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Brexit - das Ende der Globalisierung?

Andreas Becker1. Juli 2016

Noch ist unklar, wie Großbritannien die EU verlassen wird. Für den Freihandel ist der Brexit aber schon jetzt ein Rückschlag. Das trifft auch Entwicklungsländer.

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City of London Sonnenaufgang
Bild: Getty Images

Ärger über die Bürokratie in Brüssel, Wut auf das Establishment in London, Angst vor Zuwanderung - die Briten hatten viele Gründe, für den Austritt aus der Europäischen Union zu stimmen. Aus wirtschaftlicher Sicht ist der Brexit der erste drastische Rückschritt in der Globalisierung seit dem Zweiten Weltkrieg.

"Zum ersten Mal sagt eine große Volkswirtschaft: Uns geht es besser, wenn wir allein sind und selbst entscheiden", sagt Homi Kharas, Vizedirektor des Weltwirtschafts- und Entwicklungsprogramms der Brookings Institution, einer Denkfabrik in Washington. "Das ist ein ziemlicher Schock für das System."

Denn 70 Jahre lang wurde Globalisierung als Antwort auf die Probleme der Welt gesehen. Der internationale Handel, Kapitalflüsse und Migration haben in dieser Zeit ständig zugenommen.

Und es herrschte weitgehend Einigkeit darüber, dass alle von der Globalisierung profitieren, die Reichen ebenso wie die Armen. Unzählige Studien und eine wachsende Mittelklasse in China und Indien schienen das zu belegen. Die Europäische Union mit ihrem Binnenmarkt und der Bewegungsfreiheit für ihre Bürger war "das leuchtende Beispiel" für diesen Trend, sagt Kharas.

Gut für alle Länder, aber nicht für alle Menschen

Doch Befürworter der Globalisierung richten ihren Blick meist auf das große Ganze, nicht auf einzelne Menschen und ihre Wahrnehmung. "Ökonomen haben immer gesagt, dass alle Länder von der Globalisierung profitieren", sagt Kharas im DW-Gespräch. "Sie gingen davon aus, dass es innerhalb der einzelnen Länder Mechanismen gibt, um diese Profite zu verteilen."

Freier Handel: Wohlstand für alle?

Wenn also eine Studie errechnet, dass durch die engere Verzahnung mit der Weltwirtschaft US-Haushalte jährlich im Schnitt 10.000 Dollar mehr zur Verfügung haben, dann sagt das noch nichts darüber aus, wie dieser Wohlstand verteilt wird. Solange neue und bessere Arbeitsplätze entstehen, wenn in einem anderen Teil des Landes Fabriken schließen müssen, sind Volkswirte zufrieden.

Regierung können versuchen, die negativen Effekte von maroder Infrastruktur, Arbeitslosigkeit und geringer Bildung auszugleichen, etwa durch staatliche Investitionen, Förderprogramme oder Steuern. "Aber dieser Prozess der Umverteilung funktioniert inzwischen nicht mehr so gut, wie wir uns das wünschen würden", betont Kharas.

Angst vor Einwanderung

Wachsende Ungleichheit führt zu Unzufriedenheit. Hinzu kommt eine zunehmende Angst vor Einwanderung, besonders bei Menschen mit geringer Qualifikation, die in den Migranten vor allem Konkurrenten sehen. Kharas nennt das "den zweiten Dolch im Rücken der Globalisierung".

Trotzdem glaubt er nicht, dass Deutschlands liberale Flüchtlingspolitik das Brexit-Referendum entschieden hat. "Ich wäre sehr überrascht, wenn Angela Merkels mutige Entscheidung, Flüchtlinge nach Deutschland zu lassen, die Abstimmung maßgeblich beeinflusst hat."

Sein Argument: Dafür sei Einwanderung in Großbritannien schon zu lange ein umstrittenes Thema. "Ich war in den späten 1960er Jahren im Vereinigten Königreich. Vor 50 Jahren ging es um genau dieselbe Thematik." Der einzige Unterschied sei, dass Zuwanderer damals vor allem aus den ehemaligen britischen Kolonien in Südasien oder der Karibik kamen, heute dagegen aus Osteuropa, so der Entwicklungsexperte.

Ob es nun beabsichtigt war oder nicht - die Entscheidung für den Brexit hat einen gefährlichen Präzedenzfall geschaffen. Denn die wirtschaftliche Globalisierung trifft ohnehin auf wachsenden Widerstand, sagt Gary Clyde Hufbauer vom Peterson Institute for International Economics in Washington.

"Schon vor dem Brexit war die Doha-Runde der Welthandelsorganisation WTO tot, das transpazifische Freihandelsabkommen (TPP) trifft auf politische Hürden, und kleine protektionistische Maßnahmen sprießen wie Butterblumen im Sommer", so Hufbauer in einem Artikel.

In Europa sind die geplanten Freihandelsabkommen mit den USA (Transatlantic Trade and Investment Partnership - TTIP) und Canada (Comprehensive Economic and Trade Agreement - Ceta) äußerst umstritten.

Globalisierung in der Warteschleife

Arme Länder haben am meisten zu verlieren, wenn sich dieser Trend fortsetzt, glaubt Brookings-Forscher Kharas.

"Entwicklungsländer haben von der Globalisierung besonders stark profitiert", sagt er und nennt höhere Investitionen, bessere Arbeitsplätze und ein gestiegene Bedeutung des Bildungs- und Gesundheitswesens als Beispiele.

Homi Kharas
"Wir brauchen eine bessere Globalisierung": Homi KharasBild: Brookings

Wenn die Brexit-Entscheidung einen weltweiten Trend für eine langsamere wirtschaftliche Integration einläutet, "dann wäre das ein echtes Problem für Entwicklungsländer und vor allem die ärmeren Bevölkerungsschichten dort", so Kharas.

Globalisierung müsse daher so gestaltet werden, dass das Konzept nicht von der Mehrheit der Bevölkerung in den reichen Ländern abgelehnt wird, die wirtschaftlich den Ton angeben. "Es geht nicht um schnellere oder langsamere Globalisierung", sagt er. "Wir brauchen eine bessere Globalisierung."

Eine bessere Globalisierung - das heißt auch bessere Mechanismen zur Verteilung der Profite. Die Ironie dabei ist, dass die EU mit ihren Fördertöpfen für Infrastruktur, Industrie, Landwirtschaft und Kultur genau dieses Ziel verfolgt.

Mitarbeit: Srinivas Mazumdaru