Psychoduell eröffnet
28. Mai 2017Alles schon entschieden? Von wegen! Wenn es nach Eintracht Braunschweigs Trainer Torsten Lieberknecht geht, dann kann sich der Bundesligist VfL Wolfsburg im Relegationsrückspiel auf einiges gefasst machen. "Es ist nicht angenehm, bei uns zu spielen. Die Fans werden schon Dampf geben", erklärte Lieberknecht. "Die Emotionalität gehört dazu."
Natürlich ist der umstrittene Elfmeterpfiff, der zum 1:0-Hinspielsieg der Wolfsburger führte, noch nicht vergessen. Die Affäre um unter Wasser gesetzte Braunschweiger Schuhe vor dem Spiel hatte Lieberknecht schon da zur maximalen Motivation seiner Spieler genutzt. Nun setzt er noch einen drauf: "Das ist die finale Chance, etwas Historisches zu erreichen. Wir sind willensstark und selbstbewusst, unser Ziel zu erreichen", sagte Lieberknecht über seine Löwen: "Keiner hat den Aufstieg so sehr verdient wie wir, weil wir in dieser Saison immer wieder aufstehen mussten. Und jetzt müssen wir auch wieder aufstehen."
Rebbe: "Wir sind der Erstligist!"
Der VfL kann eigentlich nur verlieren, in seinem Jubiläumsjahr wäre der Abstieg besonders bitter. Ausgerechnet in dem Sommer, in dem der VfL die 20-jährige Bundesliga-Zugehörigkeit groß feiert. Die Wolfsburger haben den Ernst der Lage durchaus erkannt und vor den Spielen jeweils Kurz-Trainingslager abgehalten. Zudem wurde den im DFB-Pokal siegreichen VfL-Fußballerinnen untersagt, eine Double-Feier abzuhalten - der gesamte Verein fokussiere sich in diesen Tagen "komplett auf die Relegation", schrieb der Klub zur Begründung auf seiner Homepage.
Angesichts der anscheinend sehr großen Anspannung kommen die markigen Worte von VfL-Manager Olaf Rebbe etwas aufgesetzt daher: "Der VfL Wolfsburg wird mit Andries Jonker und Olaf Rebbe nicht absteigen", ließ er verlauten. "Mit Verlaub, wir sind der Erstligist!"
Ein Erstligist, der mit Champions-League-Ambitionen in die Saison gestartet war und ein ähnlich desaströses Jahr erlebte wie der Volkswagen-Konzern, konstatierte auch VfL-Aufsichtsratschef Francisco Javier Garcia Sanz, der zugleich VW-Vorstandsmitglied ist. Er stellte einen bemerkenswerten Vergleich zwischen dem Abgas-Skandal beim Mutterkonzern und den Leistungen der VfL-Profis her. "Das Unternehmen Volkswagen hat ein sehr schweres Jahr hinter sich, das hat sich vielleicht auf die Mannschaft übertragen." Wer wollte, konnte daraus ein Alibi für die Spieler heraus hören.
Die Verunsicherung ist groß
Nach zwei Trainerwechseln, dem Aus von zwei Geschäftsführern und dem Austausch des Sportchefs findet sich der VfL vor dem Gang in die Zweitklassigkeit wieder - auch der knappe Vorsprung aus dem 1:0-Sieg gibt nicht viel Selbstvertrauen. Die künftige VW-Unterstützung wird ohnehin schon seit Monaten diskutiert, wie sähe diese bei einem Abstieg aus? "Der VfL ist eine 100-Prozent-Tochter von VW; VW lässt keine Tochter fallen", betonte Garcia Sanz vor der Relegation zwar, blieb ansonsten aber verdächtig vage: "Wir werden alles ab Dienstag besprechen, vorher nicht."
Dies gilt auch im Hinblick auf die vielen Spekulationen über die Zukunft von Torjäger Gomez - der personifizierten Lebensversicherung der Wolfsburger. Nach der Saison kann der 31-Jährige trotz seines noch bis 2019 laufenden Vertrages gehen - so oder so. Eine festgeschriebene Ablöse macht dies möglich.
Sollte der VfL absteigen, darf ein Abgang Gomez' als sicher betrachtet werden. Dann hätte der Ex-Meister indes auch ganz andere Probleme als der kleine Nachbar bei einem weiteren Jahr in der Zweitklassigkeit. Doch statistisch gesehen stehen die Zeichen für die Eintracht schlecht: Denn nach einer Niederlage in einem Relegations-Hinspiel schaffte noch kein Zweitligist den Sprung in die Bundesliga.
og/asz (sid, dpa)