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Braucht Sarrazin den Schockeffekt?

Christina Ruta25. Mai 2012

Ein Buch sorgte diese Woche für Aufsehen, noch bevor es erschienen war: Thilo Sarrazins "Europa braucht den Euro nicht". Neu sind die Thesen nicht, doch Buch und Autor sind trotzdem in aller Munde. Wie ist das möglich?

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Thilo Sarrazin bei der Buchpräsentation (Bild: dapd)
Sarrazin stellte am Dienstag (22.05.2012) im Berliner Hotel Adlon sein neues Buch vorBild: dapd

Der Traum jedes Autors ist für Thilo Sarrazin erneut wahr geworden: Sein Buch war durch Bestellungen bereits Bestseller, bevor es in den Regalen zu finden war. Prominente Experten wie Peer Steinbrück, der frühere Bundesfinanzminister, widmeten sich dem Werk in Talkshows. Und am Tage der Buchpräsentation (22.05.2012) konnte sich der Autor über mangelnden Medienzuspruch nicht beklagen. Das ist insofern erstaunlich, als die Thesen von "Europa braucht den Euro nicht" nicht neu sind.

Sarrazin zufolge hat der Euro für den europäischen Binnenmarkt keinen Nutzen gebracht. Er kritisiert, dass er ohne einheitliche europäische Finanzpolitik eingeführt wurde und Länder in die Eurozone aufgenommen wurden, die die wirtschaftlichen Voraussetzungen nicht mitbrachten. Den Griechen legt Sarrazin den Austritt aus der gemeinsamen Währung nahe, die deutschen Kreditzusagen an Griechenland sieht er als Freifahrtschein zum weiteren Schuldenmachen. Die Aussage der Kanzlerin, mit dem Euro scheitere Europa, hält er für politisch motiviert und falsch.

Peer Steinbrück , Moderator Günther Jauch und Thilo Sarrazin im Fernsehstudio (Bild: dpa)
Am Sonntag (20.05.2012) diskutierten Peer Steinbrück und Thilo Sarrazin bei Günther JauchBild: picture-alliance/dpa

Tabubruch als Vermarktungsstrategie

Und dann gibt es auch Textstellen, die die Gemüter regelrecht erhitzen: Die deutschen Kreditzusagen und die Bereitschaft einiger Koalitionspolitiker, die Schulden einzelner Staaten durch europäische Staatseinleihen zu vergemeinschaften, seien in einem Bußereflex für den Holocaust und Zweiten Weltkrieg begründet. Auch ist von einer "südländischen Mentalität" die Rede, die für unsolides Wirtschaften verantwortlich gemacht wird. Es sind genau diese Textstellen, die den Autor zum Medienstar machen.

"Wir werden von Informationen überflutet", so der Medienberater Michael Gestmann, der sich als PR-Berater mit dem Medienphänomen Sarrazin beschäftigt. "Eine wirkungsvolle Strategie, um aus der Masse herauszustechen und Aufmerksamkeit zu erregen, ist der gezielte Tabubruch, der die Öffentlichkeit empört", erläutert Gestmann. Sensible Themen, die wie der Holocaust große Emotionen hervorriefen, eigneten sich besonders, so der promovierte Medienpsychologe. Sarrazin polarisiere zudem stark, bringe komplexe Sachverhalte auf leicht verständliche Aussagen und spreche Ängste und Vorurteile an. Während sich die einen empörten, sähen sich die anderen genötigt, ihn zu verteidigen – und damit bliebe er im Gespräch.

Michael Gestmann (foto: privat)
Michael Gestmann ist Experte für BuchvermarktungenBild: privat

Sarrazin als streitbarer Experte

Kontroverser Inhalt reiche aber nicht, meint Richard Schütze, Geschäftsführer der gleichnamigen Berliner Politik- und Kommunikationsberatung: "Man braucht einen Autor, der eine Botschaft transportiert und eine besondere Kompetenz hat. Thilo Sarrazin hat sich als Berliner Finanzsenator und Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank sowie durch vorherige Veröffentlichungen als Wirtschaftsfachmann einen Namen gemacht." Die Präsentation von Sachverhalten, die nachweisbar seien und denen die Fachwelt zustimme, kombiniere er dann mit Überzeichnungen und Provokationen – die er bald wohl ebenso zurücknehmen werde wie strittige Sätze in "Deutschland schafft sich ab". Das 2010 erschienene Werk, in dem sich Sarrazin das erste Mal an die breite Öffentlichkeit wandte und unter anderem Integrationsprobleme diskutierte, sorgte in Deutschland für Kontroversen. "Dieses Buch, das Sarrazin noch als Bundesbanker geschrieben hatte, hat ihn als streitbaren Autoren bekannt gemacht", so der Experte. Nun sei die Marke Sarrazin ein Selbstläufer.

Schließlich hätten Verlag und Autor für den Zeitpunkt der Buchveröffentlichung gezielt vorhersehbare Entwicklungen abgewartet: Griechenland steht nach der Parlamentswahl erneut als Wackelkandidat da und in Frankreich ist gerade ein sozialistischer Präsident gewählt, der einen zu rigiden Sparkurs nicht mitträgt.

Richard Schütze (foto:privat)
Richard Schütze: Kontroverse Inhalte brauchen Autoren, die eine Botschaft transportieren könnenBild: privat

Lust auf Sensation

Eine wesentliche Rolle für die Aufmerksamkeit, die auch das aktuelle Buch genießt, spielen die Medien und das Publikum jedoch selbst. Denn es enthält bei weitem nicht so viele provokante Stellen, wie die Diskussion annehmen lässt. "Die Medien kämpfen um die Aufmerksamkeit des Publikums und berichten gerne über Thilo Sarrazin, da er sich bereits in der Vergangenheit als Aufmerksamkeitsfaktor bewährt hat", erläutert PR-Berater Michael Gestmann. Es komme dann vor, dass in zugespitzter Form gezielt über bestimmte Textstellen berichtet würde, um die Erwartungen und Sensationslust des Publikums zu befriedigen – auch wenn diese Textstellen in dem Buch eine untergeordnete Rolle spielten.