Brüssel: Wasserwerfer gegen Randalierer
27. März 2016Eine ältere Dame schreit mit schriller Stimme einen der Anführer der nationalistischen Fußballfans an und zerrt an seinem Transparent. "Gehen Sie weg! Lassen Sie das!" Der rabiate Hooligan wendet sich von der resoluten Belgierin ab. Sein schrankbreiter Kumpel, ebenfalls in schwarze Fankluft gekleidet, ist weniger zimperlich und schlägt ohne Vorwarnung auf einen Mann ein, der gegen die rechten Sprüche der Randalierer protestiert. Einige Hundert friedliche Trauernde umringen die Störer, die lauthals grölen: "Belgien gehört uns!" Dann trampeln sie die Blumen und Kerzen vor der Freitreppe der Börse nieder. Die Umstehenden sind entsetzt.
Erst nach 20 Minuten ziehen behelmte Schutzpolizisten mit Schlagstöcken und Schilden auf und drängen die rund 200 radikalen Hooligans ab. Zwei Wasserwerfer werden eingesetzt. Zehn Randalierer werden festgenommen. Nach etwa einer Stunde ist der Spuk vorbei. Die Menschen, die doch eigentlich an die Terroropfer von Brüssel erinnern wollten, erholen sich von diesem schockierenden Erlebnis. Sie bringen wieder Blumen, singen und skandieren: "Es lebe die Polizei!". Zwei junge Männer hängen eine lange Leine mit Flaggen aus vielen Nationen, die die Hooligans zuvor abgerissen hatten, unter dem Applaus der Menge wieder auf. Neuer Gesang brandet auf. "Wir sind alle Kinder von Migranten", singen die Menschen, haken sich unter oder heben die Hände in den Himmel.
Mit Humor gegen die Angst
Eigentlich war der "Marsch gegen die Angst" im Herzen von Brüssel an diesem Sonntag abgesagt worden, weil die Polizei durch die Fahndung nach Attentätern überfordert war. Innenminister Jan Jambon bat die Menschen, zuhause zu bleiben. Der Minister befürchtete eventuelle neue Anschläge auf die Menschenmenge. Trotzdem kamen wie jeden Tag einige Hundert an der Börse zusammen. Mit den Angriffen der Hooligans hatte niemand gerechnet.
"Wir wollen klar machen, dass wir uns weder von Terroristen noch von anderen Idioten einschüchtern lassen", sagt Aurore Muyldermans noch ganz erregt, nachdem die Hooligans abgedrängt sind. Sie hat mit ihrem Ehemann ein Plakat gebastelt. Darauf sind das pinkelnde Brüsseler Wahrzeichen "Manneken Pis", das weibliche Gegenstück "Mareike Pis" und ein Hund, der das Bein hebt, zu sehen. "Make pisse not war", hat Fabian Poveda über das Bild geschrieben. Mit dem Wortspiel und etwas Humor wollen die Beiden der Terrorgefahr in Brüssel die Stirn bieten. Zuvor hatte eine Münchner Opernsängerin mit einem Chor aus syrischen Flüchtlingen, die in Deutschland leben, die Europahymne, den Schlusssatz der Neunten Sinfonie von Beethoven, gesungen. Viele Christen, die zu Ostern die Auferstehung von Jesus feiern, beten still am Rand des Blumenteppichs. "Das ist schon ein ganz besonderes Osterfest für mich als gläubiger Christ", meint Brecht Van Neste.
Belgien trauert anders
Der junge Mann ist extra aus der Stadt Brügge nach Brüssel gekommen, um der Toten der Terroranschläge zu gedenken. Belgien, findet er, geht mit solchem Gedenken anders um als zum Beispiel die überaus patriotischen Franzosen. Während in Frankreich die Nationalflagge geschwungen und die Nationalhymne "Marseillaise" geschmettert wurden, ist man in Belgien zurückhaltender. "Wir haben keinen Nationalstolz in Belgien", sagt Brecht Van Neste. Deshalb werde, von Fußball-Chaoten einmal abgesehen, kein Mensch jetzt die nationale Flagge aus dem Fenster hängen. "Dieses Gefühl gibt es nicht. Wallonen und Flamen, die Regionen, die Sprachgruppen sind zu zerstritten." Ganz wichtig fand Brecht Van Neste, dass das belgische Königspaar Verwundete in Krankenhäusern besucht hat. Die Monarchie sei das einzige, das Belgien zusammenhalte. Und manchmal eben auch die "Roten Teufel", so der Spitzname der Fußballnationalmannschaft.
Nicht im Krieg
Während der französische Staatspräsident Francois Hollande nach den jüngsten Anschlägen in Paris erklärt hat, Frankreich sei im Krieg, hält sich der belgische Ministerpräsident Charles Michel eher bedeckt. Er sagte auf einer offiziellen Trauerfeier, dass sich Belgien seine Toleranz, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit bewahren wolle. Von der Verhängung des Ausnahmezustands wie in Frankreich ist hier in Brüssel nicht die Rede. Muslimische Verbände und Gemeinden haben die Terroranschläge der IS-Terroristen vom Dienstag, die 35 Todesopfer und 340 Verletzte forderten, verurteilt.
Belgien ist allerdings auch das Land in Europa, das mit die meisten jungen Männer als radikalisierte Islamisten an den "Islamischen Staat" verliert. "Die Spaltung der Gesellschaft und Rassismus sind eine Realität", sagte der Löwener Politikwissenschaftler Regis Dandoy in Interviews mit belgischen Medien. "Die Anschläge werden die Gräben noch vertiefen und die Integration der Muslime noch schwieriger machen." Der Gedenkmarsch gegen die Angst soll nachgeholt werden, wenn sich die Lage in Brüssel entspannt hat und auch alle 28 Todesopfer identifiziert werden konnten. Bislang kennt man von 24 Ermordeten die Namen.