Budapest: Verschnaufpause vom Partytourismus
23. Juli 2020Als sie 30 wurde hielt Dóra Garai es einfach nicht mehr aus. Das Gegröle der Betrunkenen, den Müll, den Uringestank, die Prostituierten und Drogendealer im Hauseingang. Sie zog weg, an den ruhigeren Rand von Erzsébetváros, dem siebten Budapester Bezirk. Und sie ist nicht die einzige. Tausende haben "Bulinegyed", Budapests berühmtes Partyviertel, in den vergangenen Jahren verlassen - selbst Familien, die hier seit Generationen gelebt hatten. In dem Haus, in dem sie aufgewachsen ist, sagt Garai, seien heute nur noch drei von dreißig Wohnungen von den ursprünglichen Besitzern bewohnt. Der Rest: Airbnb-Wohnungen für Party-Touristen. Ganze Straßenzüge sind heute in der Hand von meist ausländischen Vermietern, die Profit aus Kurzzeitvermietungen schlagen wollen. "Für uns Einheimische ist hier nichts übrig geblieben", sagt Garai.
Budapest hat sich in den letzten zehn Jahren zu einem der attraktivsten Partyhotspot Europas entwickelt. Der vergleichsweise günstige Alkohol in den über 500 Bars und Clubs des Partyviertels zieht vor allem junge Westeuropäer an. Für viele von ihnen heißt es dann: Trinken, auskatern, trinken, auskatern, trinken, auskatern. Von der Stadt selbst haben sie wenig bis gar nichts gesehen wenn es im Billigflieger wieder nach Hause geht.
Gegen diese Auswüchse des Partytourismus bildete sich schon früh Widerstand. Doch all die Jahre änderte sich nichts. Zusammen mit anderen verärgerten Anwohnern gründete Dóra Garai deshalb die Bürgerinitiative Élhető Erzsébetváros (dt. lebenswertes Erzsébetváros). Seit vergangenem Jahr sitzt die 34-Jährige im Bezirksrat - mit Erfolg.
Corona-Krise wird für Regulierungen genutzt
Denn nun, da wegen der Corona-Krise die Touristen wegbleiben, soll die Partymeile umgestaltet werden. Die aktuelle Situation sei "eine Chance, den Tourismus hier nachhaltiger zu gestalten und eine Lösung zu finden, die für alle akzeptabel ist", sagte der Bezirksbürgermeister Péter Niedermüller kürzlich bei einem Pressegespräch in Budapest. Er hat ein strenges Maßnahmenpaket verabschiedet, das den Partytourismus ab September regulieren soll.
Dann sollen alle Bars, Restaurants und Clubs um Mitternacht schließen. Wer länger geöffnet haben will, braucht eine Sondergenehmigung und muss zahlreiche Auflagen erfüllen. So müssen die Betreiber beispielsweise dafür sorgen, dass ihre Gäste keine alkoholischen Getränke auf der Straße konsumieren. Deshalb dürfen sie - anders als bisher üblich - keine Plastikbecher mehr herausgeben. Das soll Gäste nicht nur davon abhalten, auf der Straße zu trinken, sondern auch den Müll reduzieren. Ein Türsteher muss die Einhaltung der Regeln kontrollieren und die Gäste anweisen, ruhig zu sein.
Zudem müssen die Betreiber die Straßen vor ihren Etablissements sauber halten und auch nichtzahlenden Gästen ihre Toiletten zur Verfügung stellen. Damit es nicht zu laut wird, wird der Geräuschpegel gemessen: Übersteigt er den erlaubten Grenzwert, wird die Sondergenehmigung wieder entzogen. Auch die Geschäfte im Partyviertel sind von den neuen Regulierungen betroffen. Sie dürfen nur dann bis nach Mitternacht geöffnet bleiben, wenn sie ab 22 Uhr keinen Alkohol mehr verkaufen.
Neben Lautstärke und Müll soll auch das Wohnproblem angegangen werden. Die rasante Ausbreitung von Airbnb-Wohnungen müsse dringend eingedämmt werden, sagt Bezirksbürgermeister Niedermüller: "Wir brauchen jetzt klare Regeln, sonst wird es hier bald wie im Wilden Westen." Das sieht auch das ungarische Parlament so. Fast einstimmig beschloss es am vergangenen Dienstag (14.07.2020), härter gegen die kurzfristige Vermietung von Wohnraum vorzugehen. Wie bereits in New York, Paris, Amsterdam und vielen weiteren Städten müssen Vermieter sich künftig bei den lokalen Behörden registrieren. Letztere dürfen zudem festlegen, wie viele Tage im Jahr eine Wohnung an Touristen vermietet werden darf.
Bar- und Clubbesitzer sehen sich benachteiligt
Was die Anwohner erfreut, empfinden Bar- und Clubbesitzer im Viertel als Katastrophe. Sie seien durch das Coronavirus sowieso schon stark betroffen, sagen sie. Die neuen Auflagen brächten zusätzliche Kosten und Umsatzeinbußen mit sich. Kommende Woche (29.7.) wollen sie einen Protestmarsch gegen die neuen Regelungen organisieren.
Auch Miki Kárpati kritisiert die Einschränkungen: "Das große Problem bei diesen Regelungen ist, dass sie alle unter einen Hut packt." Seine Bar "Hivatal" sei klein, seine Gäste rücksichtsvoll. Mit den grölenden Massen ein paar Straßen weiter habe er nichts zu tun, sagt er. "Dort sollte die Polizei härter durchgreifen, anstatt das ganze Viertel unter Strafe zu stellen", so Kárpati. Am Protestmarsch will er trotzdem nicht teilnehmen. "Wir verfolgen eine Politik der Verständigung mit unseren Nachbarn", sagt er. Die Organisatoren des Protestmarschs, die Besitzer der großen Bars und Clubs, würden die unliebsamen Nachbarn hingegen lieber aus dem Viertel verdrängen.
Auch Aktivistin Dóra Garai kritisiert die Einschränkungen - sie gehen ihr nicht weit genug. "Vor allem für die großen Bars und Clubs ist es recht einfach, die Ausnahmebedingungen zu erfüllen", sagt sie. Für die Anwohner werde sich also wenig ändern. Sie fordert deshalb den Abzug der großen Clubs an den Rand von Budapest, in alte Fabrikhallen zum Beispiel.
Party- und Kulturtourismus verbinden?
Neben den strengen Auflagen will Péter Niedermüller die Touristen auf die Geschichte und Tradition des Partyviertels aufmerksam machen. Denn dort wo Touristen aus aller Welt heute bis in die Morgenstunden feiern, steht Europas größte Synagoge, Gotteshaus und Mahnmahl des Holocaust zugleich. Das heutige Partyviertel war einst jüdisches Ghetto. Von hier aus wurden Zehntausende Juden in Konzentrationslager deportiert. Die wenigen Überlebenen haben das jüdische Viertel wieder zum Leben erweckt. Heute ist Budapest eine zentrale Heimstätte für jüdische Kultur in ganz Europa. Konkrete Maßnahmen für eine Fusion von Party- und Kulturtourismus hat Niedermüller noch nicht getroffen. Der Stadt fehle das Geld für große Initiativen, sagt er. Aktivistin Garai bezweifelt, dass solche Projekte erfolgreich sein könnten: "Alkohol bringt leider immer mehr Profit als Kultur."