Erdbebendiplomatie zwischen Griechenland und der Türkei
7. Februar 2023Bei seiner Abschiedsrede kurz vor Weihnachten 2022 hatte sich Burak Özügergin, damals noch türkischer Botschafter in Athen gewünscht, "dass wir keine Brände, Erdbeben oder andere Katastrophen brauchen, um uns daran zu erinnern, dass wir Nachbarn sind". Wenige Wochen später erwiesen sich diese Worte fast als prophetisch. Das katastrophale Erdbeben, das das Grenzgebiet zwischen der Südtürkei und Nordsyrien erschüttert hat, scheint die beiden verfeindeten Nachbarländer wieder näher zusammenzurücken.
In Griechenland hat die Naturkatastrophe in Politik und Öffentlichkeit Bestürzung ausgelöst. Die Hilfsangebote aus Athen kamen sofort und auch Solidaritätsbekundungen auf allen Ebenen: Die Präsidentin, die Regierung, die politischen Parteien, die Gewerkschaften und alle möglichen Organisationen der Zivilgesellschaft bekundeten sofort Mitgefühl und Hilfsbereitschaft.
Für Griechenland ist der Weg bis Gaziantep kurz, und das Erdbeben Know-how im Land ist aufgrund eigener Erfahrungen mit seismischen Erschütterungen weit entwickelt. Und so dauerte es nur wenige Stunden bis sich die Spezialeinheit EMAK ins Krisengebiet aufmachte, entsandt von der Regierung in Athen. Eine militärische Frachtmaschine vom Typ C130, beladen mit humanitärem und medizinischem Material, mit Suchhunden, Ärzten und Ersthelfern an Bord startete Richtung Türkei. Mit dabei auch Experten für Seismologie und der Leiter des griechischen Erdbebenschutzes, Efthymios Lekkas.
Erinnerung an die Erdbebenkatastrophen von 1999
Im Angesicht des Dramas in der Südtürkei und in Nordsyrien, in den von Armut, Krieg und jetzt Erdbeben heimgesuchten Städten und Dörfern, hat man in Griechenland die schwierigen bilateralen Beziehungen zur Türkei für den Moment beiseite gelegt. Stattdessen greift die sogenannte "Erdbeben-Diplomatie", die beide Länder schon einmal unerwartet zusammengebracht hatte.
Im Jahr 1999, nur drei Jahre nach der Imia-Krise um zwei kleine unbewohnte Inseln in der Ägäis, als beide Länder kurz vor einem Krieg standen, sorgten zwei Naturkatastrophen für unerwartete Entspannung: Am 17. August wurde die Türkei von einem schweren Erdbeben in der Region um die Industriestadt Izmit nahe Istanbul erschüttert. Mindestens 17.000 Menschen starben in den Trümmern ihrer Häuser, mehrere Hunderttausende wurden obdachlos. Das griechische Außenministerium schickte damals sofort Rettungskräfte und ausgebildete Rettungshunde, Ärzte und mobile Lazarette. Die griechische Zivilgesellschaft sammelte Spenden und organisierte Tausende von Zelten, Medizin, Wasser, Kleidung, Lebensmittel und Decken.
Nur einen Monat später wurde die griechische Hauptstadt Athen selbst von einem Erdbeben getroffen. Die Türkei revanchierte sich sofort und schickte Rettungskräfte, um nun ihrerseits den Nachbarn zu helfen. Damals wurden die enorm belasteten Beziehungen zwischen Ankara und Athen durch Mitgefühl, Solidarität und konkrete Hilfe entlastet und der Begriff "Erdbeben-Diplomatie" geprägt. Die positive Stimmung hielt zehn Jahre lang an, bis Streitereien wieder die Oberhand gewannen.
Mitsotakis und Erdogan reden wieder miteinander
Doch ob es auch diesmal wieder gelingt, die verfeindeten Nachbarn zu versöhnen, ist schwer zu sagen. Beide Länder stehen im Wahlkampf, griechische und türkische Politiker bedienen sich gern nationalistischer Parolen und haben sich bisher wenig kompromissbereit gezeigt.
Nun aber haben der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan zumindest wieder miteinander telefoniert. Dabei sicherte Mitsotakis Erdogan zu, dass Griechenland der Türkei alle seine Kräfte zur Verfügung stellen werde. Gleichzeitig übermittelte er die Unterstützung und tiefes Beileid der Regierung und des griechischen Volkes über den Verlust von Menschenleben. Auch die Präsidentin der Griechischen Republik, Katerina Sakellaropoulou, telefonierte mit Erdogan und drückte ihre Hoffnung aus, dass so viele Leben wie möglich gerettet werden. Der türkische Präsident dankte Sakellaropoulou sowohl für die Unterstützung des griechischen Volkes als auch für die bereits entsandte Hilfe.
Außenminister Nikos Dendias wandte sich aus dem fernen Brasilien an seinen türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu, um ebenfalls den Opfern sein Beileid auszusprechen und die Bereitschaft der griechischen Regierung zu unterstreichen, die Rettungsbemühungen umgehend zu unterstützen.
Alle wollen helfen
Die Unterstützung für die Erdbebenopfer in der Türkei und in Syrien ist in Griechenland parteiübergreifend - mit Ausnahme der Faschisten. Alle Parteivorsitzenden sicherten den betroffenen Türken, Kurden und Syrern ihre Solidarität zu und befürworten die dringend benötigte internationale Hilfe, um Verschüttete zu retten und den Betroffenen rasche Unterstützung zu leisten.
Seit gestern Nachmittag (7.02.2023) sammeln die Gewerkschaften in Piräus und Thessaloniki für Decken, Milchpulver, Medikamente, Verbandsmaterial, Windeln, Waschmittel und andere Hygieneartikel. Mehrere Nichtregierungsorganisationen machen sich in diesen Stunden und Tagen auf den Weg in die Südtürkei.