Brüchige Minsker Vereinbarungen
15. April 2015Das fünfte Berliner Treffen der Außenminister Deutschlands, Frankreichs, der Ukraine und Russlands brachte keine Einigung auf konkrete Maßnahmen in der Ukraine-Krise. Das einzige Ergebnis der Verhandlungen war ein gemeinsamer Aufruf, die Kämpfe zu beenden und schwere Waffen aus dem Donbass abzuziehen. Das wurde allerdings schon Mitte Februar im sogenannten "Minsk-2"-Abkommen vereinbart - und bisher von keiner der beiden Seiten vollständig umgesetzt. Die bewaffneten Auseinandersetzungen, die nicht einmal an den Ostertagen bei Donezk und Schirokine unterbrochen wurden, aber auch die Sabotageakte und Terroranschläge gegen das ukrainische Militär zeigen, wie fragil diese Vereinbarungen sind.
Angst vor richtigem Krieg
Kann man "Minsk-2" überhaupt noch als relevant betrachten? Nach Ansicht von Judy Dempsey, Expertin der Berliner Abteilung des Europäischen Carnegie-Zentrums, haben sich alle Konfliktparteien bis zuletzt weitgehend an die Vereinbarungen gehalten. "Die wirkliche Bedeutung der Vereinbarungen ist, dass keine Zivilisten getötet werden", sagte sie im Gespräch mit der DW. "Die Menschen werden in solchen Konflikten oft vergessen. Ihre Häuser sind zerstört und sie wissen nicht, wohin sie gehen sollen. Manche fliehen nach Russland, nach Kiew oder in die Westukraine. Wir dürfen den menschlichen Aspekt dieses schrecklichen Krieges nicht vergessen", betont Dempsey.
Jean-Sylvestre Mongrenier vom Pariser Institut Thomas-More ist skeptischer. Er vermutet, dass für Russland alles, was mit den Minsker Vereinbarungen verbunden ist, nur eine taktische Pause darstellt. "In dieser Zeit versucht Putin, die EU und die NATO zu spalten. In Wirklichkeit ist das ein lang anhaltender geopolitischer Konflikt, bei dem es um die europäische und internationale Rechtsordnung geht. Der Revisionismus des Kreml ist eine Bedrohung für ganz Europa", so der Experte. Eine "Appeasement-Politik" - also eine Politik der Beschwichtigung - könne zu einer Rückkehr zum "politischen Darwinismus" führen, warnt Mongrenier. Er fügt hinzu, dass ein Scheitern der brüchigen Vereinbarungen zu einem richtigen Krieg zwischen Russland und der Ukraine führen könnte.
Sanktionen oder Waffen?
Aber schon heute kann die Lage im Donbass nicht als Waffenstillstand bezeichnet werden. Nach Angaben der OSZE-Mission gab es allein in der vergangenen Woche in der Nähe von Donezk 1200 Explosionen. Gefeuert wurde vor allem mit Artillerie und Mörser - auch am Montagabend, als in Berlin die Außenminister über die Ukraine berieten. Fast jeden Tag sterben Soldaten.
Gemeldet werden auch Kämpfe in der Nähe von Mariupol. Die Stadt könnte das nächste Ziel der Separatisten werden, befürchten Beobachter in Kiew - aber auch im Westen. "Russland kann die Krim nur schwer zu einem akzeptablen Preis kontrollieren, wenn kein Landkorridor zwischen dem, was der Kreml "Neu-Russland" nennt, und der Halbinsel Krim geschaffen wird", sagt Mongrenier. Ihm zufolge besteht für die strategisch wichtige Hafenstadt jetzt eine unmittelbare Gefahr.
Sollte das schlimmste Szenario eintreten, werde der Westen auf jeden Fall reagieren, meinen die von der DW befragten Experten in Berlin und Paris. "Die Sanktionen sind die einzige Karte, die der Westen hat. Deutschland wird der Lieferung tödlicher Waffen nicht zustimmen, was aber andere Länder nicht davon abhalten wird, der Ukraine Waffen zu geben. Die EU kann in diesem Fall nichts diktieren", betont Dempsey. "Jetzt sind die meisten EU-Länder gegen eine Bewaffnung der Ukraine. Aber einige Länder halten dies für eine gute Idee."
Mongrenier: "Niederlage der ukrainischen Armee verhindern"
Gleichzeitig ist sich der Pariser Experte Mongrenier sicher, dass der Westen nicht an Waffenlieferungen an Kiew vorbei kommt, falls Mariupol angegriffen wird. "Eine Niederlage der ukrainischen Armee muss verhindert werden. Die Ukraine ist ein souveräner Staat, anerkannt von der internationalen Gemeinschaft, ein Mitglied der Vereinten Nationen und des Europarates, der das Recht hat, sich zu verteidigen", so Mongrenier.
Nach Ansicht des französischen Experten würde eine neue Runde der Konfrontation im Donbass Deutschland und Frankreich, die als Garanten der Minsker Vereinbarungen seitens der EU auftreten, dazu zwingen, alle Meinungsverschiedenheiten zu überwinden. "Wenn Putin weiteres ukrainisches Territorium einnehmen will und weiterhin versuchen wird, die europäische Ordnung zu zerstören, werden Paris und Berlin reagieren müssen und sehr eng zusammenarbeiten. Die Differenzen bezüglich der Herangehensweise sollten nicht überschätzt werden", betont der französische Politikwissenschaftler.