Braun gefärbtes Kanzleramt: Der Fall Globke
16. Juli 2016"Man schüttet kein schmutziges Wasser aus, ehe man reines hat." Ein typisches Adenauer-Bonmot. Der erste Bundeskanzler (1949–63) der Bundesrepublik war ein bauernschlauer Meister der Bildersprache. Mit der harmlos klingenden Volksweisheit umschrieb er nichts weniger als seine Fähigkeit, pragmatisch vorzugehen. Auch im Umgang mit Nazis im neuen deutschen Staatsapparat. Hans Josef Maria Globke war der prominenteste und mächtigste mit brauner Vergangenheit im Umfeld Adenauers. Als Staatssekretär organisierte er das Kanzleramt. Vor allem gegen Ende der Regentschaft "des Alten", wie Adenauer respektvoll genannt wurde, war Globke so etwas wie der inoffizielle Vize-Kanzler der jungen Republik. Für viele ein Skandal noch heute, der nun spät aufgearbeitet werden soll. Über das Wie wird noch diskutiert.
Historiker wollen Geschichte des Kanzleramtes schreiben
Es war die "Die Linke" im Bundestag, die den Antrag gestellt hatte, die Entstehungsgeschichte des Bundeskanzleramtes hoch offiziell unter die zeitgeschichtliche Lupe nehmen zu lassen. Die Machtzentrale der jungen Bundesrepublik solle auf ihre NS-Verflechtungen hin überprüft werden, so wie viele andere Ressorts in der jüngeren Vergangenheit auch. Das Außenministerium hatte unter dem grünen Minister Joschka Fischer (1998 - 2005) den Anfang gemacht. Inzwischen sind fast alle großen Bundesbehörden hinsichtlich ihrer frühen Geschichte Gegenstand der Forschung gewesen. Die Historie des Kanzleramtes ab 1949 steht hingegen noch aus.
Jahrelang hatte das Kanzleramt gegen die Einsetzung einer Historikerkommission Front gemacht. Wie auch CDU und CSU, wie der linke Vize-Fraktionschef im Bundestag, Jan Korte vermutet. Da so die Rolle Globkes und anderer NS-Täter in führenden Ämtern der Bundesrepublik nicht zur Sprache komme, so Korte. Ob das zutrifft bleibt ungeklärt. Tatsache ist, der Widerstand ist eingestellt. Namhafte Historiker - allesamt Wissenschaftler, die dem bürgerlichen Lager zugerechnet werden - hatten Anfang Juni in einer öffentlichen Anhörung im Kultur- und Medienausschuss des Bundestages die Erforschung der braunen Vergangenheit des Kanzleramtes gefordert. Und zwar einhellig.
Der Jenaer Historiker Norbert Frei sieht in der noch ungeschriebenen Geschichte des Kanzleramtes eine empfindliche Lücke. Das Ausmaß der NS-Belastung des Personals ist für Frei nur eine unter vielen zu klärenden Fragen. Eine Untersuchung über das Echo des sogenannten Dritten Reiches auch in der Regierungszentrale müsste, so der Zeithistoriker Klaus-Dietmar Henke, bis in die achtziger Jahre hineinreichen. Erst dann seien die letzten Beamten in den Ruhestand getreten, die noch im Nationalsozialismus geprägt wurden.
Und für die Zeithistorikerin Ulrike Jureit stellt sich noch eine ganz andere Frage: Inwieweit gingen politische Entscheidungen auf belastetes Spitzenpersonal aus der NS-Zeit zurück, wie beispielsweise die Wiederbewaffnung der jungen Bundesrepublik, der Nato-Beitritt, die Westbindung oder das KPD-Verbot? Das Bundeskanzleramt hatte immer eine zentrale Bedeutung für die Exekutive der Bundesrepublik. Und der mächtige Mann hinter Adenauer war Globke. Ein Strippenzieher, umstritten noch heute und schon damals. Seine Macht reichte in alle Ministerien hinein.
Adenauers Mann als Spinne im Netz der Bonner Politik
Hans Josef Maria Globke, von 1953 bis 1963 Chef des Kanzleramtes, war einer der Mitverfasser der Nürnberger Rassegesetze, die dem Organisator der "Endlösung", Adolf Eichmann, als Rechtsrundlage für den millionenfachen Mord an den Juden dienten. Die DDR verhängte gegen ihn in Abwesenheit eine lebenslange Haftstrafe und auch in der alten Bundesrepublik war die Nachkriegskarriere des Technokraten vielen des Schlimmen zu viel. Dennoch hängt noch heute ein Portrait des ehemaligen Ministerialrats unter Hitler in der vierten Etage des Kanzleramtes. Unkommentiert. Was etwas klammheimlich wirkt.
Der Fall Globke entwickelte sich spätestens ab 1960 für Kanzler Adenauer zu einer Zeitbombe. Als der israelische Geheimdienst Mossad Adolf Eichmann in Argentinien aufgegriffen und nach Israel entführt hatte, war die Alarmstimmung im Kanzleramt groß. Eichmann hatte im Vorfeld seines Prozesses handschriftliche Aufzeichnungen gemacht, die an den Bundesnachrichtendienst gelangten. Darin macht Eichmann Globke schwere Vorwürfe. Eichmann zufolge habe er nur ausgeführt, was Männer wie Globke formuliert hatten. Die Papiere wurden nie publik. Längst war anderes wichtiger für Jerusalem und Bonn. Israel wollte und bekam großzügige Wirtschafts- und Waffenhilfe von Bonn. Globkes Vita im "Dritten Reich" blieb Verschlusssache.
Für Adenauer war Globke unersetzlich. "Ich wüsste keinen, den ich an Globkes Stelle setzen könnte", ist von ihm überliefert. Das Festhalten an einem Mann mit prominenter NS-Vergangenheit belegt auch Adenauers Haltung, die Fachkenntnis von Experten über moralische Bedenken zu stellen. Aber nicht nur der erste Bundeskanzler agierte pragmatisch: Auch Willy Brandt beging einen Kuhhandel. Um nicht aus dem konservativen Lager als Vaterlandsverräter in seinen Wahlkämpfen (in Anspielung auf seine Emigration im Krieg) verunglimpft zu werden, willigte er ein, das Thema Globke ruhen zu lassen.
Das "Projekt Kanzleramt" wird kommen
Bei einem so wichtigen politischen Strippenzieher, der zwei Politiksystemen gedient hatte, wäre es ein normaler Vorgang gewesen, dessen schriftlichen Nachlass dem Bundesarchiv in Koblenz zu übergeben. Nichts dergleichen. Alle Unterlagen und Aufzeichnungen wurden privatisiert und der CDU nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Sankt Augustin bei Bonn zur Einlagerung übergeben. Globkes Tochter verweigert in der Regel die Einsicht in die Papiere ihres 1973 verstorbenen Vaters. Vor diesem Hintergrund ist die Forderung des Historikers Andreas Wirsching, "freien Zugang zu allen ….notwenigen Akten zu garantieren", von besonderer Bedeutung. Offen ist nur noch wann die Arbeit beginnen soll und wer den Zuschlag für den politisch pikanten wie geschichtlich aufschlussreichen Auftrag bekommt.