Brustkrebs: KI hilft in Indien und Pakistan bei der Diagnose
26. Juli 2023Brustkrebs. Das war das Letzte, was Sarah [Name von der Redaktion geändert] von ihrem Arzt hören wollte. Damals war sie 31 Jahre alt, frisch verheiratet und sie hoffte, bald schwanger zu werden.
Doch es geht nicht nur um die Diagnose allein - die typische Dauer einer Brustkrebsbehandlung zieht sich über etwa sechs Jahre hin: Ein Jahr für die Chemotherapie und weitere fünf für eine weiterführende Therapie, etwa eine Hormontherapie. Die aber kann für die Betroffenen die Chance, schwanger zu werden, drastisch verringern. So kann sie beispielsweise die Produktion der Eizellen beeinflussen oder den Eisprung verhindern.
Sechs lange Jahre. Sarah hätte ihre Eizellen einfrieren lassen und dann im Alter von 37 Jahren versuchen können, mithilfe einer In-vitro-Fertilisation ein Kind zu bekommen.
Doch bei Sarah deutete vieles darauf hin, dass es sich um eine Krebserkrankung im Frühstadium handelte. Dies ließ sie überprüfen. Sie unterzog sich einem Test, der von künstlicher Intelligenz (KI) unterstützt wurde. Glücklicherweise machte das Ergebnis Hoffnung: Sarahs Tumor galt als nicht aggressiv und die Gefahr, in den nächsten fünf Jahren wieder an Brustkrebs zu erkranken, war gering.
Heute ist Sarah glückliche Mutter eines fünfjährigen Kindes. Sie ist eine von 2500 Patienten, die mithilfe eines KI-basierten Prognosetests des indischen Unternehmens OncoStem Diagnostics eine Chemotherapie vermeiden konnte. Das Unternehmen ist eines der wenigen, die in Südasien im Bereich KI tätig sind.
Brustkrebs ist die häufigste Krebsart
Im Jahr 2020 war Brustkrebs mit 2,3 Millionen neuen Fällen die Krebsart, die bei Frauen am häufigsten diagnostiziert wurde. Fast 685.000 Frauen starben im selben Jahr an Brustkrebs. Bis 2040 werden es voraussichtlich jährlich bis zu einer Million Todesfälle mehr sein. Länder mit hohem und mittlerem Einkommen hatten im selben Zeitraum zwar höhere Krebsraten, aber weniger Todesfälle. Das ist vor allem auf die bessere Erkennung kleiner Tumoren im Frühstadium zurückzuführen, unter anderem durch Technologien, die auf KI basieren.
Künstliche Intelligenz wird immer wichtiger
Seit der Chatbot Chat GPT (Chat Generative Pre-trained Transformer) im November 2022 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, hat KI einen regelrechten Boom erlebt. Im Gesundheitswesen aber und in der Forschung gibt es Künstliche Intelligenz schon seit geraumer Zeit. Der Einsatz von maschinellem Lernen zur Analyse medizinischer Bilder begann bereits in den 1980er Jahren. Maschinelles Lernen (ML) ist ein Teilgebiet der KI. Es handelt sich um eine Technologie, deren Leistung im Laufe der Zeit und durch Erfahrung immer weiter verbessert wird. Dafür benötigt ML aber Unmengen an Daten, mit denen es sich selbst "trainieren" kann.
Laut Forschenden verfügen wir heute über ein wesentlich größeres Datenvolumen als noch vor 40 Jahren, und mittlerweile ist KI auch deutlich leistungsfähiger. Sie scheint Dinge zu sehen, die ein Arzt oder eine Ärztin nicht unbedingt erkennen. Das gilt auch für die Brustkrebsvorsorge mithilfe der Mammographie, einer speziellen Röntgenuntersuchung der Brust. Doch diese Röntgenbilder werden unter anderem durch die Dichte des Brustgewebes beeinflusst.
Bei der Brustdichte handelt es sich um das Verhältnis zwischen Drüsengewebe, Bindegewebe und Fettgewebe in der Brust. Dabei erschweren dichtes Brustgewebe und schlechte bildgebende Verfahren die Erkennung von Tumoren in der Mammographie.
Diese Eigenschaften aber sind besonders wichtig. Laut den US-amerikanischen Zentren für die Kontrolle und Prävention von Krankheiten, CDC, besteht bei dichtem Brustgewebe ein höheres Risiko, an Brustkrebs zu erkranken. Eine Studie legt nahe, dass zehn bis 30 Prozent der Brustkrebserkrankungen bei der Mammographie übersehen werden könnten.
"Der Einsatz von KI ist bei der Früherkennung und Prävention von Krebs am wirksamsten", sagt Mehr-un-Nisa Kitchlew, KI-Forscherin und Gründerin von RŌZ, einem Startup zur Brustkrebserkennung. Es hatte die Microsoft Epic Challenge 2022 in Pakistan gewonnen. "Wenn man sich einen Scan ansieht, dann ist es eine Sache, eine professionelle Meinung oder mehrere zu haben. Aber manchmal gibt es einige subtile Nuancen, die das bloße Auge nicht sehen kann. Eine gut trainierte KI aber kann das und sie hilft dabei, diese Nuancen zu erkennen", so Kitchlew.
KI hilft bei der Prognose
Menschen sind kaum in der Lage, Vorhersagen mit großer Sicherheit zu treffen. Hat eine Frau beispielsweise eine lebensbedrohliche Genmutation und Ärztinnen und Ärzte würden nach ihren Chancen auf ein gesundes Leben in den nächsten zehn Jahren gefragt, würden nur wenige überhaupt eine Prognose wagen. Genau das aber wird die KI tun.
Eine KI kann die Eigenschaften eines Tumors analysieren, beispielsweise seine Größe oder auch die Anzahl der betroffenen Lymphknoten. Eine KI kann Muster und Zusammenhänge mit verschiedenen Subtypen von Krebserkrankungen erkennen. Es handelt sich um ein Maß an Komplexität und einen Datenumfang, den Menschen nicht berechnen können.
Laut OncoStem ist der Prognosetest "CanAssist" leistungsstark genug, um das Krebsrisiko für einen Zeitraum von bis zu zehn Jahren vorherzusagen. Dazu führte das Unternehmen eine Studie mit Patienten in Europa durch. CanAssist analysiert die Expression bestimmter Proteine und sagt so Ärztinnen und Ärzten, ob der Krebs auf eine Hormonbehandlung ansprechen wird und ob eine Chemotherapie erforderlich ist.
"Eine Chemotherapie kann viele Nebenwirkungen für den Patienten haben: Man verliert die Haare, kann sehr leicht Infektionen oder Leukämie bekommen. Es kann auch zu vielen neurologischen Störungen kommen", sagt Manjiri Bakre, Mitbegründer und CEO von OncoStem Diagnostics.
Schon bevor OncoStem auf den Markt kam, standen solche Tests in den USA und Europa zur Verfügung. Aber, so Bakre, in Ländern wie Indien und Pakistan seien sie teuer und viele Patienten könnten sich das nicht leisten.
Ohne den Einsatz von Menschen geht es nicht
Die Möglichkeiten für KI seien endlos, einschließlich der Roboterchirurgie. Davon ist KI-Forscherin Kitchlew überzeugt. Bakre aber ist der Ansicht, dass Ärztinnen und Ärzte noch immer eine wichtige Rolle spielen und unverzichtbar sind. "Menschliches Eingreifen ist nach wie vor nötig, denn es kann [bei der KI] zu Fehlern kommen", sagt Bakre.
Die KI muss noch viel lernen, etwa wenn es darum geht, genetische Muster zu verstehen. KI muss in der Lage sein, personalisierte Therapiepläne zu erstellen, die auf die spezifische genetische Veranlagung eines Patienten zugeschnitten sind. Aber schon jetzt sind sie eine Hilfe.
Sarah konnte nach ihrer Krebserkrankung wieder Pläne für ihr Leben schmieden. Andere Frauen, die vielleicht eine aggressivere Art von Brustkrebs haben, hätten möglicherweise auch mit KI nicht so viel Glück gehabt, denn es muss noch vieles weiterentwickelt und optimiert werden.
Aus dem Englischen adaptiert von Gudrun Heise.