1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Bröckelnde Fronten in der Drogenpolitik

Matthias von Hein7. August 2015

In Berlin demonstriert an diesem Samstag die Hanfparade für die Legalisierung von Cannabis. Der Druck auf die Politik wächst. Und die springt auf den Legalisierungszug auf.

https://p.dw.com/p/1GBED
Hanfparade 2014 in Berlin vor dem Brandenburger Tor (Photo by Sean Gallup/Getty Images)
Alle Jahre wieder: Legalisierungsdemo Hanfparade in BerlinBild: Getty Images

Jetzt versammeln sie sich schon zum 19. Mal: Seit 1997 findet in Berlin einmal im Jahr die Hanfparade statt. Im letzten Jahr demonstrierten 6500 Menschen für die "Legalisierung von Cannabis als Rohstoff, Medizin und Genussmittel in Deutschland" wie es auf der Hanfparade-Webseite heißt. Der lange Atem der Legalisierungsaktivisten scheint inzwischen Früchte zu tragen. In die Drogenpolitik kommt Bewegung. National wie international sprechen immer mehr Menschen von einem Scheitern der repressiven Verbotspolitik, werden neue Wege gefordert - oder sogar beschritten.

In den USA ist Cannabis inzwischen als medizinisches Marihuana in über der Hälfte aller Bundesstaaten erhältlich. In vier Bundesstaaten wurde es völlig legalisiert. In Uruguay hat erstmals ein ganzes Land den kompletten Weg von der Pflanze bis zum Konsumenten reguliert. Im September 2014 forderte sogar der frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan in einem dramatischen Appell an die Vereinten Nationen eine liberalere Drogenpolitik: Im Sinne der Menschlichkeit müsse die Gesundheit und nicht die Strafverfolgung im Vordergrund stehen. In Europa haben sich unter anderem Portugal, Spanien und Tschechien von der Verfolgung von Kiffern verabschiedet. Und in den Niederlanden ist für Konsumenten seit Jahrzehnten Haschisch und Marihuana in sogenannten Coffeeshops leicht verfügbar.

Legalisierungsbefürworter quer durch die Parteien

Jetzt nimmt auch in Deutschland die Diskussion an Fahrt auf: Am 20. März diskutierte der deutsche Bundestag über den Entwurf eines Cannabis-Kontrollgesetzes der Grünen. Mitte Mai stimmte der Parteitag der FDP mehrheitlich für die Legalisierung von Cannabis. Mitte Juli sprach sich mit dem sozialdemokratischen Bremer Bürgermeister Carsten Sieling der erste Ministerpräsident eines Bundeslandes für die Legalisierung aus. Und bekam kurz darauf Unterstützung vom grünen Landeschef Winfried Kretschmann aus Baden-Württemberg. Und auch in der SPD gibt es Stimmen wie die der Gesundheitsexpertin Bettina Müller, die sich klar für eine Legalisierung von Cannabis aussprechen.

Anhänger der Jungen Liberalen (JuLis) demonstrieren am 15.05.2015 am Rande Bundesparteitag der Freien Demokraten (FDP) in Berlin für die Legalisierung von Cannabis. Mit Transparenten wie "Kiffer sind keine Verbrecher", "Tütchen statt Knöllchen" und "Mach den Dealer arbeitslos" wollen die Jungliberalen plakativ auf ihre Argumente für eine neue und liberale Drogenpolitik aufmerksam machen (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa )
Auch die FDP tritt für die Rechte von Kiffern einBild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Die Bundesdrogenbeauftragte Marlene Mortler von der CSU allerdings wehrt sich vehement gegen solche Vorstöße. Der Deutschen Welle gegenüber äußerte Mortler schriftlich: "Cannabis ist eine berauschende Substanz, deren Missbrauch insbesondere bei jungen Menschen zu erheblichen gesundheitlichen Schädigungen führen kann. Eine generelle Legalisierung lehne ich daher ab. Es würde ein falsches Signal senden und damit den Konsum verharmlosen. Die Risiken sind zu groß." Auch Gesundheitsminister Herrmann Gröhe von der CDU wendet sich gegen jeden Schritt in Richtung Legalisierung.

Schwarzmarkt austrocknen

Allerdings gibt es selbst innerhalb der CDU-Bundestagsfraktion inzwischen einen Abgeordneten, der für eine Kehrtwende in der Drogenpolitik eintritt. Mitte Mai hatte der CDU-Abgeordnete Joachim Pfeiffer gemeinsam mit dem Grünen Parlamentarier Dieter Janecek in einem Positionspapier die staatliche Regulierung des Cannabismarktes gefordert. Dadurch könne man die Organisierte Kriminalität austrocknen, sagt Pfeiffer im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Ich setze hier auch auf die Kraft der Freiheit! Nicht auf Repression, sondern auf Prävention. Und ich glaube auch, dass es gesundheitspolitische Argumente gibt, die es richtig erscheinen lassen, dass man die bisherige Position, die ja nachweislich nicht funktioniert hat, überdenkt."

Pfeiffer führt aus, rund zwei Milliarden Euro pro Jahr würden für eine Strafverfolgung ausgegeben, die weder die Verfügbarkeit von Cannabis noch die Verbreitung des Gebrauchs vermindert habe. Für echte Präventionsarbeit aber stünden lediglich "einstellige, maximal zweistellige Millionenbeträge im unteren Bereich zur Verfügung". Zu den möglichen Einsparungen bei der Strafverfolgung addiert Pfeiffer dann noch erwartete Steuereinnahmen über einen regulierten Cannabismarkt von ebenfalls rund zwei Milliarden Euro. Denn denkt der Parlamentarier weiter: "Würde man sagen, man gibt auch nur ein Viertel davon - also 500 Millionen - für die Prävention aus, dann hätte man das Zehnfache dessen, was man bisher ausgibt. Das wäre erfolgreicher als das, was wir bisher machen", so das Fazit Pfeiffers.

Joachim Pfeiffer MdB Waiblingen CDU
Einsame Stimme in der CDU: Parlamentarier Joachim PfeifferBild: Joachim Pfeiffer

Strafrecht das falsche Mittel

Hubert Wimber teilt Pfeiffers kritische Einschätzung der Verbotspolitik. Bis zu seiner Pensionierung Ende Juni hatte Wimber 17 Jahre lang als Polizeipräsident von Münster die Auswirkungen der Drogenpolitik vor Augen. Wimber hält es für falsch, die Konsumenten zu kriminalisieren. Weil damit die Schwelle erhöht werde, Hilfsangebote anzunehmen, begründet er seine Position im DW-Interview. Vor allem aber: "Wir wissen, dass die Strafbarkeit kaum jemanden davon abhält, tatsächlich zu konsumieren. Und: Wir investieren erhebliche öffentliche Mittel in einen Bereich, wo wir erkennbar nicht erfolgreich sind."

Der Strafrechtsprofessor Lorenz Böllinger tritt ebenfalls für radikales Umdenken in der Drogenpolitik ein. Sein Fazit im Gespräch mit der DW: "Das Strafrecht ist nicht das richtige Mittel". Böllinger streitet keineswegs ab, dass die Droge Cannabis Probleme bereiten kann. "Aber mit diesen Problemen muss man eben sachgerecht umgehen, im Sinne eines gesundheitssystematischen Ansatzes". Sprich: Therapie und Beratung statt Kriminalisierung. Böllinger ist Initiator einer Resolution deutscher Strafrechtsprofessoren. Darin wurde 2013 der deutsche Bundestag aufgefordert, die bisherige repressive Drogenpolitik zu überprüfen. Über die Hälfte der deutschen Strafrechtsprofessoren hat diese Resolution unterzeichnet.

Infografik Drogen - Abhängigkeit, physischer und sozialer Schaden (DW-Grafik: Peter Steinmetz)
Keine Droge ist ungefährlich. Aber jede Droge ist unterschiedlich gefährlich

Freie Entfaltung der Persönlichkeit

Neben den Strafrechtsprofessoren haben sich im letzten November auch die Kriminalbeamten zu Wort gemeldet. In einer 18-seitigen Stellungnahme für den Gesundheitsausschuss des Bundestages geht André Schulz, der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter kritisch mit der bisherigen Drogenpolitik ins Gericht und fordert ein Umdenken.

Der Hamburger Kriminologe Sebastian Scheerer spricht gegenüber der DW von einer "schreienden Ungerechtigkeit, Leute mit unterschiedlichen Genussmittelpräferenzen derart unterschiedlich zu behandeln: Die einen werden mit Kriminalstrafe bedroht; die anderen können sich ihre Genussmittel legal besorgen". Für den Direktor des Instituts für kriminologische Sozialforschung steht außer Frage, dass "das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit selbstverständlich auch die Genussmittelpräferenzen der Bürger einschließt, sofern sie nicht die Rechte Dritter verletzen."

Jüngste Umfragen bestätigen einen Trend hin zur Legalisierung von Cannabis - auch wenn es noch keine absolute Mehrheit dafür gibt. Einer Umfrage des Magazins "Stern" zufolge sprachen sich im Juli 37 Prozent der Befragten für die Legalisierung von Cannabis aus. Im vergangenen Jahr waren es erst 30 Prozent gewesen.