Briten schauen nach Griechenland
6. Juli 2015Spätestens seit der Wiederwahl der konservativen Partei im Mai steht die Mitgliedschaft Großbritanniens in der Europäischen Union ganz oben auf der politischen Agenda. Um die euroskeptischen Hinterbänkler zu beschwichtigen, hatte Ministerpräsident David Cameron ein Referendum versprochen. Ende 2017 sollen die Briten über ihren Verbleib in der EU abstimmen.
Cameron selbst würde sein Land zwar lieber in der Europäischen Union halten, allerdings fordert er eine Reform der Institutionen und Gesetze des Verbundes. Wochenlang traf er sich mit führenden europäischen Politikern, um für Unterstützung seiner Reformpläne zu werben. Aber die derzeitigen Krisen - von Griechenland über die Flüchtlingsdebatte bis hin zum Konflikt mit Russland - drängten seine Päne in den Hintergrund.
Krisen überschatten Reformpläne
"Im Moment haben wenige Leute in Brüssel den Kopf dafür frei, sich Gedanken über Großbritannien zu machen und darüber, was eine Reform der EU mit sich bringen würde", meint Fabian Zuleeg von der Brüsseler Denkfabrik European Policy Centre. "Wenn die anderen Krisen überstanden sind, wird man sich darauf konzentrieren können."
Mit schnellen Reformen sei also nicht zu rechnen, sagt Zuleeg, denn das ginge nur mit Unterstützung der EU-politischen "Big Player": "Deutschland zum Beispiel müsste sich Zeit nehmen, ist derzeit aber mit Griechenland beschäftigt. Doch noch ist etwas Zeit bis zum britischen Referendum. Wenn wir eine Lösung ohne Grexit finden sollten, wird die jetzige Krise keinen allzu großen Einfluss auf Großbritannien haben."
Ausstieg aus der EU?
Das sehen viele Analysten anders: Sie sind überzeugt, das Ergebnis des Griechen-Referendums werde den Anti-EU-Lobbyisten in Großbritannien mehr Macht geben. "Das Nein der Griechen macht einen Grexit wahrscheinlicher. Wenn Griechenland die EU verlässt, wäre das für David Cameron ein zweischneidiges Schwert", erläutert Rem Korteweg von der Londoner Denkfabrik "Centre for European Reform".
Einerseits könnte der drohende Grexit Camerons Position bei den nächsten Verhandlungen über die Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs in der EU stärken. "Denn steigt Griechenland aus dem EU-Bündnis aus, wäre dies ein handfester Beleg dafür, dass die EU-Verträge geändert werden sollten", sagt Korteweg. Das würde Cameron den Weg zu seinen EU-Reformplänen ebnen. Andererseits könnten einige Briten einen Grexit als Beweis dafür sehen, dass die europäische Idee nicht funktioniert und dass das Königreich die EU verlassen sollte. "Das würde es Cameron erschweren, die Bürger vom Verbleib in der Union zu überzeugen", so Korteweg. Deshalb könnten Euroskeptiker am meisten von der aktuellen Lage profitieren.
Ab vom "richtigen Pfad"
Das Konstrukt Europäische Union hat darunter gelitten, wie sich die Griechenlandkrise entwickelt hat - mit gegenseitigen Beschuldigungen und waghalsiger Politik anstelle von Kompromissen. "Zum ersten Mal in meinem Leben frage ich mich, ob das europäische Projekt inzwischen nicht zu sehr zerstört ist, um wieder repariert werden zu können", zweifelt der in Griechenland geborene Schauspieler und Autor Alex Andreou. "Ich bin immer begeistert gewesen von der Vorstellung eines partnerschaftlichen Europas mit gemeinsamen Werten. Ich denke nur, wir haben inzwischen zu viele falsche Wege eingeschlagen."
Nicht nur er zweifle inzwischen daran, ob man auf den rechten Pfad zurückfinde, sagt der Künstler: "Zahlreiche britische Freunde, die sonst hinter der europäischen Idee stehen, haben mir in den vergangenen Tagen geschrieben, dass die Art und Weise, wie die EU-Institutionen mit Griechenland umgegangen sind, sie dazu bewegt habe, bei dem anstehenden Referendum für einen Ausstieg Großbritanniens aus der EU zu stimmen."
Folgen für die Wirtschaft
Die gegenwärtige Krise wirke sich auch auf die britische Wirtschaft aus, meint Simon Walker, Vorsitzender des Institute of Directors, einer Vereinigung britischer Wirtschaftsführer. "Mit dem 'Nein' des griechischen Volkes hat die Krise eine neue Dimension erreicht. Es ist schwer zu sagen, was passieren wird, aber wenn die Griechen den Euro verlassen, werden auch viele britische Unternehmen nicht unbeschadet davon kommen", prognostiziert Walker."Britische Geschäftsleute befürchten, dass ein Grexit die ganze Eurozone infizieren könnte, dass die Finanzmärkte erschüttert werden und weitere wirtschaftsschwache Mittelmeerländer unter Druck geraten könnten."
Das Abstimmungsergebnis in Griechenland hat grundlegende Fragen über die DNA einer politischen Union aufgeworfen. "Die EU durchlebt eine schwierige Zeit", sagt Korteweg. "Die europäische Integration galt früher als Einbahnstraße, aber das Wahlergebnis am Sonntag hat gezeigt, dass dies möglicherweise nicht mehr gilt." Das habe Auswirkungen auf die Glaubwürdigkeit der EU in Europa und außerhalb. "Falls Griechenland den Euro verlässt, liegt die Frage auf der Hand: 'Wer kommt als nächstes?' Fügt man nun die Wahrscheinlichkeit eines Brexit hinzu, wird die Schwäche Europas deutlich."