Brexit-Gesetz passiert Unterhaus
20. Dezember 2019Sein dröhnender Ruf "Stoooop Brexit" war allen Journalisten auf der Presse-Wiese vor dem Parlament zur Begleitmusik endloser und bitterer Debatten im Unterhaus geworden. Über ein Jahr lang hatten Steve Bray und seine Mitstreiter dort bei Wind und Wetter ihre Europafahnen ins Bild der internationalen Fernsehteams gehalten und in Sprechchören gegen den Brexit protestiert. An diesem schicksalhaften Freitag aber stand er ganz allein an den Absperrungen, nur noch mit einem blauen Europaschirm ausgerüstet. Der Widerstand im Parlament wie außerhalb davon war zusammengebrochen. "Es ist ein dunkler Tag für Großbritannien", murmelte Bray, der mit seinem standhaften Brexit-Protest eine Art internationaler Berühmtheit erlangt hatte.
Das Ende einer traurigen Geschichte
Boris Johnson legte sich als Redner noch einmal ins Zeug, um das EU-Austrittsgesetz an diesem Freitag erneut zur Abstimmung zu stellen. Er hatte es zuvor noch einmal verschärft, etwa Schutzrechte für Arbeitnehmer nach EU-Standard entfernt und darüber hinaus dem Parlament die Mitbestimmung über das künftige Freihandelsabkommen wieder genommen - Zugeständnisse die einst Theresa May einem in der Vergangenheit noch aufsässigen Unterhaus gemacht hatte.
Jetzt aber wurde die Abstimmung mit 358 zu 234 Stimmen zum Durchmarsch für die Regierung. Der Premierminister hat eine satte Mehrheit von Loyalisten hinter sich, die ihm den Wahlsieg und ihre Mandate verdanken. Da gibt niemand mehr das geringste Widerwort. Stattdessen wurden allerhand zweifelhafte Scherze auf Kosten der verbliebenen Brexit-Gegner auf den Oppositionsbänken gemacht, von "Merry Brexmas" bis zu "Alles was ich mir zu Weihnachten wünsche ist nicht EU" gaben die Brexiteers im Parlament ihrem Triumph fröhlichen Ausdruck.
Keine Widerworte
Der Premierminister aber forderte, das Land solle jetzt nach vorne schauen. Die "traurige Geschichte der letzten dreieinhalb Jahre ist vorbei", die Etiketten von "Remain" und "Brexiteer" seien Vergangenheit. Am liebsten möchte er das Wort Brexit nicht mehr hören, so wie auch das Brexit-Ministerium aufgelöst wird. In bewegten Worten pries Johnson dabei noch einmal die glorreiche Zukunft und die Unabhängigkeit Großbritanniens nach der "Befreiung" von der EU, "Ozeane der Chancen" würden warten.
Am Ende würden die Spaltungen über den Brexit so unwichtig wie der Kampf zwischen den Capulets und Montagues in Shakespeares "Romeo und Julia", verstieg sich der Premier schließlich - leider war am Ende Julia tot. Er versuchte erkennbar den Brexit mit einem Meer von blumigen Vergleichen und Übertreibungen zuzuschütten.
Aber in der Sache blieb Boris Johnson knallhart. Die kurze Frist für die Verhandlungen mit der EU - denn das Austrittsgesetz enthält eine rechtliche Sperre gegen eine Verlängerung der Übergangszeit - werde die Position der britischen Seite bei den Gesprächen mit Brüssel verbessern, so erklärte er. Außerdem will er keine künftige Angleichung an EU-Regelungen und Gesetze, was ein deutlicher Fingerzeig ist, dass es ihm bei allen großen Worten über das nahe künftige Verhältnis zu den europäischen "Partnern und Freunden" um nicht mehr als einen minimalen Freihandelsvertrag geht.
Der Rest ist Routine
Nach der Abstimmung am Freitag muss sich das Unterhaus Anfang nächsten Jahres erneut mit den Details des Austrittsgesetzes befassen - aber das sind nur noch formale Vorgänge. Das gleiche gilt für die ausstehende Lesung im House of Lords - dem Austritt des Königreiches Ende Januar steht nichts mehr im Wege. Wenn die Abstimmungen in London absolviert sind, muss noch das EU-Parlament seine Zustimmung geben, aber auch das ist eine reine Formalität.
Nur von der oppositionellen Labour-Party, nach ihrer schweren Wahlniederlage noch im Schockzustand und ziemlich desorganisiert, kamen noch einmal mahnende Worte. Das Austrittsgesetz sei ein schlechtes Gesetz, auch wenn das Unterhaus es mit großer Mehrheit beschlossen habe. Die Probleme, die aus dem Brexit entstehen werden, liegen noch in der Zukunft, warnte etwa Keir Stamer, der sich auch für die Nachfolge von Labour-Führer Jeremy Corbyn bewirbt.
Die Partei müsse weiter für ein besseres künftiges Verhältnis mit der EU kämpfen, als es die Konservativen anstrebten, so Stamer. Aber diese Auffassung teilten nicht einmal alle seiner eigenen Kollegen: Sechs Labour-Abgeordnete stimmten dieses Mal mit der Regierung, 32 enthielten sich der Stimme. Auch die Parteidisziplin und der gemeinsame politische Wille sind bei der Oppositionspartei am Boden.
Verhandlungen über neues Abkommen ab Februar
Wenn am 31. Januar um 23.00 Uhr britischer Zeit der Brexit formell vollzogen sein wird, dann können im Prinzip am 3. Februar in Brüssel bereits die Gespräche über das künftige Verhältnis beginnen. Verhandlungsführer auf EU-Seite wird weiter Michel Barnier sein, in London gilt als wahrscheinlich, dass Boris Johnson seinen alten Gegner und neuerdings treuen Unterstützer Michael Gove entsenden wird.
In seiner ersten Reaktion auf die Abstimmung hatte der Präsident des EU-Rates Charles Michel zwar einerseits begrüßt, dass es jetzt Gewissheit über die Zukunft gebe. Andererseits wies er auch darauf hin, dass die EU auf dem Prinzip des "Level playing field" bestehe, dass Großbritannien also nur dann weitgehenden Zugang zum Binnenmarkt bekommen könne, wenn es sich an die europäischen Regulierungen und Standards halten werde.
Große Entfernung zum Rest Europas
In Brüssel gilt ganz klar das Prinzip "Marktzugang gegen Regeltreue". Wenn aber Boris Johnson, wie angekündigt, völlig davon Abstand nehmen will, dann bleibt am Ende nur ein karges Freihandelsabkommen über Güter. Die EU schließt sie in der Art nur mit Drittländern ab, die ihr nicht besonders nahe stehen und die keine weiteren Zugeständnisse machen wollen. Noch wollen viele wohl nicht glauben, dass ein Ex-Mitgliedsland Großbritannien tatsächlich in so großer Entfernung vom Rest Europas enden wird. Es ist auch nicht sicher, ob der Regierung Johnson klar ist, welche Einschränkungen das für die britische Wirtschaft künftig bedeuten wird.
Jedenfalls ist nach diesem Tag in London und dem uneingeschränkten Sieg der Brexit-Befürworter deutlich, dass die Verhandlungen hart und bitter werden dürften. Es geht jetzt darum, den Binnenmarkt zu schützen, so hatten es die EU-Regierungschefs in den letzten Wochen und Monaten immer wieder betont. Sie werden voraussichtlich stärker beim Wort genommen werden, als ihnen lieb sein kann. Auch bei der nächsten Runde im Brexit-Drama werden sie wieder Einigkeit zeigen müssen, um sich gegen eine britische Regierung zu wehren, die vom Partner zum Konkurrenten zu werden droht.
Die Gefahr, dass es am Ende doch noch zu einem harten Brexit kommt, ist dabei nicht gebannt. Wenn Boris Johnson von der EU Unmögliches verlangt und mehr als sie zu geben bereit ist, könnten die Verhandlungen durchaus auch scheitern. Der Kampf um den Brexit ist also keinesfalls vorbei, wie der Premier im Wahlkampf immer wieder versprach. Er geht nur in die nächste Runde, die zwischen den entfremdeten Partnern in diesem Scheidungsdrama stattfinden wird.