbieter haben oft keine Möglichkeiten, die gleichen Leistungen anzubieten wie in einem Vollzeitjob.
Momentan gibt eine ständige Diskussion darüber, ob Anbieter wie Uber oder Instacart ihre Mitarbeiter Vollzeit anstellen sollten.
Das stimmt. Aber die eigentliche Frage ist nicht, sollten die Mitarbeiter Vollzeit angestellt werden, sondern sollten sie die gleichen Leistungen bekommen wie jemand, der Vollzeit angestellt ist. Diese Unterscheidung ist wichtig. Denn die Mehrheit derer, die ihre Dienste innerhalb der Sharing Economy anbieten, begrüßen die Flexibilität, die der Job mit sich bringt. Sie freuen sich, dass sie mal kurz ihre App abschalten können, um ihre Kinder irgendwo abzuholen. Die Supermarkt-Einkaufs App Instacart hat sich dem Druck gebeugt und alle ihre Mitarbeiter fest, aber eben in Teilzeit angestellt. Das war nicht unbedingt besser für die Mitarbeiter.
Warum nicht?
Weil sie als Teilzeitkräfte nicht so viele Versicherungs- und Sozialleistungen bekommen. Und anstatt wie vorher nach ihrer Effizienz bezahlt zu werden, bekamen alle auf einmal nur noch 16 Dollar die Stunde und mussten dafür ihre Flexibilität aufgeben. Es gibt keine einfache Antwort auf die Frage: Ist die Sharing Economy schlecht oder gut für die Mitarbeiter. Ich denke allerdings, wir solllten keine Situation haben, in der unsere beruftstätige Bevölkerung gezwungen ist, sich zwischen Flexibilität auf der einen und Sozialleistungen und Sicherheit auf der anderen Seite entscheiden zu müssen. Wir brauchen Strukturen, die beides erlauben. Ob das nun die Anbieter, die Regierungen oder die einzelnen Arbeiter ermöglichen, wird sich zeigen.
Ist es zu hart, wenn man sagt, die Sharing Economy macht Ausbeutung in der Theorie einfacher?
Ehrlich gesagt hat es zweifelhafte Strukturen in bestimmten Industrien schon vorher gegeben. Jetzt fallen sie vielleicht mehr auf, weil sich die Sharing Economy in diese Industrien ausgeweitet hat. Ein Beispiel: Die Arbeitnehmerrechte in den USA waren immer schwächer als die vieler anderer Industrienationen. Viele Industrien dürfen keine Arbeitnehmervertretungen bilden, das geht zurück auf Regelungen aus dem Jahr 1930. Doch jetzt erst gibt es digitale Plattformen, auf denen man sich jemanden suchen kann, der den Haushalt putzt, und auf einmal fällt den Leuten auf, dass deren Arbeitsrechte nicht besonders gut sind.
Heißt das, die Kritik an der Sharing Economy ist eigentlich nichts anderes als ein Hervorheben der Misstände, die in einigen Industrien ohnehin schon existiert haben?
Nun, wenn Sie mal drüber nachdenken: Die meisten Taxi-Fahrer in den meisten großen US-Städten waren schon immer unabhängige Vertragspartner. Jetzt sind sie eben Vertragspartner von Uber. Ein schon in der Vergangenheit wenig geschützter Sektor der Wirtschaft ist dadurch also nur stärker ins Rampenlicht gerückt. Neue Formen der Ausbeutung sehe ich noch nicht. Natürlich sollten wir wachsam sein, dass sich keine Plattformen entwickeln, die so mächtig und dominant werden, dass die Beschäftigten in dem Sektor zu abhängig werden. Aber zum jetzigen Zeitpunkt bin ich nicht wirklich besorgt. Besorgnis erregender ist eher, dass es erst der neuen Plattformen bedarf, um Ungerechtigkeiten zu bemerken, die es schon seit Jahrzehnten gibt.
Sind andere Länder besser, wenn es darum geht, Schutz und Sicherheit für ihre Arbeiter zu gewährleisten?
Auf jeden Fall. Es gibt eine ganze Bandbreite an Art und Weise, wie unterschiedliche Länder ihre Arbeiter absichern. Das skandinavische System der 'Flexicurity', das Sicherheitsnetz der Regierung, ist sehr viel besser als das, was wir hier haben. Aber wenn man ein Land ist mit fünf Millionen Einwohnern wie Dänemark, kann man natürlich ganz andere Dinge anbieten, als ein Land mit 300 Millionen Menschen.
Haben diese Länder also auch bei der Sharing Economy einen Vorteil?
Einerseits ja. Auf der anderen Seite sind Länder wie die USA gut darin, hybride Systeme zu entwickeln - also einen staatlichen Schutz mit dem freien Markt zu verbinden. Das Rentensystem in den USA zum Beispiel sieht vor, dass der Arbeitnehmer einzahlt und der Arbeitgeber sich beteiligt. Die Regierung gewährt dafür Steuervorteile. Länder, die zwar kein ausgeprägtes staatliches Sozialnetz, aber eine lange Tradition mit solchen Mischsystemen haben, sind meiner Meinung nach auch gut aufgestellt.
Was sind die großen Trends, wo wird es mit der Sharing Economy hingehen?
Wenn wir zehn oder zwanzig Jahre nach vorne spulen, dann wird es immer noch eine Menge Menschen geben, die in großen Firmen mit Vollzeit-Gehältern angestellt sind. Aber ich denke auch, dass ein großer Teil der arbeitenden Bevölkerung in unterschiedlicher Weise seine Dienste und Arbeitskraft anbieten wird. Und das über mehrere Plattformen. Es wird sehr viel mehr Unternehmertum geben. Aber ich meine nicht die Unternehmer, die unbedingt eine milliardenschwere Firma aufbauen wollen. Ich meine Mikro-Unternehmer: Es wird Millionen an Menschen geben, die eine Firma betreiben, in der sie selbst die einzigen Angestellten sind.
Professor Arun Sundararajan lehrt an der NYU Stern School of Business. Er untersucht, wie digitale Güter, etwa Handy-Apps, die Realwirtschaft verändert.