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Für Cameron wird ein Albtraum wahr

Barbara Wesel, z.Zt. London24. Juni 2016

Mit seiner Rücktritts-Ankündigung nach dem Brexit-Votum öffnet der britische Regierungschef die Tür für die Nachfolgeschlacht bei den Konservativen. Großbritannien steht vor unruhigen Monaten. Barbara Wesel aus London.

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Brexit David Cameron
Bild: Reuters/S. Wermuth

David Cameron hat das in seiner Situation einzig Mögliche getan und auf würdevolle Weise das Handtuch geworfen. Aber die Haltung, die er in seiner Jugend auf den teuren Privatschulen und Universitäten gelernt hat, hilft ihm nur über diesen einen Tag hinweg. Die politische Karriere dieses jungen Premierministers, der angetreten war, seine konservative Partei moderner und liberaler zu machen, ist zu Ende. Er hat immer als Politiker mit einer sicheren Hand gegolten, ein Mann mit Geschick und Fortune. In der vergangenen Nacht jedoch hat ihn das Glück auf spektakuläre Weise verlassen.

Bedauern auf dem gemäßigten Flügel

In den vergangenen Tagen scheinen eine Reihe von Tory-Abgeordneten, die Cameron die Stirn geboten und den Brexit unterstützt hatten, Angst vor der eigenen Courage bekommen zu haben. Noch am Tag der Abstimmung erschienen Meldungen in der Presse von einer "Save Dave" Bewegung. Das war der Versuch der Moderateren unter den EU-Gegnern, einen Premierminister zu retten, den sie schätzen, und der für sie immerhin - entgegen den Erwartungen - die letzten Wahlen gewonnen hatte.

Betrachtet man etwa die Reaktion von Camerons Parteifreund Liam Fox, dem früheren Verteidigungsminister, am Tag danach, so schien der regelrecht geschockt von dem Ergebnis und seinen Konsequenzen. Er hofft für das Land jetzt zunächst auf eine Periode der Ruhe. Aber das ist ein Wunsch aus der Kinderstunde, wo die Kleinen Unheil anrichten dürfen, ohne dafür wirklich bestraft zu werden.

Denn mit der Ankündigung seines Rücktritts in wenigen Monaten lässt David Cameron dem beginnenden Sturm jetzt freien Lauf. Er öffnet die Tür zu einer Schlacht um den Parteivorsitz und das Amt des Premierministers, und damit für eine lange Phase der Unsicherheit, des internen Streits und der Richtungskämpfe in der britischen Politik. Denn auch in der Labour Party werden die Messer gewetzt, weil deren Chef Jeremy Corbyn die Pro-EU Kampagne nur halbherzig führte und seine Wähler nicht für "Remain" an die Wahlurnen treiben konnte.

Jubel bei den Hardlinern

Der offensichtliche Gewinner der Schicksalsnacht heißt Boris Johnson. Sein unbändiger Ehrgeiz hat ihn ins Brexit-Lager getrieben, weil er nur auf diese Weise David Cameron aus dem Amt hebeln und beerben konnte. Jetzt hat er sein Ziel erreicht. Ob er damit auch die Mehrheit in der konservativen Partei in der Tasche hat, ist noch offen.

Boris Johnson (Foto: Reuters/S. Rousseau)
Will die Kontrolle übernehmen - Camerons Parteikollege Boris JohnsonBild: Reuters/S. Rousseau

Seine populistische Kampagne, die wenig Rücksicht auf die Fakten nahm und umso mehr auf simple Slogans setzte, hat ihm nicht nur Freunde gemacht. Denn für die Konservativen wäre ein Parteichef und möglicher Premierminister Boris Johnson ein Quantensprung: Von einem gemäßigten Politiker der Mitte hin zu einem polarisierenden Rechtsausleger, mit geringem Hang zur Wahrheit und umso größerem persönlichem Ehrgeiz.

Bittere Niederlage

Für David Cameron aber ist die Niederlage in diesem Referendum bitter. Zum einen, weil er erkennen muss, dass große Teile der Wählerschaft sich von ihm abgewendet haben und stattdessen auf die Heilsversprechen des Brexit-Lagers setzen.

Die Abstimmung zeigt, wie tief gespalten das Land ist, zerrissen zwischen einer metropolitanen Elite und den ökonomisch abgehängten Regionen im Norden Englands. Ein ebenso großer Riss geht durch die Generationen: Dreiviertel der jungen Wähler stimmten für Europa, die älteren mit großer Mehrheit dagegen.

Für den Premierminister wird mit der vergangenen Nacht ein Albtraum wahr: Der Geist, den er aus der Flasche gelassen hat, indem er ohne Not diese Volksabstimmung ansetzte, verschlingt ihn nun zuerst. Und bei aller Dauernörgelei auch von ihm an der Europäischen Union: Cameron wollte nicht der Premierminister sein, der sein Land aus der EU führt. Seine Kampagne schien zwar etwas lauwarm und ihm fehlte die Glaubwürdigkeit als glühender Pro-Europäer. Aber man kann davon ausgehen, dass er dieses Ergebnis nie wollte.

Nicola Sturgeon (Foto: Reuters/C. Kilcoyne)
Auch nach dem Brexit-Votum - die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon will Schottland in der EU haltenBild: Reuters/C. Kilcoyne

Dennoch wird er jetzt als der Premier in die Geschichtsbücher eingehen, der den Auszug der Briten aus Europa verursacht hat. Und vielleicht nicht nur das: Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon kündigte an, ein zweites Referendum über die Unabhängigkeit von Großbritannein sei sehr wahrscheinlich.

Allerdings trifft hier das Mitleid mit Cameron, einem Politiker, den das Glück verlassen hat, auf die kühle Erkenntnis, dass er den größten Fehler seines Lebens aus freiem Willen begangen hat. Denn für David Cameron gilt der alte Satz: Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um. Man könnte noch hinzufügen: In Referenden und auf hoher See sind wir alle in Gottes Hand. Aber das ist weder für den britischen Premier noch den Rest Europas jetzt ein Trost.