EU-Ratspräsidentschaft in schwierigen Zeiten
31. Dezember 2017Für Bulgarien ist der EU-Ratsvorsitz eine denkbar große Herausforderung. Die Brexit-Verhandlungen, die Debatte über eine gemeinsame Flüchtlings- und Migrationspolitik, die Vorbereitung des Finanzrahmens ab 2020 - das sind nur drei der schwierigen Aufgaben. Die zuständige Ministerin Liliana Pawlowa hat sowohl im bulgarischen als auch im Europaparlament das Programm für den EU-Vorsitz Bulgariens vorgestellt. Eine erfolgreiche Ratspräsidentschaft verlange politischen Konsens, Dialog und Verständigung, erklärte sie. Die Bewahrung der Einheit und der Stabilität der EU seien für Sofia die wichtigsten Herausforderungen, daneben habe man aber auch weitere Schwerpunkte, so Pawlowa.
Wichtig sei vor allem die Zukunft der jungen Menschen, die in direktem Zusammenhang mit dem künftigen Haushalt für 2020 und mit dem Brexit stehe. Die EU-Perspektive für den Westbalkan, die Sicherheit und Stabilität im Hinblick auf Flüchtlinge und Migration, eine gemeinsame europäische Verteidigung und Wirtschaftswachstum fokussiert auf den einheitlichen europäischen Digitalmarkt – so sieht die unvollständige Liste für Bulgariens EU-Ratspräsidentschaft aus.
Brexit und Migrationspaket
Dabei hat sich die Schwerpunktsetzung mehrfach geändert. Vor allem, weil die bulgarische Regierung ihre zuerst hochgesteckten Ziele nach und nach mit den EU-Institutionen und mit der Realität abgestimmt hat. Mittlerweile ist man sich in Sofia im klaren, dass während der EU-Ratspräsidentschaft das Land eher koordinieren und harmonisieren als führen wird und dass die Superprobleme Brexit und Flüchtlinge mit Bulgariens Vermittlung, aber nicht unter Bulgariens Federführung anzugehen sind.
Zum sogennanten "Migrationspaket" wird Sofia die Differenzen zwischen West- und Osteuropa zu kitten versuchen und womöglich einen Konsens noch vor der österreichischen EU-Präsidentschaft vom 1. Juli 2018 an suchen, denn Wien setzt sich bekanntermaßen für eine viel strengere Migrationspolitik ein.
Zum Thema Brexit äußerten der EU-Unterhändler Michel Barnier und der bulgarische Ministerpräsident Boiko Borissow die Hoffnung, dass während der bulgarischen EU-Ratspräsidentschaft größtmögliche Fortschritte erzielt werden. "Es sind gewaltige gemeinsame Bemühungen notwendig, da die Trennung Großbritanniens von der EU ein schwieriger Prozess ist und danach im EU-Haushalt zehn Milliarden Euro weniger sein werden als heute", betonte Borissow. Barnier sagte, dass Bulgarien gut auf die EU-Ratspräsidentschaft vorbereitet sei, und bedankte sich für das bulgarische Engagement zur Fortsetzung der Brexit-Verhandlungen.
Einsatz für den Westbalkan
Zum bulgarischen Leib- und Magenthema Westbalkan versucht Sofia, sich zu einem kompetenten und konstruktiven Vermittler zu profilieren und hat sogar ein extra EU-Gipfeltreffen am 17. Mai 2018 geplant. Der ehemalige Staatsminister im Auswärtigen Amt und Vorsitzender des Deutsch-Bulgarischen Forums, der SPD-Politiker Gernot Erler, sagte dazu im DW-Interview: "Bulgarien wird ein starkes Gewicht auf den westlichen Balkan und auf die Erweiterungs- und Integrationspolitik legen. Dafür bringt das Land auch gute Voraussetzungen mit den eigenen bilateralen Beziehungen in der Region."
Der ehemalige EU-Parlamentsvorsitzende Hans-Gert Pöttering, der inoffiziell als Hauptberater der bulgarischen Regierung in Sachen EU-Vorsitz gilt, ist allerdings vorsichtig. Aus seiner Sicht sollte die Botschaft lauten: "Ihr könnt nicht sehr schnell Mitglied werden, ihr müsst euch reformieren, ihr müsst die Korruption bekämpfen und den Rechtsstaat aufbauen. Und dafür könnt ihr in einigen Teilbereichen wie beispielsweise bei der Reduzierung des Roamings oder bei der Frage der Digitalisierung vielleicht so behandelt werden wie die anderen Staaten der EU."
Die Schattenseiten der EU-Ratspräsidentschaft
Ein Land, das immer noch unter dem EU-Monitoring steht, übernimmt die EU-Ratspräsidentschaft - für Johanna Deimel, stellvertretende Geschäftsführerin der Südosteuropa-Gesellschaft in München, ist das "ein Novum". Der letzte Bericht im Rahmen des Kooperations- und Kontrollverfahrens (CVM) sei für sie "zutiefst alarmierend", denn: "Es ist die Rede von einem direkten Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz, einer Unterminierung der Unabhängigkeit der Richter und sogar von verfassungswidrigen Gesetzen." Vor diesem Hintergrund könne Bulgarien kein Vorbild sein, behauptet Johanna Deimel im DW-Interview. "Wenn derartig grundlegende Defizite bestehen, wie sollen dann die Länder des westlichen Balkans für Reformen bei Justiz und Rechtsstaatlichkeit, beim Kampf gegen Korruption und organisiertes Verbrechen motiviert werden?" Deimel erinnert auch an die sehr bedenkliche Mediensituation in Bulgarien und fasst zusammen: "Ob Bulgarien die richtige EU-Präsidentschaft ist, die sich diesen Kernfragen stellt und diese auf die Agenda setzt? Da habe ich meine Zweifel."
Proeuropäische Mehrheit
Zweifel an der Fähigkeit Bulgariens, die EU erfolgreich zu führen, sind auch aus einem anderen Grund angebracht. Beteiligt an der bulgarischen Regierung sind die Ultranationalisten vom Bündnis "Vereinigte Patrioten". Daniel Kaddik von der Friedrich-Naumann-Stiftung findet das problematisch: "Bekannte Xenophobe, Nationalisten und Protektionisten werden Vorsitzende der verschiedenen Räte. So etwa macht der Vizepremierminister Waleri Simeonow aus seinem Hass auf Minderheiten keinen Hehl, wenn er Roma öffentlich als 'wilde Affen' bezeichnet."
Hans-Gert Pöttering erwartet allerdings, dass es Regierungschef Borissow gelingen wird, den Koalitionspartner zu disziplinieren, "so dass er seinen proeuropäischen Kurs weiterführen kann". Dabei kann er sich auf die Mehrheit der Bevölkerung verlassen. Laut Gallup International haben 62 Prozent der Bulgaren Vertrauen in die EU – ein Anstieg von 12 Prozentpunkten im Vergleich zu Dezember 2016. Und 55 Prozent glauben, dass Sofia die EU-Ratspräsidentschaft erfolgreich meistern wird. Von dieser Ratspräsidentschaft erhoffen sich die Bulgaren im übrigen auch einen zusätzlichen Bonus für einen Beitritt zum Schengen-Raum und zur Eurozone. Beobachter gehen davon aus, dass die Schengen-Mitgliedschaft unbedenklich sei, während der Eintritt in die Eurozone noch nicht anstehe. Bulgarien kann zwar sehr gute Wirtschaftszahlen vorlegen, hat aber nicht sehr viele Befürworter in der Eurozone.