Wie fertig ist Theresa May mit der Welt?
24. Oktober 2017In der letzten Woche drehte sich alles um Theresa May. Wir sehen sie hier in Brüssel mit Blumentöpfen reden. Vielleicht weil keiner in ihrer Regierung ihr mehr zuhört? Oder hat sie leise zum Gott der kleinen Dinge gebetet, er möge diesen schrecklichen Tag, den grässlichen Gipfel und den ganzen scheußlichen Brexit vorbei sein lassen? Vielleicht hat die Premierministerin auch darüber nachgedacht, allem ein Ende zu machen, einfach weg zu gehen, um auf dem Land ein stilles Leben mit ihrem Ehemann Philip zu führen. Aber als pflichtbewusste Tochter eines Pfarrers macht sie weiter. Die Geschichte wird darüber richten, ob sie sich, ihrem Land und uns allen damit einen Gefallen tut.
Es war die Woche des Gipfeltreffens, wo die EU und Großbritannien vorsichtig in Richtung eines Fortschritts in den Verhandlungen voran schritten, um bis Weihnachten ausreichenden Fortschritt zu erzielen. Schließlich gaben die Mitgliedsstaaten grünes Licht für interne Vorgespräche über die Gestalt eines künftigen Deals. Das war kaum eine Nachricht, die aber als Olivenzweig für die Premierministerin verkleidet war. Damit ist die Erlaubnis gegeben, über das spätere Verhältnis mit dem Königreich nachzudenken, aber nicht darüber zu reden. Oder nur ein bisschen.
Loses Gerede oder machiavellistische Intrige
In Brüssel scheint es sowieso ein Problem mit dem Gerede zu geben. Als Theresa May sich vorige Woche zu einem Abendessen mit Kommissions-Chef Jean-Claude Juncker eingeladen hatte, war klar, was sie von ihm wollte. Es war ein letzter Versuch, ihn umzustimmen und die Brexit-Gespräche voran zu bewegen in ihre zweite Phase. Aber Juncker bewegte nichts als den Salzstreuer zur anderen Seite des Tisches. Das Leben ist nicht so einfach.
Viel lustiger als dieser fehlgeschlagene diplomatische Rettungsversuch war die Nachgeschichte. Die Wochenzeitung "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" (FAS) veröffentlichte beunruhigende Einzelheiten über den Abend. May habe ängstlich, niedergeschlagen und entmutigt gewirkt. Sie habe bei Juncker um Hilfe gebettelt, tiefe Ringe unter den Augen gehabt und sei sehr müde erschienen. Der mögliche Schuldige für dieses mutmaßliche Leck war schnell gefunden. Es konnte niemand anders sein als Martin Selmayr, Junckers deutscher Kabinettschef und seine graue Eminenz.
Aber Selmayr reagierte wütend: "Ich bestreite, dass wir das Leck waren, dass Juncker das je gesagt hat und dass wir den Brexit als Strafe auslegen. Es ist ein Versuch, die EU anzuschwärzen und die Gespräche zu unterminieren".
Nun ist der EU-Beamte vorbelastet. Er hat wohl das vernichtende Urteil über ein früheres Abendessen Juncker-May in London ausgeplaudert. Wenn er es also einmal gemacht hat, würde er es wohl wieder tun? Der britische Brexit-Minister wies mit dem Finger auf den Deutschen und sagte: "Wir waren nur zu sechst im Raum".
Damit aber eröffnet David Davis eine interessante Möglichkeit. Er ist im Gegensatz zu Theresa May ein echter Brexiteer. Er wird immer wieder als ihr möglicher Nachfolger gehandelt. Er hasst den Verlauf der Brexit Gespräche. Und er war mit im Raum. Oder glaubt jemand, der britische Chef-Unterhändler wäre zu einer solch machiavellistischen Intrige nicht imstande?
Ein guter oder gar kein Deal
Die EU hatte geglaubt, sie täte Theresa May mit dem Beginn des Nachdenkens über die Zukunft einen Gefallen. Und dieses Zipfelchen Fortschritt muss Wirtschaftsführer in Großbritannien ermutigt haben. Sie schreiben inzwischen fast täglich Briefe an die Regierung in London und bitten um Klarheit über den Brexit. Und ihre Hoffnung richtet sich vor allem auf die Übergangsperiode, die May in Florenz angekündigt hatte. Aber im Unterhaus machte die Premierministerin alles wieder zunichte: "Es kann keine Umsetzungsphase geben, wenn die Zukunft mit der EU nicht beschlossen ist".
Darin liegt eine gewisse Logik, wenn man nicht von Übergang sondern von Umsetzung spricht. Aber es zerstört die Hoffnung, dass eine Übergangsphase für die Wirtschaft den Hals-über-Kopf Sturz von der Klippe bei einem harten Brexit abfedern könnte. Manche springen lieber rechtzeitig und aus eigenem Antrieb. "Gerade zurück aus Frankfurt. Tolle Treffen, tolles Wetter, wirklich erfreulich. Gut, weil ich da mehr Zeit verbringen werde", tweetete Goldman-Sachs CEO Lloyd Blancfein vorige Woche. Er findet das Gras auf der anderen Seite des Ärmelkanals inzwischen ziemlich grün. Brexiteers aber brandmarkten ihn gleich als Verräter.
Und Ratspräsident Donald Tusk drehte noch einmal das Messer in der Wunde: "Es liegt an London, wie das ausgeht, mit einem guten Deal, keinem Deal oder keinem Brexit". Huch, diese Option scheint irgendwie vom Tisch, könnte aber wieder Fahrt gewinnen, wenn die FedeB, die Feinde des Brexit endlich ihre Kräfte bündeln würden.
Wo sind die Berichte über die Brexit-Folgen?
Die Gegner wundern sich auch gerade darüber, warum die Regierung die vorliegenden Studien über die wirtschaftlichen Auswirkungen des Brexit trotz Drängens nicht veröffentlicht. Ein Spaßvogel vermutet, sie seien so toll, dass sie als "wunderbares Weihnachtsgeschenk für uns alle" zurück gehalten werden, so schreibt David Schneider bei Twitter. Oder dass es an der Luxus-Yacht-Industrie liegt, die Zeit braucht, um die zu erwartende Menge der Aufträge von normalen Briten zu verarbeiten.
In seiner Unverhohlenheit erstaunlich ist ein Brief, den Brexiteer und Tory-MP Chris Heaton-Harris an alle britischen Universitäten geschrieben hat, und in dem er nach den Namen der Professoren fragt, die europäische Politik, insbesondere Brexit unterrichten. Er hätte außerdem gern den Stundenplan und die Online-Arbeitsmaterialien.
Akademiker reagierten wütend: Das sei ein düsterer Vorstoß, ein Einzug der Gedankenkontrolle und des McCarthyismus, und Anti-Brexit Aktivistin Gina Miller fragt: "Was ist mit diesem großen Land passiert?" Die Antwort heisst Brexit.